Die Lehrerin, Schriftstellerin und Ehefrau des SPD-Reichstagsabgeordneten Wilhelm Blos gehörte 1919/20 der verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar an. Sie schrieb wichtige Werke zur Frauengeschichte.

Anna Berta Antonia Tomasczewska wurde am 4. August 1866 im niederschlesischen Liegnitz, dem heute polnischen Legnica, geboren. Ihre Eltern waren der Oberstabsarzt Dr. Robert Tomasczewski (1839-1892) und seine Frau Marie (1846-1879), Tochter eines ostpreußischen Gutsbesitzers. Als Berufsoffizier wurde der Vater immer wieder versetzt, so 1878 nach Karlsruhe. Dort starb im folgenden Jahr Annas nur 32-jährige Mutter. 1880/81 besuchte das Mädchen die vorletzte Klasse des dortigen Victoria-Pensionats, 1883/84 als externe Schülerin die Abschlussklasse des Prinzess-Wilhelm-Stifts, eines Seminars zur Lehrerinnenausbildung, ebenfalls in Karlsruhe. Für das Studium der Geschichte, Literatur und Sprachen zog es sie 1885 an die Humboldt-Universität in Berlin. Um 1890 legte sie ihr Examen als Oberlehrerin ab. Wo sie danach als Lehrerin wirkte, ist nicht bekannt.

Im Jahre 1905 heiratete die 39-jährige Anna den 17 Jahre älteren Wilhelm Blos (1849-1927), einen umfassend gebildeten Schriftsteller und sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, der zwei gescheiterte Ehen hinter sich hatte. Das Paar verband eine innige Geistesverwandtschaft. Die beiden lebten seit ihrer Heirat in Stuttgart, wahrscheinlich hier trat Anna Blos dann der SPD bei.

Anna Blos arbeitete nun vor allem journalistisch. Sie schrieb für die hiesige sozialdemokratische Tageszeitung „Schwäbische Tagwacht“, aber auch für die von Clara Zetkin in Stuttgart redigierte feministische Zeitschrift „Die Gleichheit“ und weitere Blätter. Sie hielt in sozialistischen Jugendgruppen kostenfreie Kurse über richtiges Schreiben ab. 1910 wurde Anna Blos in Stuttgart zur Ortsschulrätin ernannt – und war damit die erste Frau in dieser Funktion im gesamten Deutschen Reich. Sie gehörte dem Landesvorstand der SPD Württembergs an, auch darin eine Pionierin.

Am entscheidenden Tag der Novemberrevolution, am 9. November 1918, beriet dieses Gremium im Gewerkschaftshaus in der Esslinger Straße, dem Gasthaus „Zum Goldenen Bären“. Wilhelm Blos begleitete seine Frau, die beiden wohnten zu dieser Zeit in Degerloch, in die unsicher erscheinende Stadt Stuttgart. Während Anna an ihrer Sitzung teilnahm, berieten im Landtag Vertreter der Arbeiterparteien, der Räte, der Gewerkschaften und eher zufällig Anwesende über die künftige politische Ausrichtung und Vorgehensweise. Man einigte sich auf die Bildung einer provisorischen Regierung und drängte den angesehenen, immerhin schon 69 Jahre alten Wilhelm Blos dazu, deren Vorsitz zu übernehmen.

Ungeachtet ihrer schon seit jungen Jahren angegriffenen Gesundheit agitierte Anna Blos nun tatkräftig, hielt Reden, leitete Versammlungen, speziell für Frauen; ihr Ziel waren dabei stets gleiche Rechte auch für Frauen in einer sozialistischen Gesellschaft. Der Weg dorthin sollte ein friedlicher, evolutionärer sein; Anna gehörte wie ihr Mann zum gemäßigten Flügel der Sozialdemokratie. Sie arbeitete in jener Umbruchszeit in vielen Institutionen mit: So gründete sie den Verband der Stuttgarter Hausfrauen, war Mitglied im „Rat der geistigen Arbeiter und Arbeiterinnen Stuttgart“ und Mitwirkende in der Frauenabteilung der neu gegründeten Volkshochschule Stuttgart – um nur die wichtigsten Funktionen zu nennen.

Am 19. Januar 1919 wurde Anna Blos in die verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung nach Weimar gewählt – als einzige Frau aus Württemberg. Die Württembergische Landesversammlung bestimmte wenig später, am 7. März, Wilhelm Blos mit 100 von 129 Stimmen zum Staatspräsidenten des Landes. Mit der letzten Sitzung der Nationalversammlung am 21. Mai 1920 endete das Mandat Anna Blos’; am 23. Juni 1920 schied Wilhelm Blos aus dem Amt, auch auf Betreiben seiner eigenen Partei. Die beiden widmeten sich fortan gänzlich ihren schriftstellerischen Tätigkeiten. Seit 1922 lebten sie in einer kleinen Dienstwohnung im Alten Schloss. Als Wilhelm 1927 schwer erkrankte, übernahm Anna die Pflege bis zu seinem Tode am 6. Juli.

Nun erschienen in rascher Folge ihre Hauptwerke: „Frauen der deutschen Revolution 1848. Zehn Lebensbilder und ein Vorwort“ (1928), „Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder“ (1929) und schließlich 1930 der von ihr mit herausgegebene Band „Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus“.

Anna Blos bezog nur eine winzige Pension. Beim großen Brand des Alten Schlosses 1931 verlor sie ihr Hab und Gut, vor allem die umfangreiche Bibliothek. In jener Zeit erkrankte sie an Krebs, dem sie am 27. April 1933 erlag.

Text: Ulrich Gohl
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Wilhelm Blos, Von der Monarchie zum Volksstaat. Zur Geschichte der Revolution in Deutschland insbesondere in Württemberg, Stuttgart 1922.

Literaturhinweise:

Hans-Joachim Mann, Anna Blos – Frauenrechtlerin und Schriftstellerin, in: Unser Land und seine Sozialdemokraten – Wilhelm und Anna Blos. Frankfurt am Main o. J., n. pag.
Maja (Mascha) Riepl-Schmidt, Wider das verkochte und verbügelte Leben. Frauenemanzipation in Stuttgart seit 1880, Stuttgart 1990, S. 173-182.
Maja (Mascha) Riepl-Schmidt, Anna Blos, geb. Tomasczewska, Historiografin einer weiblich revolutionären Tradition, in: Frauen und Revolution. Strategien weiblicher Emanzipation 1789 bis 1848, Tübingen 1998.
Maja (Mascha) Riepl-Schmidt, Anna (1866-1933) und Wilhelm Blos (1849-1927), in: Politische Köpfe aus Südwestdeutschland, hg. von Reinhold Weber/Ines Mayer, Stuttgart 2005, S. 73-83.
Maja (Mascha) Riepl-Schmidt, Blos, Anna, in: Württembergische Biografien, Bd. 1, Stuttgart 2006, S. 16-18.

GND-Identifier: 124316506
Publiziert am: 24.08.2020
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Gohl, Anna Blos (1866-1933), publiziert am 24.08.2020 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/860efaee-1696-4834-b30b-95d55e3003a8/Anna_Blos_%281866-1933%29.html