Der Stuttgarter Künstler Willi Baumeister (1889-1955) gehört zu den wichtigsten deutschen Vertretern der klassischen Moderne. Unter den Nationalsozialisten verfemt begab er sich in die innere Emigration. Nach 1945 erhielt er eine Professur in Stuttgart.

Bereits als kleiner Junge wusste Willi Baumeister, dass er ein Maler, ein Künstler, werden wollte. 1889 in Stuttgart als Friedrich Wilhelm Baumeister geboren, absolvierte er nach seinem Schulabschluss auf Wunsch seiner Eltern zuerst eine Lehre als Dekorationsmaler, um sich dann ganz dem Studium der freien Malerei widmen zu können. Schon während seiner Lehrzeit war er als Gaststudent an der Königlichen Akademie eingeschrieben. Er interessierte sich wie die französischen Impressionisten für die Freiluftmalerei, was bei seinen konservativen Professoren nicht gern gesehen war. Das traditionelle akademische Studium dieser Zeit entsprach nicht seinen Vorstellungen. Umgekehrt erfüllte Baumeister auch nicht die Erwartungen der Professoren und wurde als unbegabt eingestuft. Somit drohte ihm der Verweis von der Akademie. Jedoch hatte Professor Adolf Hölzel einige seiner Bilder in einer Ausstellung gesehen und schätzte sie sehr. So lud Hölzel den jungen Studenten ein, in seine Klasse zu wechseln und bei ihm weiterzustudieren. Seine Mitstudierenden waren unter anderen Oskar Schlemmer, Johannes Itten und Ida Kerkovius, um nur einige zu nennen.

Baumeister diente im Ersten Weltkrieg als Soldat auf dem Balkan. Künstlerisches Schaffen war ihm während dieser Jahre nur sehr eingeschränkt möglich. Er konnte jedoch nach Kriegsende sein Studium als Meisterschüler an der Stuttgarter Akademie fortsetzen, wodurch ihm – wie auch seinem Freund und Künstlerkollegen Oskar Schlemmer – die Nutzung eines Ateliers in den Unteren Anlagen zur Verfügung stand. 1919 organisierte die junge Künstlergruppe „Üecht“, zu deren Gründern Baumeister gehörte, die Ausstellung „1. Herbstschau Neuer Kunst“. Diese Ausstellung brachte mit Werken von Paul Klee, Marc Chagall, Georges Braque und Archipenko und anderen die Avantgarde nach Stuttgart.

Baumeister entwarf für die 1927 in Stuttgart stattfindende Werkbundausstellung die gesamte Corporate Identity, wie man heute sagen würde. Vom Briefpapier über die Ausschreibungsbedingungen und dem Kurzführer bis hin zum Ausstellungsplakat stammte die Typografie aus seiner Hand. Diese international wahrgenommene Ausstellung, in deren Rahmen auch die Stuttgarter Weißenhofsiedlung entstand, machte Baumeister über die regionalen Grenzen hinaus als Typograf bekannt. In der Folge wurde ihm eine Professur für Typografie und Reklamegestaltung an der Städtischen Gewerbeschule Frankfurt, der späteren Städelschule, angeboten, die er 1928 antrat. Dort unterrichtete er bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten im April 1933.

Baumeisters Werke, die sich vom Figürlichen mehr und mehr in die Abstraktion bewegten und etwa ab 1919 als konstruktivistisch bezeichnet werden können, wurden von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemt, aus öffentlichen Sammlungen entfernt und möglicherweise auch zerstört. Er zog sich in eine innere Emigration zurück. Ab 1941 wurde er wie viele andere Künstler offiziell mit Mal- und Ausstellungsverbot belegt.

Baumeister – nach seiner Entlassung in Frankfurt ohne festes Einkommen – war seit 1926 mit der Stuttgarter Künstlerin Margarethe Oehm verheiratet, die im Frühjahr 1933 ihr zweites Kind erwartete. Daher war es für Baumeister ein großes Glück, dass die Familie nach Stuttgart ins Haus der Schwiegermutter in die Gerokstraße im Stuttgarter Osten ziehen konnte. Baumeister hielt sich in der Zeit der Nationalsozialisten mit typografischen Aufträgen und maltechnischen Untersuchungen für den Wuppertaler Lackfabrikanten Dr. Kurt Herberts über Wasser.

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges erhielt Baumeister als unbescholtener und in der Lehre erfahrener Künstler eine Berufung durch den damaligen württemberg-badischen Kultusminister Theodor Heuss zum Professor für Malerei an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, die er 1946 antrat. Er kehrte damit an die Stätte, an der er selbst studiert hatte, als Lehrer zurück. Dort trat er für einen offenen, auch maltechnische Unterweisungen berücksichtigenden Unterricht ein. Es war die erste Professur in Deutschland, die ein Künstler der ungegenständlichen Malerei erhielt.

Für Baumeister waren diese Nachkriegsjahre trotz der Entbehrungen, die mit Lebensmittelbeschränkungen und Materialnot einhergingen, als Künstler eine Befreiung. Er durfte wieder frei arbeiten und ausstellen. Baumeister konnte auf seine internationalen Kontakte zurückgreifen, die er bereits in den Zwanziger Jahren aufgebaut und unter den Nationalsozialisten – zwar immer stärker eingeschränkt – so weit wie möglich gepflegt hatte. Baumeisters Werke waren in vielen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen.

Schon 1919 hatte Baumeister sein erstes Bühnenbild für eine kleine Stuttgarter Bühne, das Deutsche Theater in der Heusteigstraße, entworfen. Die neun Bühnenentwürfe, die er bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten gestalten konnte, wurden als in den Materialien und Mitteln sehr reduziert, anti-naturalistisch, ja avantgardistisch beschrieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Baumeister einige Bühnenstücke für das Staatstheater Stuttgart ausstatten. Besonders bemerkenswert waren das Bühnenbild und die Kostüme für das Ballett „Liebeszauber“ im Jahr 1947, mit dem Baumeister auf die Titelseite einer der ersten Spiegel-Ausgaben kam. Er schuf farbenfrohe, auf seine Formensprache zurückgreifende, bewegliche Bühnenelemente, die das kulturell ausgehungerte Publikum zu Ovationen hinriss.

Für das Konzert-Café im Hindenburgbau gestaltete Baumeister 1949 ein dekoratives Wandelement, das von einigen seiner Studenten ausgeführt wurde. Diese Wandarbeit konnte über die Jahre gerettet und an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden. Heute kann man dieses Werk im Flur vor dem Büro des Oberbürgermeisters im Stuttgarter Rathaus sehen.

Baumeister prägte das kulturelle Leben im Stuttgart der Nachkriegszeit auch noch auf eine ganz andere Art und Weise. Über Jahre war er abends häufig in der Gaststätte Bubenbad im Stuttgarter Osten anzutreffen. Der Philosoph und Schriftsteller Max Bense ging dort ebenso ein und aus wie der Nervenarzt und Filmemacher Ottomar Domnick, die Verleger Gerd Hatje und Alfred Eichhorn oder auch der chinesischstämmige Architekt Chen Kuen Lee als Vertreter der Organischen Architektur. Immer wieder fanden sich auch Baumeisters Studentinnen und Studenten, die junge Generation der Kreativen, ein. Dort fand ein reger Gedankenaustausch statt. Baumeister wurde als der Kopf dieses Künstler- und Intellektuellentreffs bezeichnet.

Heute hat der Maler, Typograf und Bühnenbildner Willi Baumeister seinen festen Platz mitten in der Stadt: im Archiv Baumeister im Kunstmuseum Stuttgart, das seinen künstlerischen und schriftlichen Nachlass beherbergt. Eine Auswahl seiner Werke sind ständig sowohl im Kunstmuseum Stuttgart wie auch in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen.

Text: Hadwig Goez
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Willi Baumeister, Tagebücher 1928-1955, Archiv Baumeister im Kunstmuseum Stuttgart.
Willi Baumeister, „Anfänge der abstrakten Malerei in Deutschland“, in: Der Tagesspiegel 996, 26.01.1949, Archiv Baumeister im Kunstmuseum Stuttgart.
Willi Baumeister, Brief von Willi Baumeister an die Sammlerin Mrs. Brown, 15.11.1947, Archiv Baumeister im Kunstmuseum Stuttgart.

Literaturhinweise:

Gottfried Boehm, Willi Baumeister, Stuttgart 1995.
Wolfgang Kermer, Willi Baumeister. Typographie und Reklamegestaltung, Stuttgart 1989.
Im Rampenlicht. Baumeister als Bühnenbildner, hg. von Marion Ackermann, München/Berlin 2007.
Kunstmuseum Stuttgart, https://www.kunstmuseum-stuttgart.de/index.php?site=Archivbaumeister.

GND-Identifier: 118507559
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Hadwig Goez, Willi Baumeister (1889-1955), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/d036f0f7-830e-49ff-a073-985afc82d8b3/Willi_Baumeister_%281889-1955%29_.html