Der Bismarckturm zählt zu den zahlreichen, in der Zeit um 1900 errichteten Denkmälern, die das Stuttgarter Stadtbild bis heute prägen. Denkmal und Denkmalumgebung bilden einen beliebten Ausflugs- und Naherholungsort inmitten der Landeshauptstadt. Der politische Kontext, der zur Errichtung dieser Gedenkstätte führte, ist hingegen im kollektiven Gedächtnis der Gegenwart kaum mehr präsent.
Bereits zu Lebzeiten, vor allem jedoch nach seinem Tod wurde der langjährige preußische Ministerpräsident und erste Kanzler des Deutschen Reichs Otto von Bismarck (1815-1898) durch die Errichtung einer Vielzahl von Monumenten geehrt. Die Bismarckdenkmäler wiesen verschiedenste Formen auf. Es gab Bismarck-Gedenktafeln, Bismarck-Reliefs, Bismarck-Gedenksteine, Bismarck-Büsten, Bismarck-Standbilder und Bismarck-Brunnen. Eine besondere Form der Bismarckverehrung stellten Bismarck-Türme bzw. Bismarck-Feuersäulen dar. Bei diesen Bauten handelte sich um eine – vor allem von der Studentenschaft propagierte – unpersönliche Form der Erinnerung, die nicht nur den Reichgründer ehren sollte, sondern auch einem völkisch grundierten Nationalismus Ausdruck verlieh. Drei Formen der Türme bzw. Feuersäulen sind zu unterscheiden: reine Aussichtstürme, reine Feuersäulen und Aussichtstürme mit Feuerungsmöglichkeit.
Die Errichtung der Bismarcktürme war mit der Idee einer „Feuerkette“ verbunden. Durch das Entzünden von Feuern auf allen Türmen und Feuersäulen in den deutschen Staaten sollte an bestimmten Gedenktagen an die Rolle Otto von Bismarcks als „Schmied des Deutschen Reiches“ erinnert werden. Die Idee einer reichsweiten Feuerkette setzte sich nicht durch, vor allem weil man sich nicht auf einen Termin für die Aktion einigen konnte. Die Befeuerung erfolgte daher an den verschiedenen Standorten von Bismarcktürmen an unterschiedlichen Gedenktagen: an Bismarcks Geburtstag am 1. April, zur Sommersonnenwende am 21. Juni, an Bismarcks Todestag am 30. Juli und an den Jahrestagen der Schlacht von Sedan am 2. September.
Im Königreich Württemberg entstanden lediglich zwei der insgesamt 240 im Deutschen Reich errichteten Bismarcktürme. Eine Feuersäule in Stuttgart wurde 1904 eingeweiht, eine zweite in Tübingen 1907. Die sehr geringe Zahl von Bismarckdenkmälern in Württemberg fügt sich in eine – im Vergleich zu Preußen – insgesamt verhaltene Rezeption des Bismarckkultes im Königreich. Der Reichskanzler wurde in weiten Teilen Süddeutschlands vor allem als Exponent preußischer Politik und Tradition wahrgenommen und konnte aus diesem Grund nur sehr eingeschränkt als nationale Integrationsfigur fungieren. Besonders die Katholiken standen Bismarck seit dem Kulturkampf distanziert gegenüber. In protestantischen Gebieten, vor allem in den früheren Reichsstädten, diente Bismarck hingegen in stärkerem Maße als Symbol nationaler Einheit und Größe.
Die Errichtung der beiden Denkmäler in Stuttgart und Tübingen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts fällt in eine Hochphase der Bismarckverehrung. Der Bau von Bismarcktürmen und -feuersäulen hatte noch zu Lebzeiten des Reichsgründers in den 1890er Jahren eingesetzt, erlangte jedoch vor allem nach seinem Tod am 30. Juli 1898 Popularität. Wegweisend wurde ein Aufruf der Deutschen Studentenschaft zum Bau von Bismarcksäulen im Dezember 1898, der mit einem Wettbewerb um die Gestaltung der Denkmäler verbunden war. Vorgegeben war dabei, dass die Gedenkstätten in der Form eines Turmes errichtet werden sollten. Im Jahr 1902 wurde mit der Errichtung von 30 Bismarcktürmen bzw. -feuersäulen der Höhepunkt dieser Form des Bismarckkultes erreicht.
Die beiden Bismarcksäulen in Stuttgart und Tübingen ragen aufgrund ihrer architektonischen Formensprache und ihres völkisch-nationalistischen Sinnkontextes aus der württembergischen Denkmallandschaft um 1900 heraus. Die Errichtung der Turmbauten wurde wie andernorts von Hochschulstudenten angestoßen und getragen, in Stuttgart von den Angehörigen der Technischen Hochschule und der Königlichen Tierarzneischule, in Tübingen von den Universitätsstudenten. Die spezifische Trägergruppe unterschied die Bismarcktürme von anderen württembergischen Denkmalprojekten des ausgehenden 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, die üblicherweise vom Bürgertum oder von staatlichen Einrichtungen propagiert und gefördert wurden. Auch in Württemberg zeigte sich demnach, dass der Bismarckkult insbesondere für die angehenden Akademiker einen Anknüpfungspunkt für die von ihnen intendierte mythische Überhöhung einer – völkisch gedachten – Nation darstellte.
Der Bau des Stuttgarter Bismarckturms wurde seit Mai 1899 geplant. Die Koordination des Denkmalprojekts übernahm ein studentischer Ausschuss. Das Gremium bestimmte am 30. Mai 1899 den höchsten Punkt im Norden der Residenzstadt, den 409,5 Meter über Normalnull gelegenen Gähkopf, als gewünschten Bauplatz für die Gedenkstätte. Die Stadt Stuttgart stellte das von den Studenten gewählte Grundstück nach Prüfung auf Eignung kostenlos zur Verfügung. Die Grundsteinlegung fand am 14. November 1902 statt. Der Baubeginn verzögerte sich jedoch aus finanziellen Gründen bis 1904. Als Bauleiter konnte der Architekt und Regierungsbaumeister Karl Heim (Fa. Heim & Früh) gewonnen werden. Für die Ausführung des Baus war Heinrich Nagel aus Stuttgart verantwortlich. Das Denkmal konnte schließlich nach dreimonatiger Bauzeit am 16. Juli 1904 eingeweiht werden. Bei der Einweihungsfeier war hochrangige politische Prominenz anwesend, so der württembergische Ministerpräsident Wilhelm von Breitling (1835-1914) und der preußische Gesandte in Stuttgart, Ludwig Graf von Plessen-Cronstern (1848-1929). Mit der Einweihung wurde der Bismarckturm der Stadt Stuttgart überantwortet.
Die Ausführung des ca. 40.000 Mark teuren und durch Spenden finanzierten Stuttgarter Turms ist in vieler Hinsicht konventionell. Die Gestaltung folgte dem Entwurf „Götterdämmerung“ von Wilhelm Kreis (1873-1955), der reichsweit bis 1911 47-mal realisiert wurde. Kreis‘ Konzeption war 1898/99 im oben erwähnten Wettbewerb der Deutschen Studentenschaft zur Gestaltung von Bismarcktürmen unter 320 eingereichten Entwürfen mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden. Kreis entwarf die Bismarcktürme als wuchtige, monumentalistische Feuersäulen.
Die Stuttgarter Säule, aus Keupersandstein gefertigt und 20 Meter hoch, erhebt sich auf einem zweistufigen Podest. Der quadratische Turmsockel weist eine Kantenlänge von 8,60 Meter und eine Höhe von 2,30 Meter auf. Wie bei den Feuersäulen des Typs „Götterdämmerung“ üblich, bestehen die vier Kanten des Turmschafts aus Dreiviertelsäulen. Sie stützen den Architrav ab. Die Mauerstärke des Stuttgarter Turms beträgt 1,13 Meter. Auf dem Turmschaft ruht der 4,20 x 4,20 Meter große Turmkopf, der eine Aussichtsplattform enthält. Dort befand sich, auf einer schmiedeeisernen Tragekonstruktion montiert, in der originalen – später veränderten – Konstruktion die quadratische, an den Ecken abgerundete Feuerschale. Sie wies eine Seitenlänge von 2,50 Meter auf. Das in der Schale zu entzündende Feuer wurde durch ein Röhrensystem genährt, sodass eine Flammenhöhe von 3 bis 5 Meter erreicht werden konnte. Die Aussichtsplattform des Turmgebäudes ist über eine Treppe mit 92 Stufen begehbar. Am Säulenschaft zur Stadtseite (Süden) ist ein steinernes Reichsadlerrelief angebracht. Am Sockel findet sich die Inschrift „AUSGEFUEHRT/VON DEM BAUGESCHAEFT/H. NAGEL“.
Der Stuttgarter Bismarckturm symbolisiert wesentliche Elemente der politischen Kultur des Wilhelminischen Zeitalters. Die entindividualisierte Gestaltung des Bismarckdenkmals sowie seine formale Strenge und Massivität sind einem Monumentalismus verpflichtet, der – auf völkisch-germanisierenden Denkmustern aufbauend – zeitgenössische Sehnsüchte nach nationaler Größe spiegelt und als architektonischer Beitrag zu einer Mythisierung und Sakralisierung der Nation zu verstehen ist. Entsprechend seiner Bestimmung, einen Anknüpfungspunkt für nationalistische Kulte zu bilden, wurden auf dem Stuttgarter Bismarckturm bis 1914 jeweils zur Sonnenwende studentische Bismarckfeiern durchgeführt. Hierbei wurde die Feuerschale entzündet. Daneben diente der Turm bereits in den ersten Jahren seines Bestehens als Aussichtsturm für Ausflügler.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden die im Krieg unterbrochenen Bismarckfeiern nicht wiederaufgenommen. 1928 erfolgte eine größere bauliche Veränderung, die mit einer grundlegenden Nutzungsänderung verbunden war. Unterhalb der Aussichtsplattform wurde ein Wasserbehälter mit einem Fassungsvermögen von 25 Kubikmeter eingebaut. Der Bismarckturm diente fortan als Wasserturm. Die Feuerschale sowie die sie tragende Konstruktion wurden vor 1941 entfernt und durch eine Holzkonstruktion ersetzt.
Von den 1950er Jahren bis 2002 war der Bismarckturm der Öffentlichkeit nicht zugänglich. 1994 wurde das zunehmend baufällige Denkmal nach dem Abbrechen mehrerer Steinbrocken aus Sicherheitsgründen durch einen Metallzaun abgeriegelt. Nachdem in den 1950er und in den 1980er Jahren bereits Sanierungen des Denkmals durchgeführt worden waren, konnten die bestehenden Bauschäden erst durch eine von der Bürgerschaft angestoßene und in den Jahren 2001/02 durchgeführte weitere Sanierung behoben werden. Der Wasserbehälter, der bis in die ausgehenden 1980er Jahre genutzt wurden war, war bereits zuvor ausgebaut worden.
Seit 2002 ist der Bismarckturm im Sommerhalbjahr begehbar. Durchschnittlich besuchen über 6.000 Besucher pro Jahr das Denkmal. Im Jahr 2004 wurde das 100-jährige Bestehen des Turms gefeiert, im Jahr 2015 der 200. Geburtstag Bismarcks.
Der Bismarckturm wird vom Bürgerverein Killesberg und Umgebung e. V. betreut.