Das Gebäude der Universitätsbibliothek liegt zentral auf dem Campus Stadtmitte im Stadtgarten. Geplant und gebaut von 1957 bis 1961 steht es beispielhaft für die Architektur der deutschen Nachkriegsmoderne.

Die Bibliothek der Technischen Hochschule, wie die Universität bis 1967 hieß, war in den ersten Nachkriegsjahren nach einem Bombentreffer des zentralen Hochschulgebäudes notdürftig in verschiedenen kleinen Räumlichkeiten untergebracht. Es herrschte drangvolle Enge in den Lese- und Büroräumen und ein erschwerter Zugang zu den in Notmagazinen untergebrachten Büchern und Zeitschriften. 75% aller Hochschulgebäude waren nach dem Krieg zerstört oder schwer beschädigt. 1948/49 legte der Architekt Richard Döcker (1894-1968), Professor an der TH, einen Generalplan zum Wiederaufbau der Hochschule auf dem Campus Stadtmitte vor. Die Bibliothek sollte in einem Verbindungsstück zweier größerer Komplexe, dem sogenannten Z-Bau, untergebracht werden. 1954/55 wurde Döckers umfassender Hochschulplan als nicht realisierbar zu den Akten gelegt. Erst durch die finanzielle Unterstützung der Max-Kade-Foundation, einer Stiftung des deutsch-amerikanischen Unternehmers Max Kade (1882-1967) aus Schwäbisch Hall, konnte ab 1957 ein großzügiger Bibliotheksneubau für das Stadtgartengelände entworfen und 1961 eröffnet werden.

Als geistiges Zentrum eines Universitätscampus stellte eine Bibliothek in den Nachkriegsjahren eine besondere Bauaufgabe dar. Das in ihr versammelte Wissen wurde mit Humanität und Demokratie assoziiert. Nach Nazidiktatur und Bombenkrieg standen Bibliotheksgebäude für das höchste Gut einer freien und in friedlicher Koexistenz lebenden Gesellschaft.

Verantwortlich für Planung und Gestaltung des Neubaus waren der damalige Bibliotheksdirektor Dr. Manfred Koschlig (1911-1979) und Hans Volkart (1895-1965), Architekt und Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart. Die Organisationsprinzipien sollten modern, die Gestaltung Ausdruck der offenen, Gesellschaft der jungen Bundesrepublik sein. Längere Reisen in die Schweiz und die USA schulten das Auge der Planer und brachten architektonische Vorbilder und Strukturprinzipien der internationalen Moderne aus den USA in den Entwurf mit ein. Entstanden ist ein funktionales, nach den Prinzipien der Transparenz und Flexibilität gestaltetes Gebäude, das sich mit seinem Flachdach in den städtebaulichen Landschaftsraum zwischen Max-Kade-Studentenwohnheim, Mensa, Lindenmuseum und den beiden neuen Kollegiengebäuden einfügte.

Der Verzicht auf einen „klassischen“ Bücherturm und die Verlegung des Magazins in die Horizontale unter das Gebäude ermöglichte ein kompaktes rechteckiges Bauwerk von nur zwölf Meter Höhe. Über dem niedrigen, mit Waschbetonplatten verzierten Sockelgeschoss, das Verwaltung, Werkstätten und Eingangsfoyer beherbergt, erhebt sich der zweigeschossige verglaste Lesesaal. Er ist das funktionale und optische Herzstück des Gebäudes. Seine gläserne Hülle wird durch eine Reihe vor die Fassade gesetzter Betonrundpfeiler und auskargender Sonnenschutzblenden gegliedert. In Kombination mit der waagrechten Attikazone aus Aluminiumwellblech referenziert das Gebäude auf antike Tempelbauten und erhält repräsentativen Charakter. Damit unterscheidet es sich von den zahlreichen gesichtslosen Verwaltungsbauten seiner Zeit und zementiert den Anspruch als Bauwerk des Wissens.

Bei der Planung des Raumgefüges im Inneren war ein wichtiger Leitgedanke, den Nutzerinnen und Nutzern einen freien, direkten Zugang zur Literatur zu ermöglichen. Die bis dahin bei deutschen Bibliotheksbauten vorherrschende Trennung von Lesesaal und Büchermagazin wurde aufgehoben. Leserinnen und Leser sollte die Literatur am Regal selbst auswählen – open shelves – und an den Leseplatz mitnehmen können. Architektonisch umgesetzt wurde dies durch offene Strukturen auf der Grundlage eines modularen Stützenrasters, basierend auf einem Quadrat von 4 x 4 Metern, das den Grundriss des Gebäudes bildet. Die sich daraus ergebenden verschiedenen Raumzonen fließen ineinander. Raumabschnitte unterschiedlichster Art – hohe Räume mit großer Weite, schwebende Galerien mit Übersicht, Arbeitsplätze am ruhigen Innenhof umgeben von Büchern, niedrige Studierzonen mit Ausblick auf grüne Flächen des Stadtgartens und räumlich abgeschlossene Studios mit Einzelarbeitsplätzen – wechseln sich ab. Sie bieten Nutzerinnen und Nutzern eine Auswahl ganz unterschiedlicher Arbeitsbereiche. Die großzügige Durchfensterung der Fassade eröffnet eine organische Verbindung von Innen- und Außenraum.

Die Universitätsbibliothek ist gemeinsam mit dem Standort Vaihingen und den insgesamt über 100 Instituts- und Fakultätsbibliotheken Teil des Informations- und Kommunikationszentrums der Universität Stuttgart (IZUS). Neben den Kernaufgaben – der Bereitstellung von Literatur und der Informationsvermittlung – ist es das erklärte Ziel, den Wandel einer zunehmend globalisierten und digitalisierten Informationslandschaft mitzugestalten. Mit über 1,6 Millionen physischen Medieneinheiten sowie zahlreichen weiteren digitalen Angeboten dient die Bibliothek als einer der zentralen Wissensspeicher der Stadt Stuttgart.

Der Leitgedanke der Erbauungszeit – die individuelle und offene Nutzbarkeit – bestimmte maßgeblich die Ästhetik des Gebäudes. Form und Funktionalität bilden eine Einheit. Sie ist einer der Gründe dafür, dass die Bibliothek 2018 unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Text: Christiane Rambach
Schlagworte: Stuttgart-Mitte, Wissenschaftsfestival
Quellenhinweise:

Universitätsarchiv Stuttgart Bestand 70/39.
Universitätsarchiv Stuttgart Bestand 70/61.
Universitätsarchiv Stuttgart Bestand 70/62.

Literaturhinweise:

Manfred Koschlig (Hg.), Die Bibliothek der Technischen Hochschule Stuttgart 1962, Stuttgart 1962.
Christiane Rambach/Frank Wiatrowski, Kulturdenkmal Universitätsbibliothek Stuttgart, Stuttgart 2019. https://doi.org/10.18419/opus-10534
Werner Stephan (Hg.), 50 Jahre Neubau Universitätsbibliothek Stuttgart 2011, Stuttgart 2011.

GND-Identifier: 43167-9
Publiziert am: 23.06.2022
Empfohlene Zitierweise:
Christiane Rambach, Universitätsbibliothek Stuttgart, publiziert am 23.06.2022 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/7f384032-d724-4865-8a14-bf2e7b7fb237/Universitaetsbibliothek.html