SS-Oberabschnitt und Höhere SS- und Polizeiführer Südwest
Zur NS-Zeit war mit dem „SS-Oberabschnitt Südwest“ die höchste regionale Gliederungsebene der SS für den deutschen Südwesten in Stuttgart angesiedelt. 1939 kam die Institution des „Höheren SS- und Polizeiführers“ hinzu, die zahlreiche neue Machtbereiche der SS bündelte.

Die Schutzstaffel der NSDAP (SS) wurde bereits 1925 gegründet, gewann aber erst langsam an Bedeutung, nachdem Heinrich Himmler 1929 als ihr „Reichsführer“ eingesetzt wurde. 1932 setzte ein starker Mitgliederzuwachs ein, 1933 vervierfachte sich die Zahl der Mitglieder sogar auf 210.000 Männer. Im Vergleich zur anderen paramilitärischen Parteiorganisation, der SA, blieb sie zwar zahlenmäßig deutlich kleiner. Doch es gelang Himmler, schrittweise immer neue Zuständigkeiten an sich zu ziehen, diese mit der SS zu verflechten und sie so zum zentralen nationalsozialistischen Terror-Instrument auszubauen.

Die Expansion der SS führte stetig zu Umorganisationen. Mitte 1933 wurde als höchste regionale Führungsebene die „SS-Gruppe Südwest“ aufgestellt und im Herbst 1933 in „SS-Oberabschnitt Südwest“ umbenannt. Ihr Gebiet umfasste zunächst in etwa Baden, Württemberg und den Regierungsbezirk Sigmaringen, später orientierte es sich am Wehrkreis V. Bei Reorganisationen wurden Kreise an andere Oberabschnitte abgegeben, darunter Mannheim, Heidelberg und Tauberbischofsheim. 1940 wurde der Oberabschnitt auf das besetzte Elsass ausgedehnt. Der Dienstsitz befand sich bis 1938 in der Hohenheimer Straße 93, dann bis 1945 in der Gerokstraße 45/Gänsheidestraße 26 in Stuttgart. Eine enteignete Villa aus dem Besitz des jüdischen Rechtsanwalts Edgar Oppenheimer wurde dazu mit Räumen und Bunkeranlagen erweitert. Er wurde allein im zweiten Halbjahr 1943 dreimal fliegergeschädigt, weswegen zusätzlich eine Ausweichdienststelle und Luftschutzstollen als Notbefehlsstelle errichtet wurden.

Dem Oberabschnitt waren unter anderem die drei SS-Abschnitte X (Stuttgart), XIX (Karlsruhe) und XXIX (Konstanz) untergeordnet, später auch der Abschnitt XXXXV (Straßburg). Diesen Abschnitten unterstanden wiederum je zwei Standarten der sogenannten „Fuß-SS“, die mit ihren Sturmbannen, Stürmen und Zügen den größeren Teil der „Allgemeinen-SS“ ausmachten. Zum Stuttgarter Abschnitt X gehörten die SS-Standarten 13 (Stuttgart) und 63 (Reutlingen). Dem Oberabschnitt unterstanden außerdem Sondereinheiten, deren Führungen in Stuttgart angesiedelt waren. Dazu zählten Einheiten für Reiter, Pioniere, Kraftfahrer, Musik, Hilfsgrenzangestellte sowie des Nachrichten- und Sanitätswesens. Deren Untereinheiten unterstanden wiederum gleichzeitig den jeweiligen Abschnitten. In St. Georgen wurde zudem ein „SS-Hilfswerklager“ für arbeitslose SS-Angehörige betrieben.

Die Oberabschnitte waren nicht lediglich eine zusätzliche Hierarchieebene. Ihre Aufgabe bestand vielmehr darin, sowohl die sich ausdifferenzierende SS innerlich zusammenzuhalten als auch nach außen einheitlich zu repräsentieren. In der Zeit vor Beginn des Zweiten Weltkrieges gehörten dem Stab des Oberabschnitts Südwest mit seinen zahlreichen Geschäftsfeldern ca. 100 Personen an. Insgesamt unterstanden dem Oberabschnitt Südwest in der Regel mehr als 13.000 Männer. Der Anteil der SS-Angehörigen an der männlichen Bevölkerung lag 1938 bei 0,67 Prozent und damit im Mittelfeld der Oberabschnitte. Während des Krieges vergrößerte sich der Anteil der inaktiven Mitglieder stark, weil viele zur Wehrmacht oder Waffen-SS einberufen wurden.

Führer des Oberabschnitts war von 1933 bis 1937 Hans-Adolf Prützmann (1901-1945). Ihm folgte im März 1937 Kurt Kaul (1890-1944). Kaul gehörte seit 1938 dem Reichstag an. Das Mandat hatte im „Führer-Staat“ zwar keine politische Bedeutung mehr, sorgte aber für eine finanzielle Absicherung. 1939 wurde er in den „Kolonialen Beirat“ des Gauverbandes Württemberg des Reichskolonialbundes berufen, dessen Ehrenvorsitz wiederum Gauleiter und Reichsstatthalter Wilhelm Murr (1888-1945) innehatte. Himmler entließ Kaul im März 1943, nachdem dieser mitten im Krieg heimlich in die Schweiz zum Skifahren gereist war und sich dabei verletzt hatte. Sein Nachfolger wurde Otto Hofmann (1896-1982). Hofmann hatte im Januar 1942 noch als Chef des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS an der sogenannten „Wannsee-Konferenz“ zur Koordination der Vernichtung der europäischen Juden teilgenommen. Da Himmler mit seiner Leistung als Amts-Chef unzufrieden war, sollte er sich nun eine Hierarchieebene niedriger „bewähren“. Die SS-Ränge der Oberabschnittsführer bewegten sich vom Brigadeführer (Generalmajor) bis zum Obergruppenführer (General).

Das Verhältnis der SS-Führung zu Partei und Staat entwickelte sich trotz gleicher allgemeiner Tendenzen jeweils unterschiedlich in Württemberg und Baden. Ähnlich war zum Beispiel, dass die Reichsstatthalter Himmler im Dezember 1933 innerhalb von Tagen erst in Württemberg und dann in Baden die Aufsicht über die Politische Polizei übertrugen. Der badische NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Robert Wagner (1895-1946) lieferte sich jedoch im Folgenden diverse harte Machtkämpfe mit der SS, deren Mitglied er auch nie wurde. Wilhelm Murr in Württemberg arbeitete dagegen viel enger mit der SS zusammen, wurde ihr Mitglied und erhielt ehrenhalber einen Generalsrang der SS.

Im März 1933 wurde in Baden wie in Württemberg eine Hilfspolizei aus SA, SS und Stahlhelm aufgestellt. Doch nur in Württemberg wurde aus einem Teil der SS-Hilfspolizisten eine bewaffnete Eingreiftruppe der SS erstellt, die „Politische Bereitschaft Württemberg“. In der Kaserne der Bereitschaft in Ellwangen wurde am 1. Juli 1934 Hermann Mattheiß ermordet, nachdem ihn der Führer des SS-Oberabschnitts hatte verhaften lassen. SA-Gruppenführer Mattheiß war bis kurz zuvor Leiter der Politischen Polizei Württembergs gewesen, hatte also selbst an zentraler Stelle des NS-Terrorapparats agiert. Die Bereitschaft wurde noch 1934 aus dem Oberabschnitt herausgelöst und in die „SS-Verfügungstruppe“ (später Waffen-SS) eingegliedert.

1936 wurde Himmler zum „Chef der deutschen Polizei“ ernannt. Nun konnte er eines seiner zentralen Projekte beschleunigen, die Verschmelzung der staatlichen Polizei mit der parteieigenen SS zu einem „Staatsschutzkorps“ unter seiner Führung. So wurde mit der systematischen weltanschaulichen Schulung der Polizei begonnen. Beim Inspekteur der Ordnungspolizei in Stuttgart wurde etwa der SS-Führer Ludwig Rösinger als Schulungsleiter eingesetzt, der in der Fläche von den Schulungsleitern der Einheiten der Allgemeinen-SS unterstützt wurde.

Zusätzlich schuf Himmler das Amt bzw. die Dienststellen der „Höheren SS- und Polizeiführer“ (HSSPF). Damit beauftragte er schrittweise, erstmals 1938, die Oberabschnittsführer. In den im Krieg besetzen Gebieten wurden sie ohne den Unterbau der Oberabschnitte direkt eingesetzt. Die HSSPF sollten Himmler als seine regionalen Statthalter direkten Zugriff ermöglichen und seinen Willen umsetzen, gegebenenfalls unter Umgehung der langen Befehlswege der jeweiligen SS-, Polizei- und sonstigen Ämterhierarchien. Deshalb handelte es sich bei den HSSPF um eine zahlenmäßig sehr kleine, von Himmler handverlesene NS-„Elite“, von der er ein hohes Maß an persönlichem Einsatz erwartete.

In einer für das NS-Regime typischen Weise war die Rolle der HSSPF und die institutionelle Einbindung ihrer Dienststellen aber kaum definiert. Sie ergaben sich vielmehr aus der ständigen Anhäufung staatlicher Aufgaben und Kompetenzen, die Himmler auf sich vereinte und die er an die HSSPF delegierte. Ihre Machtstellung hing auch von regionalen Verhältnissen und ihrer jeweiligen persönlichen Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Staat und Partei ab. Formell waren die HSSPF in ihrem Wehrkreis „persönlich und unmittelbar“ den Reichstatthaltern unterstellt. Dies war aber eine auslegbare Formulierung, wie sie auch für Himmlers Unterstellung unter den Reichsinnenminister galt. Im Südwesten waren das Murr und Wagner, letzterer ab 1940 auch als „Chef der Zivilverwaltung“ (CdZ) im Elsass. Die reale Macht der HSSPF hing zudem von der Kooperationswilligkeit der ihnen unterstellten Dienststellen ab. Diese waren im Normalfall viel stärker an ihre regulären Befehlsketten gebunden, das heißt etwa an das Hauptamt Sicherheitspolizei im Berliner Reichssicherheitshauptamt.

SS-Gruppenführer Kaul wurde im August 1939 zum „HSSPF Südwest“ ernannt. Seine Aufsichts- und Koordinationsrolle erstreckte sich im Wehrkreis V neben dem SS-Oberabschnitt auf die Sicherheitspolizei (Gestapo und Kripo), den Sicherheitsdienst der SS (SD), die Ordnungspolizei (Schutzpolizei und Gendarmerie) sowie Feuerwehr und Technische Nothilfe. Um die Stellung Kauls zu stärken, wurde er im April 1941 zum Generalleutnant der Polizei ernannt. Im Juni 1941 wurde er zum Ministerialdirektor für Polizeiangelegenheiten in das württembergische Innenministerium berufen.

Kaul bzw. später Hofmann oblag der Aufbau der SS im Elsass, die Fürsorge für verletzte Angehörige der Waffen-SS und Hinterbliebene, Ergänzung der SS (insbesondere durch Nachwuchswerbung in der Hitlerjugend), Werbung und Vorprüfung von „SS-Helferinnen“ im Fernmeldewesen, Zusammenarbeit mit dem SS-Verein „Lebensborn“, der Betrieb von „SS-Sportgemeinschaften“, Luftschutzmaßnahmen und einiges mehr. Eine erhebliche Ausweitung der Befugnisse ergab sich ab 1940 aus der Funktion Himmlers als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“. Der HSSPF Südwest befasste sich in großem Maße mit der Betreuung von „volksdeutschen“ Umsiedlern und der „rassischen“ und erbbiologischen Begutachtung der elsässischen Bevölkerung, mit allen damit verbundenen Konsequenzen wie der „Ansiedelung“ erwünschter und „Absiedelung“, das heißt Ausweisung unerwünschter Bevölkerungsteile. Im September 1944 wurden die HSSPF auch zu „Höheren Kommandeuren für das Kriegsgefangenenwesen“ ernannt.

Den allgemeinen Auflösungserscheinungen gegen Ende des Krieges begegnete Hofmann mit rücksichtslosem Durchhalteterror und Standgerichten. 1948 wurde er zu 25 Jahren Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verurteil. Er wurde aber bereits 1954 begnadigt, lebte als kaufmännischer Angestellter in Württemberg und verstarb 1982 in Bad Mergentheim.

Text: Heiko Wegmann
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Bundesarchiv Berlin NS 19/998, SS-Oberabschnitt Südwest, Halbjahresbericht für das 1. Halbjahr 1941.
Bundesarchiv Berlin NS 33/190, SS-Oberabschnitt Südwest, Halbjahresbericht für das 2. Halbjahr 1943.
Bundesarchiv Berlin SSO Kurt Kaul.
Staatsarchiv Ludwigsburg PL 506, SS-Einheiten in Württemberg.
Statistisches Jahrbuch der Schutzstaffel der NSDAP 1938.
SS-Gruppenführer Kaul (Porträt zum 50. Geburtstag), in: Schwäbischer Merkur vom 4. Oktober 1940.

Literaturhinweise:

Ruth Bettina Birn, Die höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten, Düsseldorf 1986.
Hans Buchheim, Die Höheren SS- und Polizeiführer, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 4 (1963), S. 362-391.
Bastian Hein, Elite für Volk und Führer? Die Allgemeine SS und ihre Mitglieder 1925-1945, München 2012.

Publiziert am: 01.09.2022
Empfohlene Zitierweise:
Heiko Wegmann, SS-Oberabschnitt und Höhere SS- und Polizeiführer Südwest, publiziert am 01.09.2022 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/f5677240-ae6b-4fca-9ca5-40129e38dcd5/SS-Oberabschnitt_und_Hoehere.html