Der Stuttgarter Konditor, Fabrikant und Schokoladenpionier Eduard Otto Moser erbaute in den 1870er Jahren sein Landgut auf dem Wartberg – die Villa Moser. Heute ist die Anlage ein vergessenes Ruinenensemble, obgleich sie ein herausragendes Beispiel für die gründerzeitliche Villen- und Gartengestaltung in Stuttgart darstellt.

Eduard Otto Moser kam am 8. Februar 1818 in Stuttgart als Sohn des Obertribunalprokurators Karl Christian Moser und seiner Ehefrau Marie Dorothea Geiger zur Welt. An der Stuttgarter Gewerbeschule wurde E. O. Moser wohl zum Fabrikanten ausgebildet und erlernte das Konditorenhandwerk. Seine Lehrjahre verbrachte er in Paris und machte sich mit der dortigen Kakao- und Schokoladenindustrie vertraut, ehe er dieses Gewerbe bei seiner Rückkehr 1846 nach Stuttgart brachte.
Seine erste Manufaktur namens E. O. Moser & Cie., die für die Herstellung von Bonbons nach Pariser Art bekannt wurde, gründete er in der Hauptstätter Straße 71. Nach kurzer Zeit folgten Umzüge in die Tübinger Straße 13, Mitte der 1850er Jahre in die Tübinger Straße 26 und 28. Die weiter steigenden Kunden- und Absatzzahlen ermöglichten ihm 1858 den Erwerb eines eigenen Hauses mit Fabrikanlage in der Calwer Straße 35. Seine Produkte müssen den Menschen und selbst dem Lyriker Eduard Mörike (1804–1875) so gut geschmeckt haben, dass dieser in einem Briefwechsel mit seiner Frau Margarethe darum bat, der Tochter Franziska „etwas Gutes À LA MOSER“ zu geben. Innerhalb weniger Dekaden gelang es seiner anfangs unbekannten Fabrik mit den ältesten und berühmtesten Pariser Häusern zu konkurrieren.
Insbesondere die Qualität der Schokoladenwaren war für E. O. Moser von großer Bedeutung, weshalb er 1876 die Gründung des „Verbandes deutscher Chocolade-Fabrikanten“ initiierte und zu dessen Vorstand ernannt wurde. Dies steht symbolisch für seine herausragende Stellung in der Schokoladen- und Bonbonfabrikation, die er weit über die Grenzen von Stuttgart hinaus erfolgreich etablierte. So gehörte Stuttgart gegen Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu den Schokoladenstädten in Deutschland. Renommierte Firmen wie Eszet, Ritter Sport, Waldbaur oder Moser-Roth hatten hier ihren Sitz.

Am 2. Februar 1879 verstarb E. O. Moser im Alter von 60 Jahren und erhielt ein eindrucksvolles Grabmal auf dem Pragfriedhof. Er hinterließ Stuttgarts größte und modernste Schokoladen- und Bonbonfabrik mit damals 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Seine Frau Marie Friederike (1824–1903) verkaufte die Fabrik an vier erfahrene Mitarbeiter. 1894 erfolgte die Fusionierung mit der Firma Wilhelm Roth jr., abgekürzt „Moser-Roth“, mit Firmensitz an der Räpplenstraße.

Doch E. O. Moser war nicht nur Schokoladenpionier, sondern auch eine äußerst kunstinteressierte Persönlichkeit. Auf dem nach Westen ansteigenden Gelände gegenüber dem Löwentor – damals weit vor den Toren der Stadt gelegen – errichtete E. O. Moser in den 1870er Jahren zusammen mit dem jungen Architekten Johann Wendelin Braunwald (1838–1889) sein repräsentatives Landgut auf dem Wartberg. Das 2,4 Hektar umfassende Areal gehörte seinerzeit zu Cannstatt. Das in mehrere Parzellen unterteilte Gelände war vor dem Kauf zum Teil bewaldet oder wurde für den Weinanbau genutzt. Hierauf entstand eine landschaftliche Gartenanlage, die sich an Gärten des frühen 19. Jahrhunderts orientierte und in deren Zentrum die Villa Moser im Stile der Neurenaissance verortet war.

Die Villa Moser wurde nach heutigem Kenntnisstand in den Jahren 1872 bis 1875 errichtet. Den zweigeschossigen, breitgelagerten Baukörper mit äußerst flachem Walmdach, turmartigen Eckpavillons und betonenden Gesimsbändern erdete eine imposante Terrasse, die bis heute erhalten ist. Die ansprechenden Fassadenflächen aus Werkstein wurden von Gesimsen, Friesen und Balustraden in der horizontalen gegliedert. Die Vertikale strukturierten Lisenen, Pilaster, Doppelsäulen sowie rundbogige Wandöffnungen.
Der östlichen Hauptfassade war eine eindrucksvolle Treppenanlage mit halbrunder Grottenöffnung vorgelagert. Sie geleitete auf die Terrasse, von wo aus eine löwenflankierte Freitreppe hinauf zu einer offenen Vorhalle führte. Diese überspannte ein säulengetragener Balkon, der die Gestalt der Hauptfassade bestimmte. Im ersten Obergeschoss sprang der mittlere Fassadenbereich zurück, wodurch die Gebäudeflanken Türme ausbildeten. Eine kassettierte Attikamauer schloss die Türme ab. Auf bekrönende Figuren ist vermutlich verzichtet worden. An der Nord- und Südfassade führte man das Muster der Fassadengestaltung in Form von Vor- und Rücksprüngen sowie der Ausbildung von Balkonen im ersten Obergeschoss fort. Lediglich die Westfassade wich von dieser Fassadengestaltung ab.

Die Erschließung des im Hochparterre liegenden Erdgeschosses erfolgte über die befestigte Auffahrt an der Westseite. Nach dem Durchschreiten des Portals folgte eine repräsentative Eingangshalle, die in das aufwendig gestaltete Vestibül mit Lichthof führte. Korinthische Säulen und Pilaster, profilierte Wandflächen sowie die Türen bekrönende Dreiecksgiebel schmückten den Raum, von dem aus alle Gesellschaftszimmer dieser Ebene erreicht werden konnten. Bei der künstlerischen Ausgestaltung der Villa Moser wirkte der Stuttgarter Bildhauer Ernst Rau (1839–1875) mit. Der Hauptachse des Gebäudes weiter folgend konnte der Gartensalon und die daran anschließende offene Vorhalle betreten werden. Die sich von hier aus eröffnenden Blicke über den Park müssen eindrücklich gewesen sein. In der Nord-Süd-Achse lagen der halbrunde Speisesaal, das Vestibül sowie das Schlafzimmer samt Balkon. Im westlichen Teil des Gebäudes waren die Erschließungs- und Funktionsräume untergebracht.

Die Grundrissgestaltung des ersten Obergeschosses entsprach weitgehend dem Erdgeschoss. Bis auf den östlichen Salon wurden die Räume vorwiegend privat genutzt. Eine ansprechende lichtdurchflutete Galerie ermöglichte Blicke in das Erdgeschoß-Vestibül. Das Souterrain des zur Hälfte unterkellerten Baus beinhaltete Magazin- und Kellerräume, deren Konturen noch heute sichtbar sind.
Die Villa Moser war in eine vielseitig gestaltete Gartenanlage mit figuraler Grundkonzeption und zahlreichen Nebengebäuden eingeflochten. Ihr Entwurf ist ebenfalls auf J. W. Braunwald zurückzuführen. Der terrassierte sowie mit Bassins und Wasserspielen ausstaffierte Lustgarten innerhalb der von den Hauptwegen umzeichneten Grundfigur weckte Assoziationen an Terrassengärten der Renaissance. An diesen Bereich schloss südöstlich eine bastionsartige offene Veranda für größere Gesellschaften und nordöstlich ein überdachter Pavillon für private Unterhaltungen an. Zum östlichen Portal führte ein axial verlaufender Hauptweg hinab, den figurenbekrönte Postamente und mehrschalige Brunnen aus Gusseisen flankierten. Am südlichen Hang erstreckte sich der Weinberg. Die westlichen und nordwestlichen Partien dienten als Nutz- und Obstgarten.

An der Westseite, vis à vis der Villa Moser, waren die Nebengebäude angeordnet. Das zweistöckige Stallgebäude mit Brettschnitzarbeiten im Schweizerstil samt Hofraum und Remise lag axial, das Geflügel- und Gewächshaus seitlich davon. Hinter diesen Gebäuden erhob sich der gestaltete Hügel des Wasserreservoirs empor. Das nördlich liegende Dampf- und Brunnenhaus versorgte das 65.000 Liter fassende Bauwerk mit Quellwasser. Das Reservoir speiste nicht nur die zahlreichen Wasserspiele und die Villa Moser, sondern auch das ausgeklügelte Bewässerungssystem des Gartens. Unmittelbar neben dem Dampf- und Brunnenhaus befand sich das nördliche, hauptsächlich genutzte Portal. Von hier aus folgte man dem zart geschlungenen Weg nach Westen, ehe man die Nebengebäude passiert und die von Bäumen gerahmte Villa Moser erreicht hatte. An der Westseite fassten Kastanien und an der Ostseite Weißbuchen sowie Mammutbäume die Villa Moser ein. Im Süden waren zwei Blutbuchen angeordnet. Einige dieser Bäume sind noch heute erhalten.

E. O. Moser konnte aufgrund seines Todes im Februar 1879 nur wenig Zeit auf seinem Landgut verbringen. Sein Hauptwohnsitz war bis zum Schluss seine Fabrik an der Calwer Straße, wo er auch verstarb. Seine Frau bewohnte die Villa bis zu ihrem Tod im Jahr 1903. Da das Ehepaar Moser kinderlos geblieben war, vermachte sie das Anwesen ihrer Großnichte Rose Leibfried. Die Familie Leibfried pflegte einen bescheidenen Lebensstil und sah sich eher als Verwalter der Moser‘schen Anlage. Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Villa Moser Schäden durch Sprengbomben und brannte bis auf die Umfassungsmauern aus. In den Nachkriegsjahren wurde die Ruine bis auf das Sockelgeschoss abgetragen. Der Nutz- und Lustgarten sowie die Nebengebäude blieben weitgehend unversehrt. 1955 erwarb die Stadt Stuttgart das bis dahin von der Familie Leibfried bewirtschaftete wie gärtnerisch gepflegte Ruinengrundstück.

In den 1970er Jahren erfolgte der Abriss der bis dato zum Teil noch genutzten Nebengebäude. Anschließend lag das Gelände bis auf den als Grabeland verpachteten südlichen Hang endgültig brach und verfiel zusehends. Erst im Zuge der Internationalen Gartenbauausstellung 1993 wurde beabsichtigt, dem Areal neues Leben einzuhauchen und es in das „Grüne U“, eine zusammenhängende Park- und Gartenlandschaft, die sich von den Schlossgartenanlagen bis zum Killesbergpark erstreckt, einzugliedern. Bedauerlicherweise ist die seit 1983 unter Denkmalschutz stehende Gartenanlage nur wenig in das Konzept integriert, einige Teile sind sogar abgebrochen worden. Ohne Vorkenntnisse ist es den Besuchern heute nur schwer möglich, die historische Anlage nachzuvollziehen und die zahlreich verbliebenen Fragmente in das komplexe übergeordnete Gestaltungskonzept einzuordnen. Es ist bemerkenswert, wie wenig Interesse, Engagement und Empathie einem so geschichtsträchtigen Ort anlässlich der Internationalen Gartenbauausstellung 1993 entgegengebracht wurde.

Die Villa Moser steht exemplarisch für den Stuttgarter Villen- und Landhausbau der Gründerzeit, als viele zu Wohlstand gekommene Bürger, insbesondere Fabrikanten, Kaufleute und Buchverleger, repräsentative Häuser mit parkähnlichen Gärten in exponierter Lage bauten. Gestalterisch war die Villa Berg als Stuttgarts erster Neorenaissance-Bau von prägender Bedeutung. Architekten sowie Bauherren ließen sich von ihr inspirieren – so auch E. O. Moser und J. W. Braunwald. Charakteristisch für die Villa Moser ist dagegen die Komposition von Villa, Garten und Nebengebäuden sowie das ausgeklügelte Wassersystem. Im 1884 erschienen „Führer durch die Stadt und ihre Bauten“ ist die Villa Moser Teil einer erlesenen Auswahl von Stuttgarter Villen, die als Sehenswürdigkeiten aufgeführt werden. Heute ist das Gelände der Villa Moser eine von Stuttgarts letzten Anlagen der 1870er Jahre und die einzige aus dieser Zeit in öffentlicher Hand.

Text: Simon Otto Volk
Schlagwort: Stuttgart-Nord
Quellenhinweise:

Stadtarchiv Stuttgart 116/3 Baurechtsamt D 9167.
Stadtmessungsamt Stuttgart, Katasterpläne.

Literaturhinweise:

Christine Breig, Der Villen- und Landhausbau in Stuttgart 1830–1930, Stuttgart 2004.
Paul Hirschfeld, Württembergs Großindustrie und Großhandel, Leipzig 1889.
Stuttgart. Führer durch die Stadt und ihre Bauten. Festschrift zur sechsten Generalversammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine, Stuttgart [1884].
Simon Otto Volk, Villa Moser. Das vergessene Ruinenensemble, Stuttgart 2020.
https://www.villa-moser.de/ [zuletzt aufgerufen am 10.08.2023]

GND-Identifier: 22046466X
Publiziert am: 10.08.2023
Empfohlene Zitierweise:
Simon Otto Volk, Villa Moser, publiziert am 10.08.2023 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/b07c8bbc-6bcb-4fb4-bfc4-002e003a0c40/Villa_Moser.html