Alice Bloch, verheiratete Bloch-Tank, war eine jüdische Gymnastiklehrerin, die nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester und Gymnastiklehrerin in Berlin 1914 in der Neckarstr. 7B in Stuttgart ein orthopädisch-gymnastisches Institut gründete. 1927 erfolgte der Umzug ihrer Schule in einen von ihrem Bruder, dem Architekten Oskar Bloch, in der Zeppelinstraße 32 entworfenen modernen Neubau im Werkbund-Stil.

Die jüdische Gymnastiklehrerin Alice Bloch, verheiratete Bloch-Tank, wurde am 16. August 1883 in Stuttgart geboren und war die älteste der drei Schwestern des Stuttgarter Architekten Oskar Bloch (1881-1937). Als Tochter des aus der Schweiz stammenden Kaufmanns Joseph Bloch (1857-1900), der Mitbesitzer einer Großhandlung für Seiden- und Posamentierwaren war, besaß sie neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch das Schweizer Bürgerrecht. Mit ihren Geschwistern wuchs Alice Bloch in einem eher großbürgerlichen Elternhaus auf. Sie war Schülerin am Evangelischen Töchterinstitut Stuttgart, danach besuchte sie in der Schweiz die Sekundarschule in Zürich (1896/97) und ein Töchterinstitut in Lausanne (1900/01).

In Berlin begann Alice Bloch dann 1910 eine Ausbildung zur Krankenschwester an der Königlichen Chirurgischen Klinik und an der Orthopädischen Universitätsklinik und schloss diese mit staatlichem Examen ab. Von Prof. Rudolf Klapp wurde sie in die von ihm entwickelte heilgymnastische Behandlungsmethode zum Kurieren von Deformationen und Erkrankungen der Wirbelsäule eingewiesen. Des Weiteren studierte Alice Bloch am Berliner Zentralinstitut bei Bess Mensendieck die Methode und das funktionsgymnastische System der speziellen Körperschulung für Frauen, welche die holländische Ärztin auf der Grundlage anatomisch-physiologischer Zusammenhänge entwickelt und 1920 unter dem Titel „Körperkultur der Frau“ publiziert hatte. Ebenso lernte Alice Bloch die Grundlagen der künstlerisch-ästhetischen „Harmonischen Körperschulung“ von Hedwig (Hade) Kallmeyer kennen, die 1910 in Berlin als „Künstlerische Gymnastik“ in Buchform erschien.

Die beiden letztgenannten Systeme der gymnastischen Körper- und Bewegungsarbeit wurden von den zur damaligen Zeit wegweisenden Gymnastik-Repräsentantinnen jeweils eigenständig entwickelt und in ihren neu gegründeten Ausbildungsinstituten in Berlin gelehrt. Beide Lehrmeisterinnen von Alice Bloch betrachteten die Ausdruckslehre des französischen Sängers und Schauspiellehrers François Delsarte als ein wesentliches Fundament ihrer Lehre. Sowohl Bess Mensendieck als auch Hade Kallmeyer hatten diese Methode der harmonischen Körper- und Ausdrucksschulung bei Geneviève Stebbins in New York studiert. Durch ihre Ausbildungstätigkeit und ihre Veröffentlichungen trugen sie wesentlich dazu bei, dass sich die Gymnastik als eigenständiges bewegungskulturelles System erfolgreich etablieren konnte, die insbesondere Frauen und Mädchen zum Ausüben von Bewegungsaktivitäten motivieren sollte (Hade und Ernst Kallmeyer 1910 sowie Bess Mensendieck 1920). Wie ihre Lehrmeisterinnen griff Alice Bloch außerdem auf die in Deutschland in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg populär gebliebenen Theorien und Praktiken der „Schwedischen Gymnastik“ von Lars Mauritz Törngren (Esslingen 1908) und Nils Bukh (Berlin 1925) zurück.

Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, gründete Alice Bloch 1914 in Stuttgart zunächst im Elternhaus Hauptmannsreute 78 ihr Orthopädisch-gymnastisches Institut, das bald darauf in die Neckarstraße 7B übersiedelte. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, arbeitete sie zudem für kurze Zeit als Operations- und Saalschwester im Festungslazarett Breisach. Um ihre neu gegründete Schule in Stuttgart weiterführen zu können, kündigte sie diese Stelle aber bald. Nach dem Ersten Weltkrieg gab Alice Bloch vor allem Kinderkurse und leitete darüber hinaus einen Ausbildungsgang, in dem sie ihren reformpädagogisch inspirierten, umfassenden Ansatz lehrte und dabei auch die Grundlagen der verschiedenen Gymnastikausrichtungen vermittelte. Ab 1924 verfasste sie mehrere Schriften zur harmonischen Körperausbildung für Kinder und für Frauen mit Elementen der hygienisch-funktionellen Gymnastik und der rhythmischen Gymnastik.

Der von Alice Bloch dargelegte Ansatz zur Körperbildung, der sich vor allem an Frauen richtete, war in einer systematisierenden, trainingsmethodisch-technischen Absicht verfasst und die veröffentlichten Abbildungen zeigen zumeist einen muskulär-kräftigen Frauenkörper. Alice Bloch vermittelt darin insgesamt einen eher analytisch geprägten Ansatz und ihre Schriften bezeugen ihre eigene medizinische Vorbildung und profunde Kenntnis der verschiedenen Gymnastik-Systeme der damaligen Zeit. Detailliert werden von ihr die Auswirkungen der gymnastischen Übungen auf bestimmte Organe, physiologische Funktionen und innere Strukturen des Körpers, insbesondere auch bei orthopädischen Erkrankungen, beschrieben. Die Veröffentlichungen zeigen auf, dass Alice Bloch von der Idee einer gymnastischen Körperschule ausgegangen war, die alle Altersgruppen miteinbezogen hat, im Sinne einer umfassenden Bewegungserziehung vom Säuglingsalter bis zum Erwachsenenalter, für Menschen auf unterschiedlichen Fähigkeitsstufen, ob mit oder ohne gesundheitliche Einschränkungen. Blochs Publikationen dokumentieren insgesamt ein vielfältiges Bewegungsrepertoire an Leibesübungen und demonstrieren zudem mehr Kraft, Beweglichkeit und Elastizität des weiblichen Körpers, als dies in vergleichbaren Lehrbüchern der Gymnastik-Vertreterinnen und -Vertreter der 1920/30er Jahre der Fall war.

Im Kurs- und Lehrangebot ihrer Schule hatte Alice Bloch einerseits marktstrategisch die verschiedenen damals praktizierten Körperbildungssysteme im Einzelnen aufgefächert. Doch wurden andererseits auch Kurs- und Lehrangebote mit zielgruppenspezifisch zusammengesetzten Inhalten und Intentionen offeriert, wobei Elemente aus verschiedenen Systemen bzw. Arbeitsweisen kombiniert wurden. Ihre Intention war vor allem, bei den Teilnehmenden ein Bewusstsein für eine gesunde Körperhaltung und einen wohlkoordinierten Körpergebrauch im Alltag aufzubauen.

Bereits ab 1920 beantragte Alice Bloch mehrfach beim Ministerium des Innern sowie beim Ministerium für Kirchen und Schulwesen und beim Württembergischen Kultministerium eine staatliche Anerkennung der von ihr angebotenen Heilgymnastik-Ausbildung. Ihre zahlreichen Gesuche blieben alle erfolglos. Aus Nachlass-Dokumenten – dem Gesuch zur Anerkennung der Heilgymnastik-Ausbildung vom 2. Oktober 1926 – geht hervor, dass mindestens 23 von Alice Bloch ausgebildete Studierende nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern darüber hinaus auch z.B. in der Schweiz oder in Skandinavien tätig waren. Nelly Bloch, eine der Schwestern von Alice Bloch, hatte unter dem Künstlernamen Cornelia Bruhn zwischen 1909 und 1919 verschiedene Theaterengagements und arbeitete später in Zürich ebenfalls als Heilgymnastiklehrerin. Auch sie hatte bereits in den 1920er Jahren am Orthopädisch-gymnastischen Institut ihrer Schwester studiert.

Ab 1930 waren die Schule und das Ausbildungsinstitut von Alice Bloch in der Zeppelinstraße 32 beheimatet. Ihr Bruder, der Architekt Oskar Bloch (1881-1937), hatte für Alice Bloch dort ein eigenes Gebäude im modernen Stil errichtet, in dessen Räumlichkeiten die unterschiedlichen Arbeitsrichtungen der Gymnastik adäquat praktiziert werden konnten. Dort existierte das Orthopädisch-gymnastische Institut bis 1938. In dieser Zeit des beruflichen Umbruchs hatte Alice Bloch den Zahnarzt Wilhelm Tank geheiratet, der in ihrem Institut auch in der Lehre mitarbeitete. Bereits 1932 ließ sich das Paar wieder scheiden, u.a. weil Tank mit den Nationalsozialisten sympathisierte.

1929 hatte sich Alice Bloch mit ihrem Institut dem in Stuttgart neu gegründeten Reichsverband für Heilgymnastik, Gymnastik und Tanz angeschlossen. In diesem hatten sich die in Stuttgart ansässigen Schulen Glucker, Herion, Alice Bloch, Berta Steiner und H. L. Walcher zusammengeschlossen, um die verschiedenen gymnastischen Richtungen und Systeme zusammenzufassen und gemeinsam vertreten zu können. Eine solche übergreifende Sichtweise entsprach durchaus der Auffassung von Alice Bloch, obschon der nationale Dachverband der bekannten großen Gymnastikschulen, der „Deutsche Gymnastikbund“ (DGB), dem Alice Bloch ebenfalls angehörte, bezweifelte, ob diese neue Organisation eine tiefere, einheitliche Idee schaffen könne. Möglicherweise war dieser Zusammenschluss der Stuttgarter Schulen aber auch eine Reaktion auf den damals zu beobachtenden Ausbau der Sportinfrastruktur sowie auf die zunehmende ideologisch motivierte Politisierung der Sportorganisationen und den sich daraus ergebenden Veränderungen in der Zusammensetzung der kommunalen und sportorganisatorischen Gremien.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und den von ihnen erlassenen neuen gesetzlichen Bestimmungen für private Ausbildungsschulen, musste das private orthopädisch-gymnastische Institut von Alice Bloch geschlossen werden. Daraufhin wurde dort von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg von 1935 bis 1938 eine Sportschule zur Ausbildung von jüdischen Sportlehrerinnen und Sportlehrern für die jüdischen Schulen im Deutschen Reich betrieben. Diese wurde von Edwin Halle für die Reichsvertretung der Deutschen Juden geleitet. In dieser Phase wurden ca. 70 Sportlehrerinnen bzw. Sportlehrer von Alice Bloch und einer Assistentin im Fach Gymnastik geschult. Schülerinnen von Alice Bloch aus dieser Zeit waren u.a. Maja S. Silberburg sowie Lisa Mathilde (Hilda) Frank aus Sigmaringen.

Nach der endgültigen Schließung der Ausbildungsstätte emigrierte Alice Bloch im Oktober 1938 in die Schweiz. In Zürich konnte sie 1942 das Schweizer Bürgerrecht wiedererlangen, nachdem ein erster Antrag 1939 gescheitert war. 1954 verlegte sie ihren Wohnsitz nach Adliswil im näheren Umland von Zürich. Um 1962 emigrierte Alice Bloch nach Israel zu ihrer Schwester Marta und wohnte dort in einem Altersheim in Nahariva. Sie kehrte jedoch nach einem Jahr wieder nach Zürich zurück, wo sie bei Verwandten wohnte. 1967 zog sie in das Israelitische Alters- und Pflegeheim nach Lengnau. Dort starb sie am 27. April 1971.

Text: Claudia Fleischle-Braun
Schlagwort: Stuttgart-West
Quellenhinweise:

Alice Bloch, Der Körper deines Kindes. Leibesübungen für Kinder in Heim und Schule. Für die Hand der Eltern, der Lehrenden und aller Kinderfreunde, Stuttgart 1924.
Alice Bloch, Harmonische Schulung des Frauenkörpers. Nach gesundheitlichen Richtlinien in Bildern und Merkworten. Mit 147 vielfach ganzseitigen neuen Aufnahmen, Stuttgart 1926.
Alice Bloch, Kindergymnastik im Spiel. Ein neues Buch zur Gesundung deines Kindes. Für die Hand der Eltern, der Lehrenden und aller Kinderfreunde, Stuttgart 1927.
Alice Bloch, Rank und schlank: Harmonische Schulung des Frauenkörpers, Stuttgart 1932.
Hade Kallmeyer/Ernst Kallmeyer, Künstlerische Gymnastik. Harmonische Körperkultur nach dem amerikanischen System Stebbins-Kallmeyer von Frau Hade Kallmeyer, Berlin 1910.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart E 151/52 Bü 496 Orthopädisch-gymnastisches Institut der Alice Tank-Bloch.

Literaturhinweise:

Claudia Fleischle-Braun, Harmonische Körperbildung. Die jüdische Gymnastiklehrerin Alice Bloch im Kontext der Lebensreformbewegung und nationalsozialistischer Restriktionen, in: SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 21 (2021) 3, S. 63-77.
Gunhild Oberzaucher-Schüller, Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland, in: Tanz der Zeichen – 200 Jahre François Delsarte, hg. von Mathias Spohr, Themenheft der Kodikas, Code - Ars semeiotica: an international Journal of Semiotics 35 (2012), S. 319-334.
Dietrich W. Schmidt, Bloch & Guggenheimer. Ein jüdisches Architekturbüro in Stuttgart (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart, Bd. 114), Stuttgart 2020.
Sigmaringen (Kreisstadt), Jüdische Geschichte: https://www.alemannia-judaica.de/sigmaringen_juedgeschichte.html [zuletzt aufgerufen am 19.04.2022].
„Stuttgart“, in: Encyclopaedia of Jewish Communities: Germany volume II (Germany) 48°46' / 9°11', Jerusalem 1972. https://www.jewishgen.org/yizkor/pinkas_germany/ger2_00141.html [zuletzt aufgerufen am 19.04.2022].
Karl Toepfer, Empire of Ecstasy: Nudity and Movement in German Body Culture, 1910-1935, Berkeley 1997.
Bernd Wedemeyer-Kolwe, „Der neue Mensch“. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Würzburg 2004.

GND-Identifier: 116202262
Publiziert am: 13.10.2022
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Claudia Fleischle-Braun, Alice Bloch (1883-1971), publiziert am 13.10.2022 in: Stadtarchiv Stuttgart,
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