Ab 1764 ließ Herzog Karl Eugen von Württemberg das Schloss Solitude sowie die dazugehörigen Gartenanlagen als Rückzugsort und Jagdresidenz errichten. Heute zeugt nur noch der erhaltene Hauptbau mit seinen Flügeln und Pavillons vom einstigen Glanz.

Die Wälder zwischen Stuttgart und Leonberg dienten den Herrschern Württembergs als Jagdgebiet. Bei einer Herbstjagd im Jahr 1763 entschied Herzog Karl Eugen (1728-1793), auf einer exponierten Hügelkuppe ein neues Schlösschen zu erbauen, das er „La Solitude“ – die Einsamkeit – nennen wollte. Mit großem Aufwand an Mensch und Material wurde der Bau in der fast unerschlossenen Gegend in den folgenden Jahren betrieben.

Zunächst dachte der Herzog wohl wirklich nur an eine Eremitage – einen Rückzugsort. Doch nach kurzer Zeit ließ er einen Lustgarten, ein Theater und Räume für den Hofstaat einrichten. Hierzu mögen ihn nicht nur seine sprichwörtliche „Bauwut“, sondern auch die innenpolitischen Verhältnisse bewogen haben. Denn die württembergische Landschaft – die Ständevertretung – hatte ihn wegen Eigenmächtigkeiten und Verschwendung 1764 bei der Reichshofkammer in Wien verklagt. Erzürnt verlegte er die Residenz von Stuttgart, der Stadt der Stände, nach Ludwigsburg, die seitherige Sommerresidenz. Nun benötigte er einen neuen, angemessenen Sommersitz. Was lag näher, als die gerade begonnene Solitude hierfür auszubauen?

Das zentrale Schloss – ein Pavillon-Ensemble – besteht noch heute. Es wurde baulich bis 1767, im Inneren jedoch erst 1769 vollendet. Der Grundgedanke für die Gebäude stammt wohl vom Herzog selbst, dem sachverständige Helfer zur Seite standen: Johann Friedrich Weyhing und Jakob von Scheeler. Das Hauptgebäude besitzt ein Sockelgeschoss, das von einem umlaufenden Altan umgeben ist. Auf ihm erhebt sich die Beletage, das Hauptgeschoss, zu dem zwei schwungvolle Freitreppen empor führen. Die ovale Kuppel dominiert den Gesamteindruck. Alle Räume dienten ausschließlich der Repräsentation. Ihre Ausstattungen entwarf der in Frankreich geschulte Architekt Philippe de la Guêpière. Die Freitreppen münden in den Weißen Saal, in dem die Empfangszeremonien endeten. Im östlichen Flügel befanden sich Gesellschaftsräume, im westlichen die offizielle Wohnung Karl Eugens. Diese Räume wurden zwar Besuchern gezeigt, der Herzog hat sie aber nie wirklich bewohnt. Das Sockelgeschoss beherbergte Gästezimmer und luftig ausgemalte Sommerräume.

Das Hauptgebäude wird durch zwei Flügelbauten hinterfangen. Im östlich gelegenen „Cavaliersbau“ befand sich die tatsächliche Wohnung des Herzogs. Sie bestand aus bequem eingerichteten und gut beheizbaren Zimmern. Von hier aus gelangte er direkt in die Kirche, die in einem rückwärtigen Trakt untergebracht wurde. Hierbei handelte es sich zunächst um eine katholische Schlosskapelle; Herzog Karl Eugen war katholisch. Das Deckengemälde – und vielleicht auch der Gesamtentwurf – stammen vom Hofmaler Nicolas Guibal. Seitlich der Wohnung schlossen sich Gesellschafträume für die Suite – das Gefolge – an. Dieses bestand aus Kavalieren und Damen des Hofes sowie den Mätressen des Herzogs.

Im westlich gelegenen „Officenbau“ befanden sich eine Bildergalerie, Verwaltungs- und Wirtschaftsräume sowie das nicht mehr erhaltene kleine Theater. Ursprünglich schlossen sich auf beiden Seiten dieses Kerns der Gesamtanlage jeweils zehn Pavillons an, heute sind nur noch 16 erhalten. Die im Volksmund als „Kavaliershäuschen“ bezeichneten Bauten dienten ganz unterschiedlichen Zwecken; drei beherbergten Küchen, drei andere Billardzimmer, einer die „Haus-Schneiderey“, der aufwendigste den Sommer-Speisesaal.

Der Lustgarten erstreckte sich südlich des Schlosses. Sein Mittelbereich wurde 1764 bis 1766 angelegt. Er umfasste u.a. Volieren, den Kleinen Lustsee, das Heckentheater, Spielplätze sowie ein Blumenquartier und den Lorbeer- und Feigengarten. Insgesamt glich das Ganze einem weitläufigen Labyrinth.

Nach 1766 wurde der Lustgarten schrittweise erweitert und schließlich an Umfang verdreifacht. Im Osten traf man auf den Garten am Chinesischen Haus, die Orangerie und die Plantage um das Große Bassin. In dessen Mitte erhob sich ein Inselpavillon, den man mit Gondeln anfuhr. Westlich befanden sich der französische Obstbaumgarten und die sogenannte Maille mit Terrassen.

Bis 1772 ließ der Herzog weitere Bauwerke errichten. Neben dem Chinesischen Haus entstanden der Lorbeer-Saal als Festgebäude, eine Reithalle, der Marstall für über 300 Pferde, eine evangelische Kirche, mehrere Gewächshäuser und der Platz beim Monument, in dessen Zentrum sich ein vergoldetes Reiterstandbild des Herzogs erhob. Vieles wurde begonnen, etliches nie vollendet.

Ein Kranz von Lusthäusern säumte die weitläufigen Schloss- und Gartenanlagen. Diese „Dépendancen“ dienten als Ausflugsziele. Zu den kleineren gehörten das Studentenbäumle oder das Haus auf dem Saufang, zu den größeren die Fasanerie im Herdtle bei Weilimdorf und natürlich das – noch heute populäre – Bärenschlössle. Auf dem dazugehörigen See veranstaltete Herzog Karl Eugen rauschende Gondelfeste und idyllische Angelpartien.

Für die Gartenanlagen und fast alle Gebäude, die nach 1768 entstanden, schuf der neue Hofbaumeister Reinhard Ferdinand Heinrich Fischer die Entwürfe. Unter seiner Ägide entstand 1784 auch der berühmte Kupferstich, der die Gesamtanlage des Schlosses und seiner Gärten zeigt. Vieles war so gar nicht ausgeführt, anderes zu diesem Zeitpunkt längst in Verfall geraten. Dem Herzog ging es bei dieser Wiedergabe sicherlich darum, der Nachwelt zumindest einen Eindruck der bereits schwindenden Pracht zu hinterlassen.

1771/72 gründete Karl Eugen auf der Solitude die „Militairische Pflantz-Schule“, die zunächst als Ausbildungsstätte vorwiegend für Kriegswaisen gedacht war, 1781 aber als Hohe Karlsschule zur Universität erhoben wurde.

Noch heute ranken sich Legenden um die „Solitude-Allee“. Diese schnurgerade, 13 Kilometer lange Straße ließ der Herzog als Schnellverbindung nach Ludwigsburg anlegen. Alles, was dem Bau im Weg stand, wurde beseitigt, unklare Besitzverhältnisse kurzerhand zugunsten des Herzogs „korrigiert“. Die Nutzung war sehr eingeschränkt: Die Allee war nur ihm selbst, seinem Hofstaat, seinem Tross und dem Theater vorbehalten. Ihren ganzen Glanz entfaltete die Allee bei Empfängen hoher Fürstlichkeiten. Hier zeigte sich auch ihr gestalterischer Hintergrund: Das ganze Land sollte sinnbildlich den beiden Herrschersitzen – Ludwigsburg und Solitude – zu- und untergeordnet werden. Historische Bedeutung erlangte die Allee 1818 bis 1820: Johann Friedrich von Bohnenberger nahm diese als Ausgangslinie für die Vermessung Württembergs.

1775 verlegte Karl Eugen die Residenz von Ludwigsburg wieder nach Stuttgart. Sein Lieblingsaufenthalt wurde in jenen Jahren jedoch Hohenheim. Infolgedessen wurde es auf der Solitude ruhig. Sie war unmodern geworden und verfiel allmählich. Anlässlich des Besuchs des Großfürsten Paul und seiner württembergischen Gemahlin, Maria Feodorowna, ließ Karl Eugen 1782 die Anlagen ein letztes Mal herausputzen. Danach war die Verwilderung der pflegeintensiven Gärten nicht mehr aufzuhalten. Viele Gebäude wurden beseitigt oder auf Abbruch verkauft. Der Herzog überließ weite Teile des frei werdenden Geländes Johann Caspar Schiller. Der Vater Friedrich Schillers nutzte das schwierige Terrain – karge Böden, Wasserarmut – für seine Versuche in der Obstbaumzucht.

Nach 1800 erlebte die Solitude eine wechselvolle Geschichte. Am besten erging es den Jagdwäldern zwischen Schloss und Bärensee: Die Könige Friedrich und Wilhelm I. formten die Wildgehege aus der Zeit Karl Eugens zum exklusiven Jagdrevier. Wilhelm I. (1781-1864) ließ das alte Bärenschlössle 1817/18 durch einen neuen Bau ersetzen und das Terrain mit einigen, noch heute vorhandenen Jagdpavillons bereichern. Seit 1918 ist das Gelände der Öffentlichkeit uneingeschränkt zugänglich. In Etappen – 1939 und 1958 – wurde der Rot- und Schwarzwildpark unter Naturschutz gestellt. Er erfreut sich größter Beliebtheit als Naherholungsziel.

Schloss Solitude selbst verwaiste. Die Flügelbauten wurden seit den Revolutions- und Befreiungskriegen bis zum Zweiten Weltkrieg immer wieder zum Lazarett. König Friedrich nutzte den Hauptbau gelegentlich noch als Jagdabsteige. Seinem Sohn war das unmodern gewordene Rokoko so zuwider, dass er alles auf Abbruch verkaufen wollte, jedoch keinen Käufer fand. Schon um 1840 war das verschmähte Rokoko wieder interessant und erste Touristen stellten sich ein. In den Nebengebäuden entstand ein Hotel mit Gastronomie.

König Karl (1823-1891) schätzte das 18. Jahrhundert und ließ das Schloss 1869 bis 1875 nach den modernsten Methoden der Zeit sanieren: Man arbeitete die Fassade des Hauptbaus in Zementputz nach. Dies stellte sich im Nachhinein als großes Unglück heraus, denn die Fachwerkkonstruktion des Obergeschosses begann unter dem dichten Material zu faulen. So galt das Schloss in den 1960er Jahren als unrettbar und wurde geschlossen. In mehreren Etappen restaurierten und sanierten Bund und Land zunächst 1973 bis 1983 das Hauptgebäude und bis 1990 die Flügel aufwendig.

Heute stellt Schloss Solitude eine der bedeutendsten Attraktionen Stuttgarts dar. Nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg beherbergt die Landeshauptstadt nur noch wenige original erhaltene Räumlichkeiten, die vom württembergischen Herrscherhaus genutzt wurden. Die Repräsentationsräume der Solitude sind die einzigen, die als Raumkunstmuseum der Öffentlichkeit zugänglich sind. Die eleganten Dekorationen des Musik-, des Assemblée- sowie des Vor- und Palmenzimmers sind hervorragende Beispiele des Spätrokoko. Der Weiße Saal mit dem Deckenbild von Nicolas Guibal und der Marmorsaal hingegen zeigen den Wandel zum frühen Klassizismus. Im Sockelgeschoss sind das Scagiola-Kabinett und einige der Sommerzimmer zugänglich. Ergänzt werden die historischen Räumlichkeiten durch Informationsräume zur Geschichte des Schlosses.

Im Officenbau und im größten der Kavaliershäuschen ist seit 1990 die Akademie Schloss Solitude beheimatet. Stipendiaten aus aller Welt und aus allen Gattungen der Künste setzen seitdem die künstlerische Tradition an diesem außergewöhnlichen Ort fort.

In einem der wenigen erhaltenen historischen Nebengebäude werden Arbeiten des Bildhauers Fritz von Graevenitz (1892-1959) gezeigt, der auf dem Gelände lebte und arbeitete.

Text: Michael Wenger
Schlagwort: Stuttgart-West
Literaturhinweise:

Hans Andreas Klaiber, Der Württembergische Oberbaudirektor Philippe de La Guêpière. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte der Architektur am Ende des Spätbarock, Stuttgart 1959.
Gotthilf Kleemann, Schloß Solitude bei Stuttgart. Aufbau, Glanzzeit, Niedergang, Stuttgart 1966.
Annegret Kotzurek, Von den Zimmern bey Hof. Funktion, Disposition, Gestaltung und Ausstattung der herzoglich-württembergischen Schlösser zur Regierungszeit Carl Eugens (1737-1793), Berlin 2011.
Michael Wenger, Die Gärten des Schlosses Solitude, Stuttgart 1991, unveröff. Magisterarbeit.
Michael Wenger, Schloss Solitude, Berlin/München 22014.
Oskar Widmann, Reinhard Ferdinand Heinrich Fischer 1746-1812. Ein Beitrag zur Geschichte des Louis XVI. in Württemberg, Stuttgart 1928.

GND-Identifier: 4104827-1
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wenger, Schloss Solitude, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/ef3f1a3b-ec4c-4863-83b5-8005921a04dd/Schloss_Solitude.html