Karl Lautenschlager hat als Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart von 1911 bis 1933 die städtebauliche Entwicklung Stuttgarts zur modernen weltoffenen Großstadt gefördert. Als liberaler und um Ausgleich bemühter Politiker fand er bei allen demokratischen Parteien Unterstützung. Er vertrat eine moderne, bürgernahe Kommunikationspolitik und sprach sich gegen politisch extremistische Bestrebungen und Antisemitismus aus.

Karl Lautenschlager wurde am 15. Mai 1868 in Stuttgart als Sohn des Rechtsanwalts und Bankdirektors Karl Ernst Lautenschlager (1828-1895) und Sofie Wilhelmine Lautenschlager (1831-1902) geboren. Er besuchte zunächst das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium, dann das Karls-Gymnasium, auf dem er 1887 das Abitur ablegte. Nach dem Militärdienst studierte er in Tübingen und Leipzig Staats- und Rechtswissenschaften. Er legte 1892 das Erste Staatsexamen ab und schlug eine Laufbahn im höheren württembergischen Verwaltungsdienst ein. Nach verschiedenen Funktionen wurde er 1897 Amtmann der Stadtdirektion Stuttgart und stieg hier bis zum Regierungsrat auf.

Lautenschlager heiratete 1899 Anna Werlitz (1877-1910), mit der er zwei Töchter hatte. Nach dem frühen Tod seiner Frau heiratete er 1912 Emma Rustige (1881-1966), aus der Ehe gingen ebenfalls zwei Töchter hervor.

1911 kandidierte Lautenschlager als Nachfolger des parteilosen Stuttgarter Oberbürgermeisters Heinrich von Gauß (1858-1921). Politisch stand er der liberalen württembergischen DVP nahe, war jedoch selbst nie Parteimitglied. Am 12. Mai 1911 wurde er mit Unterstützung der Konservativen, des Zentrums und der Liberalen mit knapper Mehrheit vor dem Sozialdemokraten Hugo Lindemann (1867-1949) in das Amt gewählt.

Als Oberbürgermeister konzentrierte sich Lautenschlager anfangs auf die städtische Wasserversorgung, den Bau einer Kläranlage und Vorarbeiten für den Neckarkanal. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurden die zwei von der Stadt bezuschussten Häuser des Hoftheaters sowie die Markthalle und das Kunstgebäude eingeweiht. Kulturell interessiert engagierte er sich in leitenden Ehrenämtern im Deutschen Ausland-Institut, in der Schwäbischen Volksbühne sowie beim Schwäbischen Kunstverein, den Freunden der Kunstakademie und in der Musikhochschule. Lautenschlager setzte sich als Oberbürgermeister der Industriestadt für die Belange der Arbeiter und Angestellten ein und nutzte hierfür auch seine guten Kontakte zur Wirtschaft. Er unterstützte soziale Projekte wie etwa die genossenschaftlich gegründete Arbeitersiedung Luginsland. Als es 1913 in den Werken des Stuttgarter Großindustriellen Robert Bosch zum Streik kam, bot sich Lautenschlager als Schlichter an. Bosch wiederum überreichte Lautenschlager bereits zu Kriegsbeginn am 4. August 1914 einen Scheck über 100.000 Reichsmark für die Unterstützung der im Krieg Not leidenden Bevölkerung.

Früh erkannte Lautenschlager die Bedeutung einer koordinierten Kommunikation der Behörden mit den Medien. Nach jahrelangen Vorarbeiten gelang es ihm schließlich, 1920 in der Stadtverwaltung eine Pressestelle zu etablieren. Die professionellere Information der Medien erhöhte rasch den Anteil der Presseberichte über die Vorhaben und Entscheidungen im Gemeinderat.

Trotz der Revolution im November 1918 blieb die Kontinuität des städtischen Verwaltungspersonals gewahrt und sorgte dafür, dass die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Nachkriegszeit wie die Nahrungsmittelversorgung bewältigt wurden.

Obwohl sich Lautenschlager als überparteilich verstand, bezog er auch politisch Position. So wehrte sich das Stadtoberhaupt öffentlich gegen den wachsenden Antisemitismus in Stuttgart: Am 19. Januar 1919, dem Tag vor der verfassunggebenden Versammlung, erschien in fast allen Stuttgarter Zeitungen eine von Lautenschlager angeführte Anzeige nichtjüdischer Bürger gegen den eskalierenden Antisemitismus. In einer Erklärung Lautenschlagers im „Staatsanzeiger“ verurteilten er und zahlreiche Stuttgarter Bürger die publizistischen Auseinandersetzungen und forderten die „Beilegung der Streitigkeiten über Rasse- und Bekenntnisfragen“. Eine solche Positionierung von Nichtjuden gegen den Antisemitismus in der Weimarer Republik war selten.

Für die erfolgreiche Arbeit bestätigten die Stuttgarter 1921 Lautenschlager mit klarer Mehrheit für weitere 10 Jahre im Amt. Der einzige ernsthafte Gegner im Wahlkampf, der DDP-Stadtrat und Verwaltungsjurist Fritz Elsas (1890-1945), hatte wegen antisemitischer Angriffe seine Kandidatur nicht aufrechterhalten.

In den 1920er Jahren legte Lautenschlager sein Augenmerk besonders auf die Infrastruktur in der rasant wachsenden Stadt. Städtebaulich sind hier beispielhaft der neue Hauptbahnhof, der Neckarkanal und die Ausfallstraßen zu nennen. Mehrere Schwimmbäder wurden gebaut, unter anderem 1929 im Stadtteil Heslach eines der größten Hallenbäder Süddeutschlands im Stil der Neuen Sachlichkeit. Nach der Inflationszeit entwickelte sich die Stadt zum wirtschaftlichen Zentrum Südwestdeutschlands. Durch Eingemeindungen stieg die Einwohnerzahl von 290.000 (1911) auf 405.000 (1932).

Dem steigenden Energiebedarf kamen die städtischen Betriebe nach. Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke vervielfachten ihre Leistungen – das umgebaute Dampfkraftwerk, das 1925 in Betrieb genommen wurde, steigerte seine Leistungsfähigkeit von 1921 bis 1929 von 38 auf 124 Millionen Kilowattstunden. Auch das Straßenbahnstreckennetz wurde in Lautenschlagers Amtszeit erweitert.

Insbesondere der Bau der Weißenhofsiedlung bewies Lautenschlagers Aufgeschlossenheit gegenüber der Moderne. Trotz vieler Angriffe von Traditionalisten setzte er dieses architektonische Vorhaben mutig um. Der Stuttgarter Gemeinderat beschloss im Frühjahr 1926, im Rahmen des Wohnungsbauprogramms für die kommenden beiden Jahre rund 60 Wohneinheiten zu errichten. Die geschlossene Siedlung entstand nach den Vorschlägen des Deutschen Werkbundes. Am 23. Juli 1927 eröffnete die Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“. Das Medienecho im In- und Ausland war positiv, der Publizist Erich Schairer (1887-1956) zum Beispiel lobte in der „Sonntags-Zeitung“ am 25. September 1927 die Ausstellung als „eine erlösende Tat, für die dem Werkbund und der Stadt Stuttgart Dank und Anerkennung gebührt“. Sie habe gezeigt, dass es möglich sei, „Häuser und Wohnungen herzustellen, wie sie zu unserer Zeit gehören“. Für die Siedlung erntete Lautenschlager lediglich von einigen einheimischen Traditionalisten harsche Kritik. Die konservative Presse und auch der Leiter der Stuttgarter Schule Paul Bonatz (1877-1956) kritisierten die Siedlung vehement. Die Polemiken reichten vom Vergleich der Siedlung mit einer „Vorstadt Jerusalems“ (Paul Bonatz im „Schwäbischen Merkur“) bis hin zu persönlichen Beleidigungen Lautenschlagers durch Werner Hegemann (1881-1936), der ihm in „Wasmuths Monatsheften für Baukunst“ unterstellte, er sei bei dem Bauvorhaben von Dritten manipuliert worden.

Auch der Bau eines weiteren Wahrzeichens der Moderne, des Tagblatt-Turms, fand Lautenschlagers Unterstützung. Als „Wolkenkratzer für republikanische Zeitungsleser“ setzte sich 1928 im Gemeinderat der moderne Entwurf Ernst Otto Oßwalds (1880-1960) gegen den traditionellen von Paul Bonatz durch – das erste in Sichtbeton errichtete Hochhaus der Welt ist noch heute ein bedeutendes Architekturdenkmal des Neuen Bauens.

Bei seiner dritten Oberbürgermeisterwahl am 26. April 1931 gewann Lautenschlager klar gegen die Kandidaten von NSDAP und KPD. Nach dem Gesetz hätte Lautenschlager nun 15 Jahre amtiert, doch die Nationalsozialisten drängten ihn 1933 aus dem Rathaus. Am 16. März 1933 setzten sie den nationalsozialistischen Stadtrat Dr. Karl Strölin (1890-1963) als Staatskommissar ein. Lautenschlager agierte fortan nur noch als privilegierter Sachbearbeiter und verschloss sich dem Wunsch der braunen Machthaber nach einem schnellen und reibungslosen Machtwechsel nicht. Am 15. Mai 1933 schied er aus dem Amt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war für Lautenschlager aufgrund seines Alters eine erneute Amtsübernahme nicht mehr möglich. Er unterstützte den ersten Nachkriegsbürgermeister Arnulf Klett (1905-1974) als Berater beim Wiederaufbau der Stadt, die ihm am 21. September 1945 das Ehrenbürgerrecht verlieh. Im November 1945 sprach Lautenschlager im Staatstheater anlässlich einer Kundgebung der DVP und drückte seine Hoffnung aus, dass künftig – im Unterschied zu den Weltanschauungsparteien der Weimarer Republik – nur wenige Volksparteien im politischen Leben in Erscheinung treten mögen, die sich mit anständigen Mitteln gegenseitig kontrollieren sollten.

Während sich seine zweite Frau Emma noch in der Freien Wählervereinigung engagierte, übernahm Lautenschlager kein öffentliches Amt mehr. Er starb 1952 im Alter von 84 Jahren. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Stuttgarter Waldfriedhof.

Text: Jörg Schweigard
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Hauptstaatsarchiv Stuttgart J 191, Dr. Karl Lautenschlager, M 430/1 Bü 1607.
Stadtarchiv Stuttgart, Bestand Depot A, Sign. B VII 5 c Bd. 6 Nr. 17/17a.

Literaturhinweise:

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Jörg Schweigard, Stuttgart in den Roaring Twenties. Politik, Gesellschaft, Kunst und Kultur in Stuttgart 1919-1933, Karlsruhe 2012.
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Dietrich Worbs, Stuttgarter Schule und Neues Bauen im Stuttgart der zwanziger Jahre, in: Stuttgart, Stadt im Wandel, hg. von Andreas Brunold, Tübingen 1997, S. 35-45.

GND-Identifier: 116769491
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Jörg Schweigard, Karl Albert Lautenschlager (1868-1952), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/e4f313cf-c842-45b5-8554-95ceea1d125e/Karl_Albert_Lautenschlager.html