Die Lehrerin, Schriftstellerin, Redakteurin, Frauen- und Friedenspolitikerin Clara Zetkin, geb. Eißner, gesch. Zundel, hat 1910 als Vorsitzende des sozialistischen internationalen Frauensekretariats in Kopenhagen den Internationalen Frauentag ausgerufen und war von 1920 bis 1933 Reichstagsabgeordnete.

Die am 5. Juli 1857 in Wiederau/Sachsen geborene sozialistisch-kommunistische Frauenpolitikerin und Redakteurin Clara Zetkin ist heute als Begründerin des weltweit am 8. März gefeierten „Internationalen Frauentages“ „gesellschaftsfähig“ – ganz im Gegensatz zu ihrer Lebenszeit –. In Stuttgart, wo sie von 1890 bis 1920 lebte und arbeitete, wurde sie geliebt, aber aufgrund ihrer pazifistischen Gesinnung und ihren frauenpolitischen Forderungen auch verfolgt, und dies nicht nur von den Behörden.

Sowohl im Kaiserreich ab 1871 wie in der Weimarer Republik seit 1918 war sie in der bürgerlichen, national konservativen Öffentlichkeit als „Rote Emanze“ verpönt. Im Gegensatz dazu hat sich der „Internationale Frauentag“ seit 1968, dem Beginn der „Neuen Frauenbewegung“, bei politisch engagierten Frauen aller Richtungen durchgesetzt, weil die Befreiung der Frauen aus politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Vormundschaft sowie von der Übermacht und der Bevorzugung der Männer immer noch ein dringliches Thema ist, ebenso ihre Forderung: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Zetkins vehemente Gegnerschaft gegen die ihrer Meinung nach kapitalistisch begründete Verhinderung der Gleichberechtigung ist dagegen obsolet geworden.

Zetkin wurde als „gelernte“ Lehrerin zur Leitfigur und maßgeblichen Theoretikerin der deutschen proletarischen Frauenbewegung. Als Sozialistin gehörte sie der SPD an, der Partei, die als erste politische Partei 1891 die Stimmrechtsforderung der Frauen in ihr Programm aufgenommen hatte. Nach ihrer Rückkehr aus der Pariser Emigration – sie war aufgrund des Bismarckschen Sozialistengesetzes 1882 ihrem Lebenspartner Ossip Zetkin dorthin gefolgt – hat sie in Stuttgart ab 1890 die Geschichte der SPD und deren frauengeschichtlichen Anteil mitbestimmt und emanzipatorisch klassenkämpferisch aufpoliert, inbesondere durch ihre Redaktionsarbeiten in der vierzehntägig erscheinenden Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen „Die Gleichheit“.

Als Sozialistin und Pazifistin mit internationalen Beziehungen war Zetkin der Stuttgarter Polizeibehörde von Anfang an ein Dorn im Auge. Da sie in der Emigrationszeit ihren Lebensgefährten und Vater ihrer beiden Söhne Ossip Zetkin nicht geheiratet hatte, war sie jedoch Deutsche geblieben und konnte nicht ausgewiesen werden. Die Geschichtsschreibung der DDR hat ihre angebliche Heirat stets bekräftigt und von ihrem späteren Ehemann Georg Friedrich Zundel nie Notiz genommen.

Nach Bismarcks Abdankung und dem Fall des Sozialistengesetzes kehrte Clara Zetkin nach dem Tod von Ossip Zetkin wie viele andere Emigranten 1890 nach Deutschland zurück. Mit Unterstützung von August Bebel, dem Parteivorsitzenden der SPD, konnte sie im sozialistisch orientierten J.H.W. Dietz Verlag in der Furtbachstraße 12 die Leitung des Frauenblatts „Die Arbeiterin“ übernehmen, das später von ihr als Aufruf zur Gleichberechtigung von Mann und Frau „Gleichheit“ betitelt wird. Erst 1917 wurde sie wegen ihres Bruchs mit der SPD aus dieser Position entlassen.

Seit dem 4. Januar 1892 war sie in Stuttgart gemeldet. Sie wohnte zusammen mit ihren Söhnen zuerst in der Rotebühlstraße 147. Ihre Nachbarn waren die Familie von Robert Bosch, mit der sie nicht nur wegen der Übereinstimmung in gesellschaftspolitische Fragen befreundet war, und von Karl Kautsky, der 1891 das Erfurter Grundsatzprogramm der SPD konzipiert hatte.

Die Stuttgarter Behörden hätten die Zetkin bald nach ihrer Niederlassung gerne ausgewiesen. Wegen falscher Namensführung war sie vorgeladen worden. Den Behörden gegenüber hieß sie Clara Eißner, unterschrieb aber das Vernehmungsprotokoll mit ihrem Schriftstellerinnennamen Clara Zetkin. Dieser Name wurde schließlich von den Behörden akzeptiert, auch weil sie nicht vorbestraft war. Eine Überwachung wurde aber angeordnet. Die 1883 und 1885 in Paris geborenen Söhne Maxim und Kostja trugen dem französischen Namensrecht entsprechend den Nachnamen Zetkin. Sie besuchten in Stuttgart zuerst die Hayer‘sche Elementarschule in der Rotebühlstraße, dann bis zum Abitur das altsprachliche Karls-Gymnasium in der Tübinger Straße. Beide studierten anschließend Medizin.

Am 6. Februar 1899 heiratete Clara Zetkin den 1875 geborenen Maler Friedrich Zundel. Die Familie wohnte zunächst in einer Dachgeschosswohnung in der Blumenstraße 34. Als sich die finanziellen Verhältnisse der Eheleute durch Ausstellungen, Aufträge, Vorträge und Veröffentlichungen besserten, bauten sie sich in der Kirchheimer Straße 14 in Sillenbuch ein Haus, das Georg Zundel selbst entworfen hatte und das Lenin die „Datsche Zundel“ nannte. Das riesige Gelände rund ums Haus war ein wichtiger Ort für seltene Ruhephasen und die emsige Gartenarbeit Clara Zetkin-Zundels und ihrer Familie, das auch die Freundin Rosa Luxemburg immer wieder mit ihnen teilte. Das Haus war ein Treffpunkt vieler Freundinnen und Genossinnen, vieler Freunde und Genossen und ihrer Kinder. Nicht selten fanden Hausmusiken statt, bei denen die Söhne Geige spielten und mit der Mutter am Klavier musizierten. Zusammen mit Friedrich Westmeyer und Georg Zundel hat Zetkin auch am 9. Mai 1909 das Sillenbucher Waldheim eröffnet, das sie zur Erholung für Arbeiter und ihre Familien hinter ihrem eigenen Wohngelände mitbegründet und mitfinanziert hat. Es heißt heute Clara-Zetkin-Haus und ist immer noch ein kultureller und politischer Treffpunkt.

Doch der Frieden war bedroht. Anfang August 1914 verkündete Kaiser Wilhelm II. den Kriegseintritt Deutschlands. Die Söhne wurden eingezogen, Zundel meldete sich in der Euphorie freiwillig. Dem „Nationalen Frauendienst“, den Frauenvereine aller Richtungen gründeten, um im sozialen Dienst für Verwundete in Lazaretten und für notleidende vaterlose Familien zu sorgen, unterstützte die Pazifistin Zetkin-Zundel nicht. Sie sah darin eine Verlängerung des Krieges in der Heimat. Nach vier Jahren Not und Verderben war im November 1918 der erste Weltkrieg beendet. Frauen hatten in der Heimat ihren „Mann“ gestanden und kurzfristig Männerberufe erobert. Die Novemberrevolution hatte das deutsche Kaisertum, die Herrscher- und Adelshäuser der deutschen Kleinstaaten abgeschafft und das Frauenwahlrecht gebracht. Zetkin hatte schon vorher auch innerparteilich Karriere gemacht. Von 1895 bis 1913 war sie als erste Frau in der Kontrollkommission der Partei, von 1909 bis 1917 im Parteivorstand. Sie sprach auf Parteitagen und wurde nach der Gründung des internationalen Frauensekretariats dessen Erste Sekretärin. Die „Gleichheit“, wurde zum Organ der internationalen Frauenbewegung.

Ihre eigene private Situation war ebenfalls verändert. Ihre Freundschaft mit dem „Roten Bosch“ hatte auch schmerzliche private Folgen. Denn Paula Bosch, Tochter von Robert und Anna Bosch, die er als junges Mädchen porträtiert hatte, wurde am 20. März 1928 Zundels zweite Ehefrau. Erst kurz zuvor, am 23. Februar 1928, hatte am Landgericht Berlin die Scheidung stattgefunden, gegen die sich Zetkin lange gewehrt hatte.

Die 30 Jahre, die die Politikerin, die Kultur- und Kunstengagierte in Stuttgart arbeitete und politisch agierte, waren sowohl für sie als auch für die Stadt eine Zeit der prägenden Veränderung. Die Arbeiterbewegung war gewachsen, ihr Frauenanteil war aber bis 1907 relativ gering. Erst nach der ersten Internationalen sozialistischen Frauenkonferenz, die am 17. August als Auftaktveranstaltung dem Internationalen Sozialistenkongress vom 18. bis 24. August 1907 in der damaligen Liederhalle vorgeschaltet war, stiegen die Mitgliederzahlen sprunghaft an. Bei der Frauenkonferenz war Clara Zetkins Antrag für das geheime, direkte, allgemeine und gleiche Wahlrecht für Frauen beschlossen worden, das für das 1918 in Deutschland eingeführte allgemeine Wahlrecht zum Vorbild wurde.

Zetkins radikaler Antikriegskurs, der jede Kriegsunterstützung und die von ihren Genossen im Reichstag abgesegneten Kriegskredite ablehnte, führte schließlich zum Bruch mit der SPD. Nach der Mitgründung des Spartakusbundes ging sie zur USPD, der sie aber nicht lange treu blieb. Sie hatte sich 1918 mit der russischen Revolution solidarisch erklärt und war Kommunistin geworden. Dennoch kandidierte sie aus taktischen Gründen nach Kriegsende 1919 für die USPD und wurde als eine von 13 weiblichen Abgeordneten in die Württembergische Verfassunggebende Landesversammlung gewählt. Sie hat dort als eine der ersten Frauen in einem deutschen Parlament im Halbmondsaal des jahrhundertealten Landtagsgebäudes am 29. Januar 1919 das Wort ergriffen, um der vom gemäßigten SPD-Ministerpräsidenten Wilhelm Blos geführten württembergischen Regierung Revisionismus und Unterdrückung der sozialen Revolution vorzuwerfen und um der Aussage entgegenzutreten, dass den Frauen das Wahlrecht geschenkt worden sei.

Als streitbare Reichstagsabgeordnete trat die für die KPD agierende Frau unablässig für die Verbesserung der Arbeiterklasse und für die Rechte der von den Männern immer noch unterdrückten Frauen ein. Als Alterspräsidentin hielt die blind und mühevoll aus Moskau Angereiste am 30. August 1932 ihre berühmte Eröffnungsrede im Reichstag und forderte „die Einheitsfront aller Werktätigen auf, den Faschismus zurückzuwerfen“. Zum Schutz vor Mordanschlägen verließ sie den Reichstag verkleidet durch die Hintertür.

In Archangelskoje in der Nähe von Moskau, wo die weltweit bekannte Politikerin seit 1920 auch im Kreml abwechselnd mit Aufenthalten in ihrem Haus in Stuttgart-Sillenbuch und dann nach dessen Verkauf ab 1927 in Berlin-Birkenwerder lebte und arbeitete, ist sie am 20. Juni 1933 gestorben und wurde von einem riesigen Trauerzug begleitet an der Kremlmauer beigesetzt.

Zetkin war zu ihrer Zeit und nach ihrem Tod das Opfer vieler klischeehafter Darstellungen – wie kaum eine andere Politikerin hat sie die Menschen polarisiert. In der DDR wurde sie zur Heldin und zur Parteiikone stilisiert, in der Bundesrepublik trotz ihrer Verdienste um die Gleichberechtigung von Mann und Frau lange Zeit tunlichst verschwiegen und als Stalinistin gebrandmarkt, die sie nie war. Eine Dokumentation ihres Gesamtwerkes fehlt noch immer.

Text: Mascha Riepl-Schmidt
Schlagwort: Stuttgart-Sillenbuch
Literaturhinweise:

Gilbert Badia, Clara Zetkin, Eine neue Biographie, Berlin 1994.
Maja (Mascha) Riepl-Schmidt, Clara Zetkin, geborene Eißner, verheiratete Zundel, Die „rote“ Emanze, in: Maja (Mascha) Riepl-Schmidt „Wider das verkochte und verbügelte Leben“, Frauen-Emanzipation in Stuttgart seit 1800, Stuttgart/Tübingen 1990/1998, S. 157-172.
Maja (Mascha) Riepl-Schmidt, „Progromstimmung vor den Toren der Hauptstadt“, Clara Zetkin und ihre Sillenbucher Zeit, in: Sillenbuch & Riedenberg, Zwei Stadt-Dörfer erzählen aus ihrer Geschichte, Stuttgart 1995, S. 104-113.
Maja (Mascha) Riepl-Schmidt, Der „Arbeitermaler“ porträtiert auch Adelige, in: Sillenbuch & Riedenberg, Zwei Stadt-Dörfer erzählen aus ihrer Geschichte, Stuttgart 1995, S. 188-193.
Marga Voigt (Hg.), Clara Zetkin, Die Kriegsbriefe (1914-1918), Berlin 2016.

GND-Identifier: 118636618
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Mascha Riepl-Schmidt, Clara Zetkin (1857-1933), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/bb8117ff-7a99-4d44-9524-5f8ce0a4cadc/Clara_Zetkin_%281857-1933%29.html