Der Jurist, Rechtsanwalt und Politiker Ludwig August Oesterlen spielte in der demokratischen Bewegung Württembergs seit 1848 eine führende Rolle. Neben seiner politischen Tätigkeit gehörte u.a. die Förderung des Genossenschaftswesens zu seinen Verdiensten.

Zur Zeit seiner Geburt am 1. Mai 1819 war sein Vater Dr. Georg Christian (1773-1850) Oberamts- und fürstlicher Leibarzt in Öhringen. Dort absolvierte August seine ersten Schuljahre, bis die Familie 1833 nach Stuttgart zog, wo er das Gymnasium besuchte. Er entschloss sich zum Studium der Rechtswissenschaft. An der Universität Tübingen traf Oesterlen 1837 auf einen Kreis ihm schon Bekannter, freiheitlich gesinnter Kommilitonen, die auch Mitglieder der neugebildeten Burschenschaft Germania waren. 1842/43 legte er die beiden Staatsprüfungen ab und wurde auf eigenen Wunsch 1846 zum Stadtgericht Stuttgart versetzt, 1848 folgte die Beförderung zum Oberjustizassessor. Dem anerkannten Juristen schien eine große Karriere zu winken.

Schon frühzeitig bekannte er sich zur noch unorganisierten und keineswegs homogenen liberalen Opposition. Die im Frühjahr 1848 friedlich und mit der Ernennung des Märzministeriums unter dem liberalen Idol Friedrich Römer verheißungsvoll beginnende revolutionäre Entwicklung schien endlich die Möglichkeit zu bieten, die liberalen Ziele zu verwirklichen.

Die während der Göppinger Volksversammlung am 26. März 1848 beschlossene Bildung vaterländischer Vereine ließ ihn aktiv werden; die landesweit zu gründenden Vereine sah er als Vehikel einer besseren Zukunft. Mit der Wahl in den Ausschuss des Stuttgarter Hauptvereins trat er sein erstes politisches Mandat an. Er fungierte als Schriftführer und forderte die Vereine im Lande zur Koordination auf. Nach den Wahlen zur Nationalversammlung und zum Landtag erlahmten jedoch die Aktivitäten des kritisierten Hauptvereins. Schließlich war Oesterlen Hauptmann der Bürgerwehr.

Durch den Masseneintritt konservativ-reaktionärer Gruppen änderte der Hauptverein seine Ausrichtung. Oesterlen und seine politischen Freunde verließen ihn nach vorangegangenen Querelen und gründeten am 8. Juli 1848 den Stuttgarter Volksverein. Die Klärung der Verhältnisse erfolgte dann während einer Volksversammlung. Dort stimmte die Mehrheit für die Etablierung des „demokratischen Prinzips“; Staatsform könne sowohl die Republik als auch die konstitutionelle Monarchie sein. Die politisch unterlegenen Mitglieder verließen daraufhin die Vereinsorganisation. Damit war die Trennung mit klaren Fronten vollzogen.

Oesterlen saß zeitweise im engeren Landesausschuss der demokratischen Volksvereine, für die er sich vielfältig engagierte. Im September protestierte er gegen den eigenmächtigen Waffenstillstand Preußens mit Dänemark als Preisgabe Schleswig-Holsteins und Brüskierung der Nationalversammlung, für deren Integrität er sich weiterhin einsetzte.

Im Herbst 1848 begann eine krisenhafte Entwicklung. Sie wurde evident etwa durch die Erschießung Robert Blums, in Wien, für den Oesterlen eine bewegende Trauerrede hielt, und schließlich in den Vorwürfen des Ministers Römer im Februar 1849 gegen die angeblich republikanischen und verfassungsfeindlichen Volksvereine. Im Verein mit seinen Freunden wies Oesterlen diese Anschuldigungen vehement zurück. Während der im April beginnenden Kampagne für die Reichsverfassung kritisierte er die Ablehnung der deutschen Kaiserkrone durch den preußischen König und forderte die Nationalversammlung zur Rettung Deutschlands durch Annahme der Verfassung auf. Gleichzeitig gelte es, das Nationalparlament gegen die Willkür der Fürsten zu unterstützen.

Während der sich zuspitzenden Lage im Frühjahr 1849 blieb Oesterlen im Gegensatz zu radikaleren Parteifreunden zurückhaltend. Die erneute Wahl in den Landesausschuss lehnte er ab und blieb auch der folgenreichen Reutlinger Pfingstversammlung fern. Zwar begrüßte der von ihm geführte Stuttgarter Volksverein das nun dort tagende sogenannte Rumpfparlament und die Wahl der Reichsregentschaft hoffnungsvoll. Die wenige Tage später folgende Vertreibung und die Flucht seiner exponierteren Parteifreunde ins Exil beendete letztlich die Revolution in Württemberg – eine für ihn traumatische Erfahrung.

Dennoch engagierte er sich im Juli in einem demokratischen Wahlausschuss, dem die Gewinnung von Kandidaten für die kommende Landesversammlung oblag, für die er jedoch erfolglos kandidierte. Nach drei Wochen ergebnislos aufgelöst folgte im Februar 1850 eine Neuwahl, bei der er das Mandat für Waiblingen errang. Obwohl er für Konzilianz gegenüber der Regierung plädierte, lehnte er deren Verfassungsentwurf ab. Es folgte die erneute Auflösung durch das reaktionäre Ministerium Linden, das eine dritte Wahl ausschrieb, bei der Oesterlen wiederum Waiblingen vertrat. Auch diese Farce endete nach vier Wochen ohne Ergebnis. Zuvor hatte er eine politisch motivierte Versetzung nach Ulm erhalten, die er mit dem Austritt aus dem Staatsdienst quittierte. Fortan praktizierte er erfolgreich als Rechtsanwalt in Stuttgart. 1851/52 trat er in den politischen Schauprozessen gegen die 1848er als regierungskritischer Verteidiger auf und steigerte so seinen landesweiten Bekanntheitsgrad. Solchermaßen etabliert heiratete 1852 die Tochter Natalie seines Parteifreundes Gottlob Tafel. Der glücklichen Ehe entsprossen vier Kinder.

Oesterlen entschloss sich zum Eintritt in die Kommunalpolitik als einzige Möglichkeit politischer Teilhabe. Ende 1853 gelang ihm der Einzug in den Stuttgarter Gemeinderat. 1859 konnte er das Mandat behaupten, um es dann 1865 zu verlieren. Er erwarb sich Verdienste um die Stuttgarter Gasversorgung. Mehrfach trat er in dieser Zeit als Redner vor die Öffentlichkeit.

1859 begann sich ein Ende der durch eine rigide Pressezensur und das Verbot politischer Vereine gekennzeichneten Reaktionsära in Württemberg abzuzeichnen. Im Dezember vereinigten sich Demokraten und Altliberale zur – kurzlebigen – Fortschrittspartei, zu deren Leitungsgremium auch Oesterlen gehörte. Auf deren erster Landesversammlung 1861 geißelte er die herrschenden scheinkonstitutionellen Verhältnisse.

Oesterlens Renommee als Volksmann bewog die Haller, ihm die dortige Kandidatur für die Landtagswahlen im Januar 1862 anzutragen. Trotz obrigkeitlicher Unterstützung seines Gegenkandidaten vermochte er einen klaren Sieg zu erringen. Im „Beobachter“, dessen Miteigentümer er zeitweise war, veröffentlichte er richtungsweisende politische Artikel und forderte eine volkstümliche Politik, ohne jedoch Maximalforderungen zu stellen. In seiner nun – nach dem Intermezzo der Landesversammlungen – beginnenden und durch zwei weitere Mandatsgewinne gekennzeichneten parlamentarischen Laufbahn war die Zweite Kammer das Zentrum seines politischen Wirkens. Er galt als einer der fleißigsten Abgeordneten und äußerte sich, auch in verschiedenen Kommissionen, kompetent zu nahezu allen Fragen.

In den hier nur anzudeutenden dramatischen Konflikten seit 1864 standen die Auseinandersetzungen und schließlich der preußisch-österreichische Krieg gegen Dänemark wegen Schleswig-Holstein (1864) im Mittelpunkt. Die aus dem Exil Zurückgekehrten um Karl Mayer forcierten das Zerbrechen der Fortschrittspartei. Deren antipreußische Mitglieder, die eine mittelstaatliche Allianz (Trias) gegen die deutschen Großmächte propagierten, formierten sich 1864 zur demokratischen Volkspartei. Nach dem von Bismarck inszenierten Krieg gegen Österreich und dessen mittelstaatlichen Verbündeten (1866) – Oesterlen hatte sich widerwillig für Württembergs Teilnahme ausgesprochen – schlossen sich die ganz auf das siegreiche Preußen setzenden württembergischen Nationalliberalen zur Deutschen Partei (DP) zusammen. Damit war das klassische Parteigefüge des Königreichs – Demokraten und Nationalliberale – etabliert. Oesterlen, von 1864 bis 1868 als Vorstand des Landeskomitees der Volkspartei wirkend, stand hier an vorderster Front.

Vehement bekämpfte man die Hegemonie Preußens, gegen die das Projekt eines Südbundes propagiert wurde. Reizthemen waren die Schutz- und Trutzbündnisse mit Preußen und der Zollvereinsvertrag mit dem Norddeutschen Bund, die für Oesterlen ein gravierendes Abhängigkeitsverhältnis begründeten. Über die als Folge des Zollvertrages durchzuführenden Wahlen zum Zollparlament – den um die Süddeutschen erweiterten Norddeutschen Reichstag – kam es während der Landesversammlung 1868 zu scharfen Auseinandersetzungen. Während Mayer und mit ihm die Mehrheit für Wahlenthaltung plädierten, sprach sich Oesterlen für eine Realpolitik aus: Man müsse die Folgen von 1866 anerkennen. Er kandidierte folgerichtig und konnte mit großer Mehrheit ein Mandat gewinnen, während die DP landesweit erfolglos blieb. Er warb weiterhin für die Volkspartei, obwohl er deren Führung verließ und somit seine Parteikarriere beendete.

Dennoch trugen ihm die Haller erneut die Kandidatur für die am 8. Juli 1868 stattfindenden Landtagswahlen an, die er gegen einen DP-Mann klar gewann. Im Landtag schloss er sich mit Freunden zum rein parlamentarischen „Großdeutschen Klub" zusammen. Mayer führte dagegen die verbliebenen Volksparteiler.

1869 wurde der schwelende Konflikt sowohl während der Landesversammlung als auch in der Presse ausgetragen. Mayer verurteilte nicht nur Oesterlens Wahlteilnahme, sondern auch weitere Auftritte als parteischädigend. Letzterer antwortete vor dem Haller Volksverein, der ihm sein fortdauerndes Vertrauen bekundete. Er unterstützte 1870 die volksparteiliche Agitation gegen die DP und deren preußischen Kurs, stimmte jedoch für die Bewilligung der Kriegskosten.

In konsequenter Treue hatte der Haller Volksverein Oesterlen für die Landtagswahl am 5. Dezember 1870 nominiert. Während er das Mandat gegen einen nationalliberalen Gegenkandidaten behaupten konnte, stellte der Wahlausgang für die Volkspartei ein Fiasko dar. Mayer verlor seinen Landtagssitz; sein Kurs war gescheitert. Skeptisch kommentierte Oesterlen die von ihm abgelehnten Beitrittsverträge zum Bismarckreich – dieses bringe nur einen Scheinparlamentarismus.

Im von den Nationalliberalen glorifizierten Reich sah er sich als Wächter der Freiheit und des Föderalismus. Seine Kritik galt etwa dem Reichspressegesetz und generell der Flut von Reichsgesetzen. In der Innenpolitik forderte er die Abschaffung des undemokratischen Geheimen Rats und begrüßte die Förderung der Frauenbildung.

Als 1874 in Hall Volksverein und Nationalliberale fusionierten, zeichnete sich ab, dass seine Wiederwahl gefährdet war; tatsächlich fiel so 1876 sein Mandat an einen Nationalliberalen. Damit war seine parlamentarische Laufbahn beendet. Während er anschließend eine ihm angetragene Reichstagskandidatur ablehnte, scheiterten spätere Versuche, in den Reichstag einzuziehen.

Bemerkenswert war Oesterlens Wirken über die Politik hinaus. Seit den 1850er Jahren engagierte er sich für das gewerbliche Genossenschaftswesen und fungierte als Vorsitzender der später aufgelösten Stuttgarter Handwerkerbank. Er war ferner Mitbegründer des Stuttgarter Verschönerungsvereins, in dem er ebenso wie in der dortigen Bürgergesellschaft leitende Positionen bekleidete. Schließlich war er in der württembergischen Anwaltskammer aktiv, als deren Vorstand er seit 1885 bis zu seinem Tod wirkte. Dafür wurde er 1892 mit dem Titel eines Justizrates geehrt.

Oesterlen verstarb am 1. März 1893 in Stuttgart. Eine große Trauergemeinde begleitete seinen letzten Weg zum Fangelsbachfriedhof. Er gehörte zu den profiliertesten Parlamentariern seiner Zeit. Als lebenslanger „Freiheitsmann“ war er überzeugungstreu, ohne jedoch wie etwa Karl Mayer dogmatisch zu sein. Vielmehr war er kompromissbereit und orientierte sich an den Realitäten, blieb dabei jedoch seinen Idealen stets treu. Der Hochgebildete galt als glänzender Gesellschafter und liebevoller Familienvater.

Text: Hans Peter Müller
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Literaturhinweise:

Hans Peter Müller, August Oesterlen (1819-1893). Linksliberaler Politiker und Genossenschaftspionier im Königreich Württemberg, Stuttgart 1998.
Hans Peter Müller, Carl Mayer (1819-1889) – ein württembergischer Gegner Bismarcks. 1848er, Exilant, demokratischer Parteiführer und Parlamentarier, Stuttgart 2014.
Frank Raberg (Bearb.), Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815-1933, Stuttgart 2001, S. 624-626.

GND-Identifier: 117107069
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Hans Peter Müller, August Oesterlen (1819-1893), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/7ec4059b-1ebd-4590-9b8f-023f3af05440/August_Oesterlen_%281819-1893%29.html