Joseph Maier war der erste vom Staat angestellte Rabbiner im Königreich Württemberg. In der jüdischen Geschichtsschreibung war er lange Zeit weitgehend vergessen.

Maiers Geburtsdatum bleibt ungesichert. In seinem Curriculum Vitae nennt er den November 1798, auf seinem Grabstein steht der 27. April 1799. Weitere Daten werden in anderen Publikationen aufgeführt. Er wurde als Joseph Rosenthal, Sohn des Meier Rosenthal, und der Sara, geb. Löser, in Laudenbach geboren, das heute zu Weikersheim gehört. Auch die Ortsangaben sind verwirrend. Diese Besonderheiten verweisen auf die Umbrüche jener Zeit für die Juden im Lande; sie mussten bürgerliche Namen annehmen und in ein Geburtsregister eingetragen werden.

Joseph Maier wuchs nach dem frühen Tod seiner Mutter in einer traditionellen jüdischen Bildung auf, wie sie nicht nur im Hohenloher Land üblich war. Im Alter von elf Jahren kam er auf die jüdische Schule in Niederstetten. Kurz danach folgte er seinem Lehrer nach Obernzenn in Mittelfranken und mit 14 Jahren besuchte er die Jeschiwa in Fürth, wo er von verschiedenen Talmud-Gelehrten unterrichtet wurde. Die gravierenden politischen Veränderungen Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts, die eine neue staatliche Ordnung hervorbrachten, erreichten auch ihn persönlich: der Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, die napoleonischen Kriege und die sogenannte „napoleonische Flurbereinigung“ beeinflussten ihn stark. Geistig setzte er sich intensiv mit der Haskala, der jüdischen Aufklärung, auseinander.

Nachdem er Deutsch lesen und schreiben gelernt hatte, eignete er sich auch Griechisch und Latein an. Zunächst übernahm er eine Hauslehrerstelle in Oberfranken, um dann seinen Lebensmittelpunkt nach Mainz zu verlagern, wo er sich auf die Universität vorbereitete und mit dem deutschen Reformjudentum in Berührung kam. 1824 legte er in Stuttgart die „Maturitätsprüfung“ ab und schrieb sich anschließend an der Universität Heidelberg in den Fächern Philosophie, Philologie und Theologie ein, wobei es zu dieser Zeit dort nur eine evangelisch-theologische Fakultät gab. Sein bedeutendster Lehrer war der evangelische Theologe Friedrich Heinrich Christian Schwarz. 1827 legte er in Stuttgart die Rabbinatsprüfung ab und wurde Hausrabbiner bei der Familie Kaulla. Mit einer Dissertation, die er an der Universität Tübingen vorlegte, wurde er 1830 zum „Dr. phil. seu art. mag.“ promoviert. 1831 trat er in den württembergischen Staatsdienst als „Theologisches Mitglied“ der neu gegründeten „Israelitischen Oberkirchenbehörde“ ein. 1834 wurde er zum Rabbiner der ebenfalls neu gegründeten jüdischen Gemeinde Stuttgarts ernannt und 1837 verlieh ihm der König den Titel eines „Raths der israelitischen Kirche“, was heute etwa einem Ministerialrat entspräche. 1835 heiratete er Rebbecka Auerbacher, aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. In Stuttgart wohnte er zunächst bei Nathan Wolf Kaulla, „Commerzienrath und Banquier“, in der Poststraße 6, heute Alte Poststraße, später in der Langen Straße 16.

Maier hat deshalb erhebliche Bedeutung, weil er die Emanzipation der jüdischen Minderheit und ihre Integration in die bürgerliche Gesellschaft im Königreich nicht nur begleitete, sondern sie durch die Auswahl der Rabbiner und der Lehrer für die jüdischen Volksschulen sowie durch seine Schriften entscheidend mitgestaltete. Innerhalb des Judentums war er sehr umstritten, weil er aus der Sicht der vielen konservativen, gesetzestreuen jüdischen Gemeinden auf dem Lande zu anpassungsbereit in religiösen Fragen war. So verfasste er eine neue Synagogenordnung, die den jüdischen Gottesdienst stark veränderte, empfahl den Einbau von Orgeln in die Synagoge und gab ein jüdisches Gesangbuch heraus, das viele Lieder des evangelischen Gesangbuches in Württemberg und auch des Hamburger Tempelgesangbuches enthielt. Weiter führte er die Konfirmation für jüdische Mädchen und Jungen ein und verfasste dazu ein Lehrwerk, das er „Confirmations-Unterricht“ nannte, und ein Spruchbuch für den Religionsunterricht an den staatlich beaufsichtigten jüdischen Volksschulen. Sein am protestantischen Vorbild orientierter Reformkurs stieß in vielen Gemeinden auf heftige Ablehnung. Wohl auch deswegen verfasste er mehrere Traktate, mit denen er sein Verständnis für die notwendigen Reformen artikulierte.

In Braunschweig wurde er 1834 zum Präsidenten der ersten Rabbinerversammlung Deutschlands gewählt, was eine herausragende Funktion darstellte. Im Königreich sorgte die Wahl für erhebliche Unruhe, die 1837 in eine Morddrohung gegen ihn und Nathan Wolf Kaulla mündete. Er geriet auch in Streit mit anderen Kollegen der Rabbinerversammlung, was dazu führte, dass er bei der nächsten Rabbinerversammlung in Frankfurt nicht mehr als Präsident kandidieren durfte. In der Folge wurde sein Name in den großen, danach entstandenen Werken zur jüdischen Geschichte von Heinrich Graetz und Simon Dubnow totgeschwiegen, was seiner Bedeutung nicht gerecht wird und wissenschaftlich nicht haltbar ist.

Im Jahre 1861 wurde in Stuttgart die neue Synagoge eingeweiht, Maier sprach in seiner Rede die Segensworte: „Ja, dir geliebtes Stuttgart, unserem Jerusalem, wünschen wir Heil.“ Mit dieser Äußerung, die unter gesetztestreuen Juden umstritten war, löste er einen weiteren literarischen Streit aus, der unter Pseudonymen geführt wurde. In Regierungskreisen wurde seine Arbeit aber geschätzt, so verlieh ihm der König im Jahre 1867 das Ritterkreuz des Kronenordens, Maier war damit der erste nobilitierte Rabbiner Deutschlands.

Gestorben ist er als Dr. Joseph von Maier, Rabbiner in Stuttgart, am 19. August 1873. Auf dem Hoppenlaufriedhof wurde er beigesetzt, sein Grab ist dort heute noch zu finden.

Text: Siegfried Däschler-Seiler
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Literaturhinweise:

Siegfried Däschler-Seiler, Auf dem Weg in die bürgerliche Gesellschaft. Joseph Maier und die jüdische Volksschule im Königreich Württemberg (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart, Bd. 73), Stuttgart 1997.

GND-Identifier: 119537958
Publiziert am: 13.08.2019
Empfohlene Zitierweise:
Siegfried Däschler-Seiler, Joseph Maier (zw. 1797 u. 1799-1873), publiziert am 13.08.2019 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/7ebfbb18-b138-4a2e-85ae-1d6144d8476f/Joseph_Maier_%28zw._1797_u..html