Seit den 1830er Jahren war Gustav Duvernoy einer der profilierten Köpfe der liberalen Landtagsopposition, wobei er sich durch Sachkompetenz und Kenntnis der Geschäftsordnung auszeichnete. 1848/49 hat er die Entwicklung Württembergs als Innenminister geprägt.

Gustav Heinrich Duvernoy wurde als Sohn eines herzoglichen Oberkriegskassiers aus Mömpelgard (Montbéliard) in Stuttgart geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Stuttgart studierte er 1820 bis 1824 Rechtswissenschaften in Tübingen und in Jena.

Das Studium schloss er mit dem ersten Staatsexamen sowie 1833 mit einer Promotion über „Die Entstehung der Königswürde bei den Germanen“ ab. In der Folgezeit war er Assistent von Prof. Heinrich Eduard Siegfried Schrader (1779-1860), zugleich verzichtete er auf Ableistung des zweiten Staatsexamens, wodurch ihm der Eintritt in den Staatsdienst verwehrt blieb. Nach dem Tod seines Bruders 1828 kehrte er auf Wunsch seiner Familie nach Stuttgart zurück. Bis zu seinem Ableben 1890 lebte er nunmehr in bescheidenen Verhältnissen in der Dachgeschosswohnung in der Friedrichstraße 24 als Privatgelehrter.

Im Jahr 1833 wurde Duvernoy erstmals in einer Nachwahl in Öhringen als Ersatz für Friedrich Rödinger (1800-1868) in den Stuttgarter Landtag gewählt worden. Da Rödinger in den 1820er Jahren aufgrund „burschenschaftlicher Umtriebe“ zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, wurde seine Wahl infolge der Intervention der Regierung nicht anerkannt. Jetzt empfahlen profilierte liberale Politiker wie Albert Schott (1782-1861), Paul Pfizer (1801-1867) und Friedrich Römer (1794-1864) mit Erfolg den Öhringer Wahlmännern Duvernoy als Kandidaten.

Auf dem ersten Landtag des Jahres 1833 konnte Duvernoy kaum Wirkung entfalten, da dieser rasch aufgelöst wurde, nachdem sich das Parlament einem Vorstoß Pfizers, in dem dieser die Gültigkeit der Frankfurter Ordonnanzen vom Juni/Juli 1832 bestritten hatte, zu eigen gemacht hatte. Auf dem zweiten Landtag von 1833 sowie 1836 und 1838 übernahm Duvernoy jeweils das Amt eines der Sekretäre der II. Kammer. Diese Position war überaus arbeitsintensiv: So hatten die Sekretäre dem Präsidenten bei seiner Korrespondenz zur Hand zu gehen, genauso wie sie an der Durchführung von Abstimmungen und der Redaktion der Landtagsprotokolle beteiligt waren. Hierdurch erwarb sich Duvernoy überragende Kenntnisse der Geschäftsordnung und überparteilich hohes Ansehen innerhalb des Parlaments. Beides bildete die Grundlage dafür, dass er regelmäßig in die wichtige staatsrechtliche Kommission wie auch 1845 in den Engeren Ausschuss der Kammer gewählt wurde. Gerade in dieses Gremium wurden sonst nur Anhänger der Regierung, nicht aber Oppositionspolitiker wie Duvernoy delegiert.

In den 1830er Jahren war der Einfluss der Opposition im Landtag zunehmend rückläufig. Insbesondere bei den Abstimmungen über die Ausgestaltung des neuen württembergischen Strafgesetzbuchs unterlagen die Liberalen regelmäßig, sodass sich 1838 zahlreiche prominente Persönlichkeiten zurückzogen. Duvernoy dagegen verblieb in der Kammer. Zu den zentralen Themen der kommenden Jahre gehörten die Ausgestaltung der Strafprozessordnung und die Verabschiedung eines Eisenbahngesetzes. Mit Blick auf die Strafprozessordnung setzte sich Duvernoy für Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlungen ein. Um Kenntnisse auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens zu erwerben, unternahm er mit liberalen Landtagskollegen eine Informationsreise nach Belgien. Mit großem Nachdruck befürwortete Duvernoy den Ausbau des Eisenbahnnetzes, wobei er sich für eine staatliche Finanzierung aussprach. Zudem setzte er sich für die Pressefreiheit ein. Genauso wünschte er die Abschaffung des Instituts der lebenslänglich gewählten Gemeinderäte. Duvernoy selbst war wiederholt Mitglied des Stuttgarter Gemeinderats, allerdings jeweils mit zwei Jahren Unterbrechung, um entsprechend den eigenen Überzeugungen bei einer Wiederwahl nach zwei Jahren nicht lebenslänglich gewählt zu sein.

Als einer der Spitzenpersönlichkeiten der Opposition ernannte König Wilhelm I. (1781-1864) Duvernoy am Beginn der Märzrevolution zum Innenminister, wobei dieser erreichen konnte, dass das Ministerium außerdem unter anderem um Pfizer (Kultus) und Römer (Justiz) ergänzt wurde.

Als Innenminister brachte Duvernoy noch im März 1848 ein Gesetz über die Versammlungsfreiheit ein. Zudem begann er bereits im Frühjahr 1848 erste Gesetze über die Ablösung der Grundlasten auf den Weg zu bringen. Am 14. März 1848 legte er schließlich das Gesetz über Volksbewaffnung vor, das die Schaffung von Bürgerwehren vorsah. Das Gesetz hatte eine doppelte Stoßrichtung: Auf der einen Seite kam die Regierung hier Wünschen der Petitionsbewegung entgegen, die neben dem Militär auch Bürger in Uniform schaffen wollte. Auf der anderen Seite sollten angesichts damals noch nicht vorhandener Polizeikräfte die Bürgerwehren eine Ordnungsfunktion in den einzelnen Gemeinden übernehmen. Damit ist bereits das Selbstverständnis der württembergischen Märzregierung um Römer und Duvernoy artikuliert. Diese setzte sich für eine liberale Reformpolitik auf der Basis der konstitutionellen Monarchie ein, war aber gleichzeitig darauf bedacht, jedem revolutionären Umsturz entgegenzuwirken.

Teil des Reformprogramms Duvernoys war im Sommer 1848 die Einsetzung einer Organisationskommission, die mit prominenten Persönlichkeiten aus Verwaltung, Schule, Kirche und Steuerwesen usw. besetzt war, jedoch nur zu mäßigen Erfolgen führte. Allerdings regte diese Kommission die Schaffung je einer Zentralstelle für Landwirtschaft sowie für Handel und Gewerbe an, wobei letztere auf ältere Initiativen zurückging. Schon im Januar 1848 hatte Duvernoy als Vorstand des Vereins für die Förderung der Gewerbe auf dem Gewerbekongress in Plochingen für die Etablierung einer solchen Zentralstelle plädiert. Dieses Projekt konnte er jetzt als Innenminister selbst umsetzen.

Als württembergischer Innenminister kam Duvernoy im April 1848 die Aufgabe zu, die Wahlen für die deutsche Nationalversammlung zu organisieren. Dabei legte das Innenministerium eine Wahlordnung vor, gemäß der jeder selbstständige männliche Staatsbürger wahlberechtigt war; zudem gehörte Württemberg zu den wenigen Staaten, in denen direkt gewählt wurde. Die 28 württembergischen Wahlkreise wurden dabei, unabhängig von den einzelnen Oberämtern, möglichst gleich groß zugeschnitten. Von der Frankfurter Paulskirche erwartete Duvernoy rasche Ergebnisse, auf deren Grundlage innenpolitische Reformen weiter vorangetrieben werden sollten. In diesem Sinne erfolgte am 28. März 1848 die Auflösung des Landtags, von den Neuwahlen erhoffte sich das württembergische Finanzministerium ein Vertrauensvotum – tatsächlich wurde der am 20. September 1848 zusammengetretene Landtag durch liberal-konstitutionelle Abgeordnete dominiert.

Als Regierungsmitglied unterstützte Duvernoy Römer, der zur prägenden Persönlichkeit des Kabinetts aufstieg, in den Auseinandersetzungen mit dem König. Gemeinsam konnten beide Minister erreichen, dass der Monarch im Januar 1849 die Grundrechte und im April 1849 die Reichsverfassung insgesamt anerkannte. Beide Gesetze bildeten für Duvernoy die Grundlage einer umfassenden Reformpolitik, die er auch nach der Sprengung des Rumpfparlaments aufrechtzuerhalten suchte. In diesem Sinn verabschiedeten die Regierung und der „lange Landtag“ 1848/49 unter anderem Gesetze über die Aufhebung der Patrimonialgesetzbarkeit, das Zehntablösungsgesetz, ein Gesetz über die Aufhebung der befreiten Gerichtsstände sowie ein Gesetz über die Schaffung von Schwurgerichten. Auch erhielten die Gemeinden jetzt umfassendere Selbstverwaltungsrechte, zugleich wurde die Institution der lebenslänglich gewählten Gemeinderäte abgeschafft.

Zudem strebte das württembergische Märzministerium eine Reform der württembergischen Verfassung an. Diese sollte im Zusammenspiel mit einer eigens zu wählenden Verfassungsgebenden Landesversammlung geschehen. Für sie erließ Duvernoy ein Wahlgesetz, das zum 1. Juli 1849 in Kraft trat und das Württemberg für den Augenblick das nahezu allgemeine und direkte Männerwahlrecht brachte. Gerade aufgrund dieses demokratischen Wahlrechts ging die Volkspartei – und nicht die liberal-konstitutionelle Gruppe um Duvernoy und Römer – aus den Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung als Sieger hervor. Angesichts einer klaren Niederlage ersuchte Duvernoy um seine Entlassung, die jedoch nicht im August 1849, sondern erst zwei Monate später gewährt wurde, dann allerdings aufgrund nationalpolitischer Differenzen zwischen König und Ministerium. Duvernoy hatte die Bemühungen Preußens um eine kleindeutsche Einigung im Nachgang zur Revolution unterstützt – anders als Wilhelm I., der einen großdeutschen Standpunkt vertrat.

Duvernoy kehrte 1851 bis 1868 als Landtagsabgeordneter für Schorndorf in das Stuttgarter Parlament zurück, wobei er in den Jahren 1857 bis 1861 sowie 1864 bis 1868 das Amt des Vizepräsidenten innehatte. Als Liberaler opponierte er in den 1850er Jahren gegen die reaktionäre Politik Innenministers Joseph von Linden (1804-1895): So kämpfte er gegen die Aufhebung der Grundrechte genauso, wie er Nachforderungen der Standesherren in Fragen der Zehntablösung entgegentrat.

Ab 1859 exponierte sich Duvernoy wiederum als Vorkämpfer einer kleindeutschen Nationaleinigung. Zusammen mit Julius Hölder (1819-1887), Otto Elben (1823-1899) und weiteren unterzeichnete er den Aufruf „An unsere Mitbürger“: Vor dem Hintergrund des Kriegs zwischen Sardinien-Piemont und Österreich und dessen etwaiger Ausweitung auf Deutschland wurde hier die Übertragung der politischen und militärischen Oberhoheit auf Preußen und zugleich die Schaffung einer Nationalrepräsentation gefordert. Dementsprechend verlangte Duvernoy 1866 auch recht früh den Anschluss Württembergs an Preußen und nach den Niederlagen Österreichs bzw. Württembergs in den Schlachten von Königgrätz und Tauberbischofsheim einen Waffenstillstand. Gleichermaßen begrüßte er den Abschluss der Schutz- und Trutzbündnisse sowie die Erneuerung des Zollvereins.

Bei der Landtagswahl 1868 wurde Duvernoy nicht mehr wiedergewählt. Fast bis zum Ende seines Lebens hat sich Duvernoy, der seit 1851 auch Kirchengemeinderat in Stuttgart war, in der evangelischen Landessynode, lange Zeit als deren Präsident, engagiert. Zwei Tage nach seinem Tod am Heiligabend 1890 wurde er auf dem Pragfriedhof beigesetzt.

Text: Michael Kitzing
Schlagworte: Stuttgart-Mitte, Rumpfparlament
Literaturhinweise:

Karl Biedermann, Württemberg und sein außerordentlicher Landtag, in: Unsere Gegenwart und Zukunft 6 (1847), S. 299-342, hier bes. S. 332 f.
Hartwig Brandt, Parlamentarismus in Württemberg 1819-1870. Anatomie eines deutschen Landtags, Düsseldorf 1987.
Otto Elben, Dr. Gustav Duvernoy. Nekrolog, in: Schwäbische Kronik 306 vom 27.12.1890.
Dieter Langewiesche, Liberalismus und Demokratie in Württemberg zwischen Revolution und Reichsgründung, Düsseldorf 1974.
Bernhard Mann, Die Württemberger und die deutsche Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf 1975.
Frank Raberg (Bearb.), Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815-1933, Stuttgart 2001, S. 151-153.
Eugen Schneider, Württembergische Geschichte, Stuttgart 1896.
Eugen Schneider, Duvernoy, Gustav, in: Allgemeine Deutsche Biographie 48 (1904), S. 217-219.
Theodor Schön, Geschichte der Familie Duvernoy, Stuttgart 1909.

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Publiziert am: 29.05.2024
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kitzing, Gustav Duvernoy (1802-1890), publiziert am 29.05.2024 in: Stadtarchiv Stuttgart,
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