Der Stuttgarter Bürgermeister Wolff Friedrich Lindenspür (1581-1651) war ursprünglich Angehöriger der Hofkapelle und übernahm seit 1632 politische Ämter in der Stadt. Im Gedächtnis der Stadt blieb er durch mehrere gegen Ende seines Lebens vorgenommene Stiftungen, die er stets auch mit der Erinnerung an seine eigene Person verknüpfte.

Lindenspür stammte aus dem fränkischen Sommerhausen am Main. Hierbei handelte es sich um eine Herrschaft der Schenken von Limpurg-Speckfeld, die als protestantische Enklave inmitten des Territoriums der Bischöfe von Würzburg lag. Lindenspürs Vater war brandenburgischer Amtmann und Bergmeister, seine Mutter eine Pfarrerstochter. Ein älterer Bruder Thomas heiratete in Stuttgart, wirkte in der Folge in verschiedenen württembergischen Beamtenfunktionen und starb schließlich als Klosterhofmeister in Lichtenstern.

Wolff Friedrich Lindenspür selbst kam 1598 nach Stuttgart. Er folgte offenbar dem älteren, schon seit 1594 hier ansässigen Bruder und wirkte zunächst als Trompeter und „Instrumentist“ in der renommierten Kapelle der württembergischen Herzöge Friedrich und Johann Friedrich. Inwiefern Lindenspürs Weg zum Berufsmusiker familiär vorgezeichnet war, ist unbekannt. In jedem Fall genoss er als Hofmusiker einen durchaus gehobenen Sozialstatus, der in einem auskömmlichen Salär, Naturalleistungen und sonstigen Privilegien zum Ausdruck kam. 1604 heiratete er die Witwe des Stuttgarter Bürgers Michel Wirt, Tochter des Markgröninger Bürgermeisters Gabriel Fund, und bewarb sich um das Bürgerrecht, das er ein Jahr später erhielt. Lindenspür verließ die Hofkapelle 1628 und konnte nun offensichtlich von seinem Vermögen leben.
Der Aufstieg Wolff Friedrich Lindenspürs in politische Ämter begann 1632 mit seiner Berufung in den Rat. Bereits ein Jahr später gehörte er dem Gericht an und blieb bis zu seinem Tod am 10. Juni 1651 Mitglied des Gremiums. Im Amt eines Bürgermeisters ist er von 1636 bis 1641 nachgewiesen.

Die Etablierung Lindenspürs in der Stuttgarter Gesellschaft lässt sich auch daran ablesen, dass er nach dem Tod seiner ersten Frau zwischen 1631 und 1647 noch dreimal Stuttgarter Witwen heiratete – eine für die frühneuzeitliche Stadtgesellschaft durchaus übliche Entwicklung. 1631 folgte die Heirat mit Anna Elsässer, Witwe des Gärtners und Tiergärtners Hans Mager, 1633 mit Elisabeth Böhm, Witwe des Gastwirts Anton Fischers und zuletzt 1647 mit Maria Mayer, der Witwe des früheren Bürgermeisters und Ratsverwandten Johann Hannemann. Diese Heiraten sind immer wieder mit den offensichtlich beträchtlichen Geldmitteln in Zusammenhang gebracht worden, über die Lindenspür gegen Ende seines Lebens verfügte. Tatsächlich ist jedoch über Sozialstatus, Vermögens- und Familienverhältnisse insbesondere der ersten Ehefrauen Lindenspürs bisher ebenso wenig bekannt wie über das Vermögen und die Einkommensquellen des Bürgermeisters selbst jenseits seiner früheren Tätigkeit als Hofmusiker.

Lediglich aus der ersten Ehe Lindenspürs gingen Kinder hervor. Zwei Söhne erreichten das Erwachsenenalter und machten nach erfolgtem Studium Karrieren in kaiserlichen bzw. fürstlichen Diensten. Der 1607 geborene Georg Ludwig Lindenspür war 1627 in Tübingen immatrikuliert. Nach dem Bakkalaureat 1628 war er vorübergehend Stipendiat des Evangelischen Stifts, wurde jedoch aus diesem 1631 „cum gratia“, also mit gutem Willen, entlassen und schrieb sich nun in die juristische Fakultät ein. Sein 1612 geborener Bruder Georg Friedrich war dort ebenfalls immatrikuliert. Beide standen in enger Verbindung zu dem bekannten Tübinger Staatsrechtler und Konvertiten Christoph Besold, dem Georg Friedrich nach Ingolstadt folgte. Sein älterer Bruder, der selbst zum Katholizismus übertrat, ging als gelehrter Rat zunächst in österreichische Dienste. Dies fiel zeitlich mit der österreichischen Interimsherrschaft in Württemberg wie auch mit der Tätigkeit Wolff Friedrich Lindenspürs als Gerichtsverwandter und Bürgermeister zusammen. 1641 wurde Georg Ludwig zum Reichshofrat ernannt, wirkte bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden sowie beim Nürnberger Exekutionstag mit und brachte es schließlich bis zum Reichsvizekanzler. Georg Friedrich war als Reichshofratsagent und Resident des Mainzer Kurfürsten und kaiserlicher Taxator zwischenzeitlich ebenfalls in Wien ansässig. Beide wurden nobilitiert, während ihre Finanzen weiter prosperierten: So konnte Georg Friedrich bereits in den 1660er Jahren zwei Schlösser in Oberösterreich erwerben.

Dass der Name Wolff Friedrich Lindenspür in Stuttgart bis heute nicht vergessen ist, liegt auch daran, dass der Bürgermeister die Erinnerung an seine Person sehr bewusst gestaltete. Ein 1641 von einem unbekannten Künstler geschaffenes Portrait zeigt einen wohlhabenden sowie selbst- und standesbewussten Bürger, zugleich ausgestattet mit Attributen eines Hofmusikers. Das Bild stand möglicherweise in Zusammenhang mit dem Ausscheiden aus dem Bürgermeisteramt. Im Gedächtnis geblieben ist Lindenspür vor allem dank mehrerer wohltätiger Stiftungen, die er gegen Ende seines Lebens tätigte. Dabei sind die bewussten Verknüpfungen mit Namen, Person und auch dem Portrait des Stifters besonders auffällig. Lindenspür sorgte stets für Artefakte bzw. Medien, die geeignet waren, die Erinnerung an ihn für Zeitgenossen und Nachwelt lebendig zu halten. Bereits für seine erste dokumentierte Spende, eine Fleischspeisung im Wert von gut 21 Gulden zugunsten der Studenten des „Fürstlichen Theologischen Stipendiums“, also des Evangelischen Stiftes zu Tübingen, ließ er sich von diesen in einem Dankesgedicht verherrlichen, das in einem Einblattdruck veröffentlicht wurde. Eine weitere „Christliche Dancksagung / An den Ehrnvesten Wolvorgeachten Herrn Wolffgang-Friderich Lindenspühr / vornehmen Burger […]“ von Tübinger Studenten erschien 1645, gleichfalls als gedrucktes Gedichtblatt.

Die bekannt gewordene, eigentliche »Lindenspür-Stiftung« von 1648 bestand einerseits aus einem Festmahl für einen genau bestimmten Kreis der Stuttgarter Oberschicht, bei dem stets auch Nachkommen Lindenspürs anwesend sein sollten, andererseits in einer regelmäßigen Armenspeisung. Die 44 durch ihr Amt definierten Honoratioren entstammten sowohl der städtischen wie auch der herzoglichen und kirchlichen Sphäre. Die für die Verteilung berechtigten Stuttgarter „Hausarmen“, wie die rechtmäßig Bedürftigen genannt wurden, hatten persönlich zu erscheinen. Welche Speisen in welchem Wert zu reichen waren, wurde in den Stiftungsurkunden genau festgelegt. Nachdem Lindenspür selbst die Stiftung noch zweimal aufgestockt hatte, wobei sich beim zweiten Mal auch seine Ehefrau aus eigenem Vermögen beteiligte, betrug das Kapital 1650 schließlich 2.100 Gulden. Aus den Erträgen waren 60 Gulden für die Armen, 45 für das eigentliche Lindenspürmahl vorgesehen. Diese Wohltaten wurden in einer wohl nach 1650 vollendeten Stiftertafel eines unbekannten Künstlers festgehalten. Die gemalte Tafel, deren Gattung sich nicht ganz eindeutig greifen lässt, präsentiert das Porträt Lindenspürs, ein der Stadt zusätzlich gestiftetes wertvolles Trinkgefäß in Form eines Löwen sowie die für die Armenspeisung vorgesehenen Lebensmittel. Umfang und Wert der Gaben werden in Text und Beschriftung genau aufgeführt. Der vergoldete Löwenpokal, der mit auf Mahl und Stiftung bezogenen Sinnsprüchen versehen war, trug gleichfalls das Portrait des Stifters. Ferner ein Widmungsgedicht in der Mitte der Tafel.
Eine weitere kleinere Stiftung mit einem Ertrag von jährlich zehn Gulden war für ein Mahl der Musiker an der Stiftskirche vorgesehen, die dem früheren Bürgermeister dafür ein „Sterbegesänglein“ zu widmen hatten. Sozusagen den Schlussstein der Erinnerung an den Stifter Lindenspür bildet sein für die Hospitalkirche bestimmtes Epitaph, das heute im Depot der stadtgeschichtlichen Sammlungen des „Stadtpalais. Museum für Stuttgart“ aufbewahrt wird. Dessen Mitteltafel zeigt im oberen Bereich das Weltengericht. Der hierauf bezogene Vers aus dem Matthäus-Evangelium „Ich bin hungrig gewesen …“ (Mt 25, 35) stellt die Verbindung zu einer darunter dargestellten Armenspeisung dar. Zwar erscheint Lindenspür in der Predella – gemeinsam mit seinen Angehörigen – auch als in Demut kniender Beter, das gesamte Epitaph wird jedoch wiederum von seinem selbstbewussten Brustbild gewissermaßen bekrönt.

Das Lindenspürmahl wie auch die Armenspeisung wurden im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts regelmäßig abgehalten. Eine gewisse Popularität auch in späterer Zeit lässt sich daran ablesen, dass es im 18. Jahrhundert zu weiteren Zustiftungen von anderen Personen kam, die mit Lindenspür in keinem familiären Verhältnis standen. Gleichwohl gestatteten die Erträge die Abhaltung nur noch in größeren Zeitabständen. Im 19. Jahrhundert kam dann ein neues, nun primär historisches Interesse am Lindenspürmahl bzw. an der Person Lindenspür auf: Mit seinem Beitrag in der populären illustrierten Zeitung „Ueber Land und Meer“ beförderte der historisch interessierte Philologe Karl Pfaff 1864 die Erinnerung an Wolff Friedrich Lindenspür. Irrtümlich wurde ihm hier auch die Stiftung eines weiteren Trinkgefäßes, eines in den stadtgeschichtlichen Sammlungen überlieferten Stutenpokals, zugesprochen. Mit der Benennung der Lindenspürstraße vier Jahre später erhielt der Name des Bürgermeisters eine weitere sichtbare Verankerung im Gedächtnis der Stadt. Hierauf konnte 1895 der Journalist und Inhaber des „Pforzheimer Beobachters“ Max Klemm aufbauen. Er widmete Lindenspür eine Biographie mit dem Untertitel „Ein Lebens- und Sittenbild aus Stuttgarts Stadtgeschichte“, in der das Bild einer selbstlosen Lichtgestalt in Zeiten kriegsbedingter moralischer Verwahrlosung gezeichnet wurde. 1909 wurden die noch vorhandenen Mittel der Stiftung dafür verwendet, nach langem zeitlichen Abstand letztmalig ein Lindenspürmahl abzuhalten, bei dem Oberbürgermeister Heinrich von Gauß Anlass und Geschichte des Mahls sehr ausführlich – und zugleich humoristisch-distanziert – Revue passieren ließ. Die Stuttgarter Presse berichtete ausführlich hierüber. Die Stiftertafel und das Portrait Lindenspürs schmückten noch in den 1950er und 1960er Jahren u.a. die Amtsräume der Bürgermeister Josef Hirn und Jürgen Hahn im Rathaus.

Text: Jürgen Lotterer
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Stadtarchiv Stuttgart 1/1 Altes Archiv. Lindenspür-Stiftung
Stadtarchiv Stuttgart 8500 Urkunden U 106

Literaturhinweise:

Max Klemm, Wolff Friedrich Lindenspür - älterer Bürgermeister zu Stuttgart. Ein Lebens- und Sittenbild aus Stuttgarts Stadtgeschichte. Stuttgart [1893].
Karl Pfaff, Ein Bürgermeister aus alten Zeiten, in „Ueber Land und Meer“ Allgemeine Illustrierte Zeitung 13 (1865), S. 356-357.

GND-Identifier: 101228400X
Publiziert am: 15.09.2023
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Lotterer, Wolff Friedrich Lindenspür, publiziert am 15.09.2023 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/86b7c28b-7ee9-4c32-980c-f871ff5a2410/Wolff_Friedrich_Lindenspuer.html