Stirnbrand nahm im 19. Jahrhundert über 40 Jahre die Rolle des bedeutendsten Porträtmalers in Stuttgart ein. Seine Bildnisse spiegeln die damalige Stuttgarter Gesellschaft in ihrem sozialen, kulturellen und historischen Kontext wider.

Franz Seraph Stirnbrand wurde im Alter von etwa drei Jahren von einem Kriegsinvaliden in Niederösterreich davor gerettet, von seiner Mutter in der Donau ertränkt zu werden. Der namenlose Junge fand Aufnahme bei der Familie des Pflegers Johann Baptist Röser in der Nähe von Linz in Oberösterreich. Seinen Namen „Stirnbrand“ erhielt das Findelkind nach einem Unfall, bei dem es sich eine Brandwunde an der Stirn zugezogen hatte.

Schon in frühester Jugend zeigte sich seine Beobachtungsgabe und seine Neigung zum Zeichnen und Malen. Als sich der Stuttgarter Hofmaler Philipp Friedrich von Hetsch (1758-1838) auf seiner Durchreise im Hause Rösers aufhielt, war dieser vom künstlerischen Talent Stirnbrands beeindruckt. Sogar dem Habsburger Kaiser Franz I. durfte er seine Zeichnungen persönlich zeigen. Als mittellosem Findelkind blieb ihm ein Studium an der Wiener Kunstakademie verwehrt. Dennoch gelang es Stirnbrand, durch unermüdliches Zeichnen und Kopieren der Werke alter Meister im Selbststudium seine künstlerische Kompetenz ständig weiterzuentwickeln. Er absolvierte eine Lehre zum Zimmer- und Dekorationsmaler in Linz, die mit einem fundierten Zeichenunterricht in der Sonntagsschule einherging. Danach wurde er für kurze Zeit von dem Linzer Kirchen- und Theatermaler Anton Hitzentaler d. Ä. (1750-1824) in den Grundlagen der Malerei unterwiesen.

Um dem österreichischen Militärdienst zu entgehen, floh Stirnbrand 1809 in das vom französischen Militär besetzte Frankfurt am Main, wo er sich als Dosenmaler verdingte, wodurch er sich die Feinmalerei typisierter Bildnisse von Napoleon Bonaparte und anderer Berühmtheiten im Miniaturformat aneignete. Die Dosen erfreuten sich bei den französischen Offizieren so großer Beliebtheit, dass sie sich selbst von ihm porträtieren ließen. Sein Ruf sollte bis zu Reichsprimas Karl Theodor von Dalberg (1744-1817) in Aschaffenburg dringen, der sich als sein Förderer hervortat und ihn 1812 mit einem großformatigen Brustbild von sich beauftragte. Damit vollzog Stirnbrand den entscheidenden Wechsel vom Handwerker zum Künstler.

Nach dem Abzug der Franzosen aus Frankfurt siedelte Stirnbrand 1813 nach Stuttgart über. Dort traf er auf einen Kunstmarkt, der von einer erheblich gestiegenen Nachfrage nach Porträts seitens des erstarkenden Bürgertums geprägt war. Jedoch fehlte es nach der Schließung der Hohen Karlsschule im Jahr 1794 und dem Aussterben von Malern der älteren Generation an gut ausgebildeten Künstlern. Für Stirnbrand sollte sich diese Konstellation als Glücksfall erweisen, da er ungeachtet seiner Unerfahrenheit erste Porträtaufträge erhielt. Nach seinem großen künstlerischen Durchbruch im Jahr 1819 mit dem Bildnis der gerade verstorbenen Königin Katharina Pawlowna (1788-1819) avancierte er zu einem der gefragtesten Porträtmaler am württembergischen Hof und von 1822 bis 1824 auch am Hof von Baden. Jedoch wurde er nicht in die Position eines „Hofmalers“ berufen. Hierfür hätte es üblicherweise eines Kunststudiums bedurft, um sich den Duktus und das Dekorum nach den Vorgaben einer Kunstakademie anzueignen. Stattdessen bildete er sich autodidaktisch weiter und verdingte sich als freischaffender Unternehmer, der sich selbst vermarktete.

Zu seinen Auftraggebern zählten zunächst wohlhabende Bürger, Vertreter der höheren Beamtenschaft, des württembergischen Patriziats, die sogenannte Ehrbarkeit, sowie Künstler des Hoftheaters. Wie es sein Einnahmenbuch dokumentiert, porträtierte Stirnbrand ab den frühen 1820er Jahren zunehmend Adelige und Mitglieder bedeutender Fürstenhäuser – auch über die Grenzen des deutschen Südwestens hinaus. König Wilhelm I. von Württemberg beauftragte den Künstler von jungen Jahren an bis ins hohe Alter mit Porträts für sich und seine Familienangehörigen.

Stirnbrands Karriere wurde in ihren Anfängen zudem durch Wilhelmine von Tunderfeld-Rhodis (1777-1822) sowie die Königinwitwe Charlotte Mathilde (1766-1828) befördert, die ihn 1824 nach Ludwigsburg berief und ihm den Zugang zu aristokratischen Auftraggebern ebnete. Auch der nachmalige Herzog Wilhelm I. von Urach und Graf von Württemberg (1810-1869) und dessen monegassische Gattin Herzogin Florestine (1833-1897) blieben Stirnbrand zeitlebens verbunden.

Die anfängliche Tendenz zu einer holzschnittartigen Darstellung und überhöhten Kontrasten in der Farbgebung überwand er auf seiner Reise 1816 in die österreichische Heimat, wo er sich intensiv durch Galeriebesuche fortbildete. Bereits um 1823 fand Stirnbrand zu seiner künstlerischen Handschrift, die sich dann kaum mehr veränderte. Wie seine wenigen Historienbilder zeigen, sind selbst in kleinformatigen Gruppenporträts die Gesichter und Uniformen so deutlich erkennbar, dass die einzelnen Personen identifiziert werden können. Werke, die zwischen den Jahren von etwa 1830 bis in die Mitte der 1860er Jahre entstanden, zeichnen sich durch ihre akribische Detailtreue und Wirklichkeitsnähe aus. Als Auftragsmaler erfüllte er die sich wandelnden Erwartungen seiner Klientel und verstand es, das im württembergischen Pietismus gewünschte Dekorum zu bedienen. Er beherrschte die Bandbreite gewünschter Sujets vom Kinderbildnis bis hin zum Herrscherporträt sowie die vielfältigen Kombinationen der Porträtmalerei mit anderen Bildgattungen wie der Landschafts-, Interieur- und Genremalerei. Bei seinen Bildkompositionen orientierte er sich an der Malerei großer alter Meister aus Frankreich, Italien und den Niederlanden. Aber auch zeitgenössische Künstler aus Österreich sowie der Tübinger Maler Christoph F. Dörr (1782-1841) inspirierten ihn.

Unter dem Eindruck seiner Parisreise gestaltete er sein frühes Selbstporträt mit Zylinder von 1820 noch in Anlehnung an die klassizistische Auffassung von Jean-A.-D. Ingres (1780-1867), die sich durch eine kühle Farbpallette und die Betonung der Linie auszeichnete. Nach den Befreiungskriegen gegen Frankreich (1813-1815) vollzog sich ein Wandel des Kunstgeschmacks hin zur gefühlsbetonten Romantik. Im Bestreben, beim Betrachter eine emotionale Wirkung hervorzurufen, wurden die Porträts betont detailreich gestaltet, und anstelle des vormals zurückhaltenden Kolorits trat eine intensive Farbtiefe. Die narrative Wiener Blumen- und Genremalerei sowie die sogenannte Nymphenburger Schönheitengalerie, mit der sich Josef K. Stieler (1781-1858) hervortat, dürften Stirnbrand zu seiner qualitätsvollsten Schaffensphase angeregt haben. Bei seinen lebensgroßen Porträts junger Frauen finden sich biedermeierliche Blumenbouquets und antikisierende architektonische Versatzstücke. Zu seinen Spitzenwerken zählen die Porträts der Stuttgarter Schönheiten Emilie Gärtner, geb. Kuhn (1830-1916), und Julie Duvernoy, geb. Hartmann (1828-1853), die aus der angeheirateten Familie Stirnbrands stammten.

Nach der Erfindung der Fotografie machte sich Stirnbrand das neue Medium als Vorlage für Porträts, wie etwa für das Bruststück König Maximilians II. von Bayern (1811-1864), zunutze.

Für Stirnbrands Kunst charakteristisch ist der Schmelz seiner weichkonturierten Malerei, die sich durch das Zusammenspiel seines feinen Pinselduktus mit einem dünnen, geglätteten Farbauftrag auszeichnet. Mit seiner subtilen Darstellung von Texturen wie Spitze, Seide oder Fell, wie etwa bei den Hundeporträts, sowie der akribischen Wiedergabe von Details gelang es ihm, beim Betrachter eine haptische Wahrnehmung evoziert. Die Plastizität der Gesichtsmuskulatur ist wirklichkeitsnah gestaltet, ebenso wie die natürliche, affektfreie Mimik. Den Porträts wohnt eine emotionale Aussage inne, ohne deren Charaktere übertrieben zu betonen. Die Gesichter sind naturnah, moderat idealisiert, jedoch niemals verletzend realistisch. Bei den Herrscherporträts sind die gekrönten Häupter als Menschen in Nahsicht dargestellt. Hier zielte der Künstler weder auf eine distanzierte pathetische Überhöhung der Dargestellten noch auf eine ausgeprägte Idealisierung oder gar eine effektvolle Inszenierung, wie sie an den Kunstakademien vermittelt wurden. Seitens der zeitgenössischen Kunstkritik und in Künstlerlexika erntete Stirnbrand höchstes Lob. Vergleicht man jedoch seine Herrscherporträts mit Gemälden des Münchner Hofmalers Stieler wird deutlich, dass Stirnbrand dessen akademische Malerei nicht erreichte.

Stirnbrand, der keine Werkstatt mit Gehilfen betrieb, war ein rastlos Tätiger. Dank seines Erfolges konnte er von 1813 bis 1851 Einnahmen für 1062 Gemälde von mindestens 64.240 Florin im Einnahmenbuch verzeichnen, damals eine bedeutende Summe. Zusätzlich bescherten ihm die Lithografien, die nach seinen Vorlagen gedruckt wurden, eine weitere Einnahmequelle. Die hohen Einkünfte erlaubten Stirnbrand ein Leben im Wohlstand und den Bau eines repräsentativen Wohnhauses in der eleganten, heute nicht mehr existierenden Alleenstraße. 1838 verlieh ihm König Wilhelm I. von Württemberg die württembergische Staatsbürgerschaft. Damit stand seiner Heirat mit der verwitweten Friederike Guther, geb. Hartmann (1797-1879), die aus der „Ehrbarkeit“ stammte, nichts mehr im Wege. Trotz seines Status als Ausländer mit österreichischem Akzent, unklarer Herkunft und als Katholik stieg er in die führenden gesellschaftlichen Kreise Württembergs auf. Stirnbrand und seine Frau verkehrten in den Kreisen des Bürgertums, des Adels sowie mit Schriftstellern und Künstlern. In ihrem Salon trafen sich der Dichter Nikolaus von Lenau (1801-1850), der Dramaturg des Hoftheaters Franz von Dingelstedt (1814-1881), der Lyriker und Dramatiker Emanuel Geibel (1815-1884), der Komponist und Kapellmeister Peter Joseph von Lindpaintner (1791-1856) sowie die Prinzen zu Hohenlohe zu unterhaltsamen Abenden. Stirnbrand war Theaterenthusiast und betätigte sich selbst als Laienschauspieler. Er beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen und war Mitglied im Württembergischen Kunstverein sowie in der Museumsgesellschaft. Sein Freund Friedrich Wilhelm Hackländer (1816-1877) beschrieb ihn als begnadeten Unterhalter. Politische Ambitionen lagen ihm fern.

Stirnbrand bereiste seine österreichische Heimat, die Niederlande, Frankreich, Luxemburg und die Schweiz; er unternahm eine Grand Tour durch Italien, wo er Papst Leo XII. (1760-1829) in Rom porträtierte, und er hielt sich längere Zeit am Fürstenhof von Schwarzburg-Sondershausen auf. Bis Ende 1870 war er als Porträtist beschäftigt. Danach wurde es ruhiger um ihn. Ab 1875 litt er zunehmend unter dem Verlust seines Gehörs und seiner nachlassenden Sehkraft bis hin zur Erblindung. Nach seinem Tod am 2. August 1882 fand er seine letzte Ruhestätte auf dem Stuttgarter Pragfriedhof. Bis zum Jahresende 2023 konnten europaweit und in den USA noch 480 Porträts sowie drei Skizzenbücher und einige zusätzliche Zeichnungen sowie zahlreiche Druckgraphiken nach Stirnbrand als überliefert nachgewiesen werden.

Text: Roswitha Emele
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Württembergisches Landesmuseum, Schlossmuseum 3627: Einnahmenbuch.

Literaturhinweise:

Roswitha Emele, Porträtmaler Franz Seraph Stirnbrand (um 1788-1882). Leben und Werk. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte von Württemberg und Baden, Petersberg 2022.
Werner Fleischhauer, Das Bildnis in Württemberg 1760-1860. Geschichte, Künstler und Kultur, Stuttgart 1939.
Arno Preiser (Bearb.), Schwaben sehen Schwaben. Bildnisse 1760-1940 aus dem Besitz der Staatsgalerie Stuttgart, hg. von der Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1977.
Heike Vogel, „[…] Was er vermöge seines künstlerischen Scharfblicks als das Rechte und Schöne erkannte […] – Der Maler Franz Stirnbrand, die Friedrichshafener Hafenszene und Bezüge zur 1848er Revolution, in: Wissenschaftliches Jahrbuch 2007, hg. vom Zeppelinmuseum Friedrichshafen, Friedrichshafen 2007, S. 322–355.
August Wintterlin, Stirnbrand, Franz Seraph, in: ADB, Bd. 36, Leipzig 1893, S. 256-258.

GND-Identifier: 130198943
Publiziert am: 08.11.2024
Empfohlene Zitierweise:
Roswitha Emele, Franz Seraph Stirnbrand (um 1788-1882), publiziert am 08.11.2024 in: Stadtarchiv Stuttgart,
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