Der spätere SPD-Bundesvorsitzende Kurt Schumacher hat seine politische Karriere in den 1920er Jahren in Stuttgart begonnen. Hier wirkte er als Redakteur und Abgeordneter und wurde schnell zum wortgewaltigen Gegner der Nationalsozialisten.

Der gebürtige Westpreuße Kurt (amtlich Curt) Ernst Karl Schumacher meldete sich 1914 freiwillig für den Ersten Weltkrieg, in dessen Verlauf er schwer verwundet wurde und seinen rechten Arm verlor. In der Folgezeit studierte er Rechts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften, wurde 1918 SPD-Mitglied und arbeitete als Hilfsreferent im Reichsarbeitsministerium. In dieser Funktion lernte er Erich Roßmann (1884-1953) kennen, den Vorsitzenden des „Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen“, der zusammen mit Otto Landsberg (1869-1957) Schumacher 1920 eine Stelle als Redakteur der sozialdemokratischen „Schwäbischen Tagwacht“ in Stuttgart vermittelte.

Der Herausgeber der Zeitung war Wilhelm Keil (1870-1968), der einen Chef vom Dienst suchte, der widerspruchslos jeden Tag die Agenturmeldungen redigierte und die tägliche Kleinarbeit leistete. Schon bald musste Keil jedoch erfahren, dass sich Schumacher für genau diese Position nicht eignete. Umso mehr stach Schumacher als Leitartikler hervor. Sein Schreibstil war packend, seine Polemiken kräftig und seine Formulierungen überaus sarkastisch. Zugleich rechnete er regelmäßig mit der extremen Linken und der extremen Rechten in Stuttgart ab: Die Kommunisten hatten in Stuttgart im Deutschen Metallarbeiterverband sowie in den Kulturorganisationen der Arbeiterbewegung einen überaus breiten Rückhalt. Eine Zusammenarbeit mit der KPD war aus Schumachers Sicht freilich nicht möglich. In dieser sah er lediglich eine von Moskau ferngesteuerte Organisation, gleichsam eine ausländische Besatzungsarmee auf deutschem Boden.

Noch schärfer ging Schumacher rechtsradikale Kreise an. Durchaus hellsichtig warnte er bereits im August 1923 vor einem rechtsradikalen Putsch. Um diesem entgegenzutreten, rief er die „Organisation Schwabenland“ ins Leben. Hierbei handelte es sich um einen Nachrichtendienst, dem es gelang, interne Korrespondenzen rechtsradikal-völkischer Kreise aufzudecken. Damit hatte Schumacher die Möglichkeit, in einer Dokumentation in der „Schwäbischen Tagwacht“ die Verbindungen zwischen völkischen Kreisen und der Bürgerpartei, dem württembergischen Zweig der DNVP, aufzuzeigen. Zudem diente die „Organisation Schwabenland“ Schumacher als Saalschutz für Veranstaltungen der SPD, wobei handgreifliche Auseinandersetzungen mit kommunistischen und völkischen Schlägern durchaus einkalkuliert waren. Die „Organisation Schwabenland“ ging schließlich 1924 im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der demokratischen Schutztruppe der Parteien der Weimarer Koalition, auf.

Großen Rückhalt besaß Schumacher beim württembergischen SPD-Parteisekretär Karl Oster (1874-1954) wie auch bei der Sozialistischen Arbeiterjugend, die damals in Stuttgart von Erwin Schoettle (1899-1976) geleitet wurde. Schon bald organisierte Schumacher Schulungsveranstaltungen und Rhetorikkurse für jüngere Parteimitglieder. Hier wurden Parlamentsdebatten nachgespielt, auch referierte Schumacher über den historischen Materialismus, Verfassungsrecht und über die Geschichte der SPD.

Die Stuttgarter Sozialdemokraten entsandten Schumacher 1921 erstmals als Delegierten zum Reichsparteitag nach Görlitz. Drei Jahre später gelang ihm der Einzug in den württembergischen Landtag. Hier profilierte er sich als Experte für Fragen der Rechts-, Haushalts- und Sozialpolitik. Überaus gerne griff er über den Rahmen der württembergischen Landespolitik hinaus, beispielsweise als er von der Landesregierung die Rückkehr zum Achtstundentag forderte – zuständig wäre in diesem Fall die Reichsregierung gewesen. Zugleich setzte er sich für die Belange Kriegsgeschädigter und Witwen ein, genauso wie er immer wieder kritisierte, dass die Weimarer Justiz überaus scharf gegen die politische Linke vorgehe, während gleichzeitig monarchistisch-konservative Gegner der Republik geschont würden. Schließlich plädierte Schumacher in seinen Beiträgen für die Schaffung eines zentralistischen Einheitsstaates, damit verbunden waren spitze Polemiken gegen den bayerischen Föderalismus bzw. Partikularismus. Ganz ähnliche Kräfte wie bei der bayerischen Regierung sah er auch in der katholisch-konservativen Regierung Württembergs unter Leitung des deutschnationalen Wilhelm Bazille (1874-1934) wirken.

Die Reichstagswahlen 1928 brachten schließlich einen großen Erfolg für Schumacher. Dank seines Wirkens und seiner rastlosen Werbearbeit gelang es ihm, den Stimmenanteil der SPD in Stuttgart von 18,2 auf 31 % zu steigern. Vier Fünftel aller in Württemberg hinzugewonnenen Stimmen kamen aus Stuttgart. – Den Wahlkampf 1928 hatte die SPD unter der Parole „Kinderspeisung statt Panzerbau“ geführt. Gleichwohl stimmten die sozialdemokratischen Minister im neu gebildeten Kabinett der großen Koalition im Herbst 1928 dem Bau des Panzerkreuzers A zu. Der Aufschrei der Parteilinken war riesig. Die SPD-Minister, einschließlich Reichskanzler Hermann Müller (1876-1931), wurden gezwungen, gegen die von ihnen selbst eingebrachte Vorlage zu stimmen. Freilich hatte bereits das vorausgehende Bürgerblockkabinett die Weichen für den Panzerkreuzerbau gestellt. Die SPD-Linke forderte sogar den Rückzug aus der Regierung. Schumacher wünschte hingegen den Verbleib, forderte aber von den SPD-Ministern künftig ein robusteres Auftreten und eine stärkere Artikulation sozialdemokratischer Standpunkte innerhalb der Koalition.

Im Gegensatz zu Schumacher hatte Keil die SPD-Minister verteidigt und sich damit in der Stuttgarter Parteiorganisation isoliert. Schumacher verdrängte – man kann dabei durchaus von einem Generationenkonflikt sprechen – Keil nunmehr als führenden Kopf der SPD in Württemberg. Während Keil sich aus der Redaktion der „Schwäbischen Tagwacht“ zurückzog und 1932 auch nicht mehr für den Reichstag kandidierte, wurde Schumacher 1930 zum SPD-Ortsvorsitzenden in Stuttgart wie auch in den Reichstag gewählt. Dort arbeitete Schumacher vor allem mit Julius Leber (1891-1945), Carlo Mierendorff (1897-1943) und Theodor Haubach (1896-1945) zusammen.

Diese vier jungen Parlamentarier werden gemeinhin als die so genannten „militanten Sozialdemokraten“ bezeichnet. Ihnen war das Auftreten der älteren Generation zu bürokratisch, zu betulich, zu wenig offensiv. Den „militanten Sozialdemokraten“ war klar geworden, dass sie in der Auseinandersetzung mit Nationalsozialisten und Kommunisten nicht nur auf inhaltliche Argumente, sondern auch auf Suggestion setzen mussten, auf symbolische Handlungen, die den eigenen Leuten Stärke vermittelten und den Gegner einschüchterten. Durch Disziplin, Massenaufmärsche und ein Heer von schwarz-rot-goldenen Farben wollte Schumacher der Wählerschaft das Bild eines wehrhaften Weimarer Staates vermitteln. In diesem Sinne gründete er im Dezember 1931 in Stuttgart die „Eiserne Front“ als Zusammenschluss von SPD, Gewerkschaften und Arbeitersportvereinen. Zum Symbol der „Eisernen Front“ wurden die drei Pfeile, die auf Krone, Sowjetstern und Hakenkreuz als Gegner der Weimarer Republik zielten. Gemeinsam mit der „Eisernen Front“ organisierte Schumacher schließlich zahlreiche Aufmärsche der Stuttgarter SPD-Anhänger während des Reichstagswahlkampfes im Juli 1932. Auf dem Stuttgarter Marktplatz und in der Stadthalle sprach er hierbei jeweils vor mehreren Tausend Zuhörern.

Im Reichstag selbst wurde Schumacher seinem Ruf als scharfzüngiger Redner gerecht. Als Antwort auf eine hemmungslose Polemik von Goebbels konstatierte er in einer Stegreifrede, dass es sich bei der Agitation der Nationalsozialisten um den fortwährenden Appell an den inneren Schweinehund im Menschen handle, dem in Deutschland erstmals die restlose Mobilisation der menschlichen Dummheit gelungen sei. Parteiintern wurde Schumacher zum Kritiker der von der SPD seit 1930 eingeschlagenen Taktik. So missbilligte er gleichermaßen die Tolerierungspolitik gegenüber Reichskanzler Heinrich Brüning (1875-1970) und schließlich die Passivität von SPD und Gewerkschaften nach dem sogenannten Preußenschlag im Juli 1932, als es zur Absetzung des geschäftsführenden preußischen SPD-Ministerpräsidenten per Notverordnung kam.

Im Märzwahlkampf 1933 sprach Schumacher am Vorabend der Wahl, die der Stuttgarter SPD immerhin noch einmal einen Stimmenzuwachs von 1,1 % im Vergleich zum November 1932 brachte, das letzte Mal vor 14.000 Anhängern in der Stadthalle. Zwei Tage nach der Wahl gab es Überlegungen der Stuttgarter SPD, gegen den nationalsozialistischen Terror vorzugehen. Knapp 2.000 Mann des Reichsbanners wurden in den Wäldern um die Stadt zusammengezogen. Doch warteten diese vergebens auf den Befehl zum Losschlagen. Da sie nur leicht bewaffnet waren, hätten sie sich ohnehin nur kurzzeitig durchsetzen können. Von diesem Zeitpunkt an wechselte Schumacher häufig seinen Aufenthaltsort bzw. pendelte zwischen Berlin und Stuttgart hin und her, um einer möglichen Verhaltung zu entgehen. Jedoch nahm er noch an der Reichstagssitzung vom 23. März 1933 teil, auf der er mit der gesamten SPD-Fraktion gegen das Ermächtigungsgesetz stimmte. Vergeblich opponierte er innerhalb der Reichstagsfraktion gegen die Zustimmung der SPD zur außenpolitischen Erklärung Hitlers am 17. Mai.

Schon seit März 1933 bereitete Schumacher in Stuttgart den Aufbau einer Untergrundorganisation vor. Sitzungen der Stuttgarter SPD fanden nur noch an unverdächtigen Orten u.a. im Schwarzwald statt. Seit Anfang Juni 1933 war Schumacher zur Verhaftung ausgeschrieben. Diese erfolgte einen Monat später in Berlin. Nach einer kurzzeitigen Haft im Hotel Silber, dem Sitz der Politischen Polizei in Stuttgart, wurde Schumacher in die Konzentrationslager Heuberg, Oberer Kuhberg bei Ulm und Dachau deportiert. Erst nach zehn Jahren Haft kam er wieder frei, um in Folge des fehlgeschlagenen Attentats vom 20. Juli 1944 erneut zeitweise verhaftet zu werden.

Schumacher nahm schon 1945 unmittelbar nach dem Einmarsch der Alliierten in Hannover, seinem neuen Wohnort, die Gründung der westdeutschen SPD in Angriff. Den Neuaufbau der SPD in Stuttgart hat ihr Bundesparteivorsitzender Schumacher unterstützt, indem er hier bereits während des ersten Nachkriegsjahres mehrfach als Redner auftrat. Seine maßgebliche politische Tätigkeit als Oppositionsführer im Bundestag fand jedoch andernorts statt. Schumacher starb am 20. August 1952 in Bonn und wurde in Hannover bestattet.

Text: Michael Kitzing
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Literaturhinweise:

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Kurt Schumacher in der „Schwäbischen Tagwacht“ über Demokratie und Kommunisten: Aufsätze und Redeberichte (1926-1933). Ausgewählt und kommentiert von Ulla Plener zu seinem 100. Geburtstag am 13.10.1995, Berlin 1995.
Thomas Kurz, Feindliche Brüder im Südwesten. Sozialdemokraten und Kommunisten in Baden und Württemberg 1928-1933, Berlin 1996.
Peter Merseburger, Kurt Schumacher. Patriot, Volkstribun, Sozialdemokrat, München 2010.
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Jörg Schweigard, Stuttgart in den Roaring Twenties. Politik, Gesellschaft, Kunst und Kultur in Stuttgart 1919-1933, Karlsruhe 2012.
Weggenossen: Kurt Schumacher, Erwin Schoettle, 1933 - Machtergreifung der Nationalsozialisten, 1983 - 50 Jahre danach, hg. vom SPD-Kreis Stuttgart, Stuttgart 1983.

GND-Identifier: 118611615
Publiziert am: 19.08.2022
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kitzing, Kurt Schumacher (1895-1952), publiziert am 19.08.2022 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/bf3e6d43-75c9-44b4-ac4c-c31877175535/Kurt_Schumacher_%281895-1952%29.html