Graf Ulrich V. von Württemberg, gen. der Vielgeliebte (1413-1480)
Graf Ulrich V. von Württemberg prägte die Stadtentwicklung von Stuttgart nachhaltig. Alle drei großen Stadtkirchen – Stiftskirche, Leonhardskirche und Hospitalkirche – wurden während seiner Regierungszeit erbaut oder vollendet. Als besonders zukunftsträchtig erwies sich die Stadterweiterung durch die Anlage einer neuen Oberen Vorstadt.

Graf Ulrich V. von Württemberg wurde 1413 als Sohn von Graf Eberhard IV. von Württemberg und Gräfin Henriette von Mömpelgard geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters übernahmen seine Mutter und 32 württembergische Räte die Vormundschaft für ihn und seinen ein Jahr älteren Bruder Ludwig. 1426 wurde der Bruder für mündig erklärt und in die Regierung eingesetzt. Ulrich hingegen wurde erst 1433 für volljährig erklärt und führte seitdem mit Graf Ludwig I. gemeinsam die Regierung. 1441 einigten sich die Brüder aus Anlass der Heirat Ulrichs mit Herzogin Margarethe von Kleve (1416-1444) darauf, die Herrschaft zu teilen und damit dem jüngeren Bruder eine standesgemäß eigene Hofhaltung zu erlauben. Die Teilung, die mit der Billigung der Mutter erfolgte, war zunächst auf vier Jahre befristet und erfolgte entlang der Neckarlinie, wobei Ulrich den östlichen „Neuffener Teil“ erhielt. Bereits ein Jahr später wurde diese Abmachung durch den Nürtinger Vertrag vom 25. Januar 1442 revidiert, der die endgültige Teilung festlegte und eine wesentlich genauere Aufteilung auf Basis der Leistungsfähigkeit der Städte und Ämter vorsah. Graf Ulrich erhielt den nordöstlichen Landesteil einschließlich Stuttgarts.

Innerhalb der neu geschaffenen, deutlich kleineren Herrschaft errang Stuttgart den unbestrittenen Vorrang als wichtigster Aufenthaltsort des gräflichen Hofes und beständiger Sitz der bedeutendsten Räte sowie der Kanzlei. Der Weg Stuttgarts zur Residenzstadt, der sich bereits unter den Vorgängern der beiden Grafenbrüder im 14. Jahrhundert abzuzeichnen begonnen hatte, wurde damit weiter verfestigt. Zwar spielten auch die Städte Göppingen, Kirchheim, Marbach und Nürtingen weiterhin eine Rolle als zeitweilige Aufenthaltsorte des Grafen und seiner Familie. Aber der Landhofmeister und Kanzler als Spitze der gräflichen Verwaltung scheinen Stuttgart nur noch in Ausnahmefällen verlassen zu haben. Stuttgart eignete sich als Hauptresidenz nicht nur aufgrund seiner zentralen Lage, sondern auch wegen der bereits vorhandenen baulichen Infrastruktur in Form von Schloss, Kirche, Grablege, Wirtschaftsgebäuden und einer Stadtbefestigung. Die Stadt konnte damit sowohl die ökonomische Versorgung des gräflichen Hofs mit seinen zahlreichen Verwandten, Räten und Dienern leisten, als auch deren Sicherheit gewährleisten. Außerdem boten die Gebäude und Einrichtungen einen repräsentativen Rahmen für Taufen, Hochzeiten, Begräbnisse, Turniere und andere Ereignisse der fürstlichen Hof- und Festkultur.

Durch den Rückzug der königlichen Gewalt aus Schwaben seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde das Machtgleichgewicht in der Region zunehmend instabil. Nutznießer dieser Entwicklung waren vor allem die großen fürstlichen Herrschaften Kurpfalz, (Vorder-)Österreich, Württemberg und Baden. Mitte des 15. Jahrhunderts begannen allerdings auch die Häuser Württemberg und Baden unter den Expansionsdruck der Kurpfalz zu geraten. Ulrich versuchte, dem zunächst ebenso wie sein Bruder Ludwig durch die Fortsetzung der traditionell freundschaftlichen Beziehungen zu den Wittelsbachern zu begegnen. In diesem Zusammenhang ist sowohl seine zweite Ehe mit Herzogin Elisabeth von Bayern (1419-1451, verh. 1445) als auch seine dritte Ehe mit Margarethe von Savoyen (1420-1479, verh. 1453), der Witwe Pfalzgraf Ludwigs IV., zu sehen. Gleichzeitig suchte er eine Annäherung an das Reichsoberhaupt. So unterstützte er 1444 König Friedrich IV. im Kampf gegen die Eidgenossen im Alten Zürichkrieg.

Besonders bedeutsam wurde sein Bündnis mit Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg, mit dem ihn zeitlebens auch eine persönliche Freundschaft verband. Sie bildeten mit dem Erzbischof Dieter von Mainz und dem Markgrafen Jakob von Baden den Kern des Mergentheimer Bundes, welcher 1449 die Auseinandersetzung mit dem Schwäbischen Städtebund suchte. Graf Ulrichs Hauptgegner in diesem Krieg war die Reichsstadt Esslingen, die er seiner Kontrolle zu unterwerfen suchte. Ziel war es, Esslingen als wichtigsten Handelskonkurrenten im mittleren Neckarraum für die Städte Stuttgart und Cannstatt auszuschalten. Allerdings scheiterte Ulrich mit diesem Vorhaben trotz einiger militärischer Erfolge, etwa dem Sieg in der Schlacht oberhalb der Plienshalde (heute Esslingen, Ortsteil Zollberg) am 10. November 1449. Im von König Friedrich vermittelten Frieden wurden die Handelsprivilegien Esslingens bestätigt und der Markgraf von Baden mit dem Schutz und Schirm über die Reichsstadt beauftragt.

1450 starb Ulrichs Bruder Ludwig, über dessen beide Söhne ihm die Vormundschaft zufiel. Über die Vormundschaftsregierung entspannten sich Streitigkeiten mit dem Pfalzgrafen Friedrich dem Siegreichen, der mütterlicherseits ebenfalls ein Onkel der jungen Uracher Grafen war und eine Beteiligung an der Vormundschaft für sich beanspruchte. Diese Differenzen wurden noch verschärft durch die Heiratsverbindung Ulrichs mit der Witwe von Pfalzgraf Friedrichs Bruder, Herzogin Margarethe von Savoyen, da dieser sich weigerte, ihr das aus ihrer Ehe mit Pfalzgraf Ludwig IV. zustehende Wittum auszuzahlen. Unter dem pfälzischen Druck zerbrach in der Mitte der 1450er Jahren schließlich die durch Schutz- und Schirmverhältnisse abgesicherte württembergische Vorherrschaft im mittleren und oberen Neckarraum. In der Folge konnten sich zahlreiche kleinere Herrschaftsträger wie die Grafen von Zollern, von Helfenstein und von Werdenberg und sogar Angehörige des niederen Adels der württembergischen Hegemonie entziehen. Im Reich waren zu dieser Zeit durch den machtpolitischen Gegensatz zwischen den Wittelsbachern einerseits und den Habsburgern und Brandenburgern andererseits zwei Bündnisblöcke entstanden. Die Spannungen entluden sich im sogenannten Fürstenkrieg, der mit kurzen Unterbrechungen von 1458 bis 1463 andauerte. Er endete für Graf Ulrich V. in einer katastrophalen Niederlage in der Schlacht von Seckenheim am 30. Juni 1462. Er geriet zusammen mit dem Markgrafen Karl von Baden und dessen Bruder, Bischof Georg von Metz, in pfälzische Gefangenschaft und wurde erst am 27. April 1463 nach immensen Lösegeldzahlungen und Abtretung von Herrschaftsrechten wieder freigelassen.

In den Jahren nach 1463 stand für Graf Ulrich V. die Bewältigung der Folgen seiner Niederlage gegen die Kurpfalz im Vordergrund. Er bemühte sich, Pfalzgraf Friedrich keinen weiteren Anlass für Auseinandersetzungen zu liefern, hielt aber weiterhin an den gewachsenen Bündnisstrukturen mit Brandenburg und dem Kaiser fest. Erfolgreich war seine Politik zur Rekonstruktion des württembergischen Bündnissystems im nördlichen Schwaben, das zahlreiche Grafen und Herren, Reichsstädten und niederen Adel in dieser Region einschloss.

Unter dem Eindruck der Streitigkeiten um die Vormundschaft über seine beiden Neffen Graf Ludwig II. und Eberhard V. war das Verhältnis zum Uracher Landesteil bis 1459 sehr belastet. Der Höhepunkt war die Flucht des jungen Graf Eberhards aus Urach und die Aufhebung der Vormundschaft durch dessen Räte unter Mithilfe der Kurpfalz. Nach dem Krieg gegen die Wittelsbacher verbesserte sich das Verhältnis zwischen Ulrich und Eberhard wieder. Sie schlossen 1473 einen Hausvertrag, der die gemeinsame Erbfolge regelte. Gegen seinen Sohn, Graf Eberhard den Jüngeren, suchte Ulrich gegen Ende seines Lebens Unterstützung bei seinem Uracher Neffen. Nachdem er bereits 1478 die Herrschaft aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands an seinen Sohn abgetreten hatte, starb er am 1. September 1480 in Leonberg auf einer Jagd zu der ihn Graf Eberhard im Eberhard eingeladen hatte.

Die Stadt Stuttgart erlebte während seiner Herrschaft eine Blütezeit, die sich in zahlreichen Bauwerken niederschlug. Besonders bedeutsam wurde die Erweiterung der Stadt durch die Anlage der „Oberen Vorstadt“, auch „Turnieracker“ oder „Unser Frauen Vorstadt“ genannt, in den 1460er Jahren. Der Name „Turnieracker“ ist erstmals 1451 belegt. Es wird vermutet, dass das Gelände anlässlich der zweiten Hochzeit Graf Ulrichs mit Herzogin Elisabeth von Bayern im Jahr 1445 erstmals für ein Turnier genutzt wurde. Der Turnieracker war nach der St. Leonhards Vorstadt die zweite Erweiterung der hochmittelalterlichen Stadtanlage. Die neue Vorstadt wurde rasch aufgesiedelt und übte besonders auf die wohlhabenderen Stadtbürger eine große Anziehungskraft aus, sodass im 16. Jahrhundert auch die Bezeichnung „Reiche Vorstadt“ aufkam.

1471 legte Graf Ulrich in der neuen Vorstadt den Grundstein für die Liebfrauenkirche (heute Hospitalkirche). Sie war als Klosterkirche für das von ihm gestiftete Dominikanerkloster geplant, für dessen Gründung 1473 der Papst seine Genehmigung erteilte. Die Motive für Graf Ulrich, ein Kloster in der Stadt zu stiften, sind sowohl in seiner persönlichen Frömmigkeit zu suchen, als auch in dem Wunsch, die Kirchenreform in seiner Herrschaft voranzutreiben. Der erste Prior Heinrich Pruser aus Nürnberg wurde in den folgenden Jahren mit der Reform der Dominikanerinnenklöster im gräflichen Herrschaftsgebiet beauftragt. Darüber hinaus beabsichtigte Graf Ulrich V. durch die Gründung die Seelsorge in seiner Residenzstadt zu verbessern. Die Stuttgarter Dominikaner gehörten der observanten Richtung des Ordens an, welche sich durch besonders strenge Regeltreue auszeichnete, das Armutsgelübde strikt befolgte und sich ganz auf Seelsorge und Studium konzentrierte. Das für die Liebfrauenkirche angefertigte Chorgestühl befindet sich heute in der Leonhardskirche.

Die Grafenbrüder Ludwig und Ulrich ließen ab 1433 durch ihren Baumeister Hänslin Jörg die Hauptkirche der Stadt, die Stiftskirche, anstelle eines alten romanischen Kirchenbaus neu erbauen. Meister Jörg folgte dabei dem Vorbild der Esslinger Frauenkirche, an deren Bauhütte er seine Ausbildung erfahren hatte. Kurz vor seinem Tod stiftete er das besonders aufwendig gestaltete Südportal der Stiftskirche, das Aposteltor, welches auf 1445 datiert wird. Nachdem der Bau bis zum Tod Hänslins um etwa 1450 bis zum Abschlussgesims ausgeführt war, übernahm dessen erstmals 1455 bezeugter Sohn, Aberlin Jörg, die Bauleitung. Dieser führte in den nächsten rund 30 Jahren als Baumeister Graf Ulrichs alle bedeutenden Kirchenbauprojekte im Stuttgarter Landesteil durch. In Stuttgart leitete er außer der Fertigstellung der Stiftskirche auch die Baumaßnahmen an St. Leonhard und an der Kirche Unserer Lieben Frau (Hospitalkirche). Außerdem vollendete er zwischen 1460 und etwa 1480 die Stadtkirche in Cannstatt.

Mit dem Umbau des bis dato einschiffigen Langhauses von St. Leonhard in eine dreischiffige Hallenanlage, wie sie für die Zeit Ulrichs V. charakteristisch war, wurde um 1463 begonnen. Das Langhaus scheint bereits nach wenigen Jahren – 1466 wurde über den Ausbau des Dachstuhls verhandelt – weitgehend vollendet gewesen zu sein. Auch die 1471 begonnene Hospitalkirche wurde als dreischiffige Hallenkirche errichtet. Graf Ulrich, der sich 1474 mit seiner dritten Frau und seinen beiden Söhnen Eberhard und Heinrich in die Bruderschaft des Dominikanerordens hatte aufnehmen lassen, ließ im nördlichen Seitenschiff eine steinerne Empore einbauen, welche 1479 vollendet wurde. Ihre Funktion ist nicht geklärt. Es wird diskutiert, ob sie als Fürstenstand, also als Ehrenplatz für die gräfliche Familie während der Messe diente, oder als Ziborium für einen nicht mehr erhaltenen Familienaltar. Die qualitätvolle Gestaltung der Empore, zu der auch eine Wandmalerei am nördlichen Seitenschiff gehörte, wurde jedoch laut Karl Halbauer stilbildend für eine „lange Reihe schwäbischer Steinmetzarbeiten“, sodass seine Einschätzung als „Schlüsselwerk der württembergischen Spätgotik“, so Annelise Seeliger-Zeiss, weiterhin Gültigkeit besitzt.

Auch den Marktplatz ließ Graf Ulrich großzügig erweitern. Für 1464 ist bezeugt, dass er mit seinem Sohn Eberhard das Stuttgarter Stift für die Verluste entschädigte, die diesem durch den Abbruch mehrerer Häuser im Zuge der Erweiterung des Marktplatzes und dem Bau des neuen Rathauses entstanden waren. Ebenso geht die Errichtung des Herrenhauses am Marktplatz auf Graf Ulrich zurück, dessen Bau laut Karl Pfaff 1435 begonnen wurde. An der Fassade war bis zum Abbruch des Herrenhauses im Jahr 1820 eine steinerne Skulptur des Grafen im Harnisch, mit der Linken gestützt auf einen Schild und in der Rechten eine Fahnenlanze haltend, zu sehen. Das Herrenhaus kann als herrschaftliches Gegenstück zum Rathaus gesehen werden. Im Obergeschoss tagte das Gericht. Auch Arrestzellen waren dort eingerichtet. Das Erdgeschoss hingegen diente als Kaufhaus, in dem Brotlaube, Metzig und Fruchtschranne untergebracht waren.

Text: Thomas Fritz
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Literaturhinweise:

Oliver Auge, Kleine Geschichte der Stuttgarter Stiftskirche, Leinfelden-Echterdingen 2001.
Thomas Fritz, Ulrich V. der Vielgeliebte, in: Sönke Lorenz/Dieter Mertens/Volker Press (Hg.), Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon, Stuttgart 1997, S. 86-89.
Thomas Fritz, Ulrich der Vielgeliebte (1441-1480). Ein Württemberger im Herbst des Mittelalters. Zur Geschichte der württembergischen Politik im Spannungsfeld zwischen Hausmacht, Region und Reich, Leinfelden-Echterdingen 1999.
Karl Halbauer, Der ehemalige Fürstenstand in der Stuttgarter Dominikanerkirche (Hospitalkirche), in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 41 (2004), S. 71-102.
Hans Koepf, Die Baukunst der Spätgotik in Schwaben, Stuttgart 1958.
Bernhard Neidiger, Das Dominikanerkloster Stuttgart, die Kanoniker vom gemeinsamen Leben in Urach und die Gründung der Universität Tübingen (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart 58), Stuttgart 1993.
Karl Pfaff, Geschichte der Stadt Stuttgart nach Archival-Urkunden und andern bewährten Quellen, Bd. 1, Stuttgart 1845.
Anneliese Seeliger-Zeiss, Studien zur Architektur der Spätgotik in Hirsau, in: Hirsau. St. Peter und Paul 1091-1991, Teil I: Zur Archäologie und Kunstgeschichte (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg, 10/1), hg. vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Stuttgart 1991, S. 265-363.
Gustav Wais, Die St. Leonhardskirche und die Hospitalkirche zu Stuttgart, Stuttgart 1956, S. 40-79.

GND-Identifier: 121765482
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Fritz, Graf Ulrich V. von Württemberg, gen. der Vielgeliebte (1413-1480), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
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