Bertha Malzacher-Jung spezialisierte sich als Malerin auf Porträts und Naturbilder. Neben der Ölmalerei experimentierte sie mit Wachsmalerei und Schabkarton. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Württembergischen Malerinnenvereins in Stuttgart und damit zu den Wegbereiterinnen für das Recht der Frau auf Berufstätigkeit.

Bertha Malzacher wurde am 21. Februar 1866 als fünftes Kind von Bertha Roller-Malzacher (1831-1867) und dem späteren Stuttgarter Senatspräsidenten am Oberlandesgerichts Wilhelm von Malzacher (1811-1899) in Tübingen geboren. Die Mutter starb 1867 kurz nach der Geburt des sechsten Kindes. Als der Vater an das Oberlandesgericht in Stuttgart berufen wurde, schickte er seine drei Töchter für mehrere Jahre in ein Schulschwesterninstitut in Rottenburg. Bertha Malzacher war bei ihrem Eintritt fünf Jahre alt und behielt die klösterliche Erziehung in traumatischer Erinnerung. Sie kehrte 1877 nach Stuttgart in die väterliche Wohnung in der Gaisburgstraße 14 zurück. Allerdings war sie psychisch angeschlagen, litt unter ständigen Schuldgefühlen und Beichtzwang. Ihr künstlerisches Talent bestärkte sie hingegen im Entschluss, ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben zu führen.

1883 begann sie mit siebzehn Jahren ihr Studium an der Königlichen Kunstschule Stuttgart, der späteren Akademie der bildenden Künste, und gehörte damit zu den ersten Frauen, die in Deutschland für ein Kunststudium zugelassen wurden. Eine höhere Schulbildung war für Frauen nicht vorgesehen und der Zugang zu Universitäten oder Kunstakademien blieb ihnen grundsätzlich verwehrt. Die Kunstschule Stuttgart stand interessierten Damen dagegen schon seit den 1860er Jahren offen. Bertha Malzacher hatte Glück mit ihren Lehrern, dem Landschaftsmaler und Kenner französischer Kunst, Albert Kappis (1836-1914), und dem Hauptvertreter des schwäbischen Realismus, Friedrich von Keller (1840-1914). Vor allem Keller verhalf ihr in der Porträtmalerei zu einem unerschrockenen Umgang mit kraftvollen Posen und einer schwungvollen Pinselführung. Den Kritikern stach ihr Talent bei späteren Ausstellungen ins Auge, doch man mahnte sie aufgrund ihrer allzu unverkrampften Herangehensweise auch öfter zur Mäßigung. Als „weibliche Kunst“ galten damals eher häusliche Genreszene und vor allem Stillleben.

An der Stuttgarter Kunstschule arbeiteten die malenden Damen gemeinsam mit ihren männlichen Kommilitonen. So lernte Bertha Malzacher Anfang 1891 den Mitstudenten Otto Jung (1867-1935) kennen. Die ältere und etwas erfahrenere Studentin übernahm in den Anfangsjahren ihrer Bekanntschaft die Rolle der Mentorin. Otto Jung hingegen half ihr, sich von ihren religiösen Zwängen zu lösen. Die Freundschaft intensivierte sich. An eine Heirat war aber dennoch nicht zu denken, als Bertha 1892 ihr Studium beendete. Otto Jung hatte in der Zwischenzeit an die Akademie in Karlsruhe gewechselt und es fehlten ihm noch weitere drei Jahre bis zum Abschluss. Berthas Vater, der mittlerweile mit seinen zwei jüngsten Töchtern an der Hasenbergsteige 10 wohnte, war strikt gegen eine Hochzeit mit einem Studenten ohne festes Einkommen.

Doch Bertha Malzacher blickte in eine eigenständige Zukunft. Um sich das Recht, ihren Beruf als Künstlerinnen ausüben zu können sowie Ausstellungsmöglichkeiten und Atelierräume zu sichern, riefen einige engagierte Stuttgarter Malerinnen 1893 den „Württembergischen Malerinnen-Verein“ ins Leben. Bertha Malzacher gehörte neben der etablierten Stilllebenmalerin und Hauptinitiantin Anna Peters (1843-1926) sowie den Künstlerinnen Sally Wiest (1866-1923) und Magdalena Schweizer (1858-1932) zum engeren Kreis der Gründungsmitglieder. Sie arbeitete bald als freiberufliche Künstlerin und nahm regelmäßig an Ausstellungen des Vereins teil. Bereits in der ersten Ausstellung im November 1893 erntete Bertha Malzacher als „Debütantin“ reichlich Anerkennung. Ihre Blumenstillleben wie auch ihre Natur- und Tierstudien erinnern stark an ihre Mentorin Anna Peters. Die in ihrer Detailverliebtheit teilweise altmeisterlich anmutenden Stillleben bestechen einerseits durch ihren betonten Realismus, andererseits durch ein zufälliges, fast nachlässiges Arrangement.

1894 verlobte sich Bertha Malzacher mit Otto Jung und teilte mit ihm ein Atelier an der Werastraße 15 in der Nähe der Kunstschule Stuttgart. Es folgten einige künstlerisch sehr fruchtbare Jahre, in denen das Paar gemeinsame Reisen in den Schwarzwald unternahm und sich in der Freiluftmalerei übte. Die Ehe wurde schließlich 1898 geschlossen. Kurz danach, in den Jahren 1899, 1901 und 1904, brachte Bertha Malzacher-Jung drei Kinder zur Welt. Um 1909/10 erwarben Bertha und Otto Malzacher-Jung ein von der renommierten Stuttgarter Architekturgemeinschaft Schmohl & Stähelin neu erbautes Jugendstil-Stadthaus am oberen Herdweg 118, wo sie bis zu ihrem Tod wohnen blieben.

Mit der Geburt der Kinder wandte sich Bertha Malzacher-Jung künstlerisch vorwiegend Motiven aus dem Familienkreis zu. Es entstanden zahlreiche Zeichnungen und Gemälde nach Fotografien der Kinder, die teilweise den Einfluss des gerade modernen Jugendstils erkennen lassen. Neben der Ölmalerei begann Malzacher-Jung mit fast hyperrealistischer Wachsmalerei und grafischen Techniken zu experimentieren, wie den gerade erst neu aufgekommenen Schabkartons. Die expressive Strichtechnik lässt ihr Ringen um den eigenen künstlerischen Ausdruck erkennen sowie den Willen, sich mit modernen, expressiven Tendenzen auseinanderzusetzen.

Malzacher-Jung malte weiterhin, obwohl ihre Tätigkeit als Künstlerin stark unter dem Familienleben litt. Otto Jung ließ die Familie oft über mehrere Wochen allein zurück, um Damenklassen zu unterrichten und unter anderem Aufträge auf der Schwäbischen Alb und in Hessen wahrzunehmen. Malzacher-Jung begann unter der Situation zu leiden und die Ehe verlief zunehmend unglücklich. Otto Jung respektierte seine Frau als Hausfrau und Mutter, versagte ihr aber zunehmend die Unterstützung als Künstlerin.

Mit dem Ersten Weltkrieg und der anschließenden Wirtschaftskrise in Deutschland verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie Jung. Bertha Malzacher-Jung war gezwungen, hinter ihrem Mann zurückzustehen und malte praktisch nicht mehr, um sich vollumfänglich um ihre Kinder zu kümmern. Schließlich führten zunehmende körperliche Beschwerden und die Abnabelung der bald erwachsenen Kinder bei der Malerin auch zu psychischen Problemen. Im Dezember 1925 wurde sie von ihrem Ehemann in die Nervenheilanstalt Kennenburg bei Esslingen am Neckar eingewiesen, wo man eine hysterische Persönlichkeit diagnostizierte.

Mehrere Monate lang wurde Malzacher-Jung unter Hypnose behandelt. Neben der Aufarbeitung der schwierigen Kindheitserinnerungen und der Beziehung zu ihrem Ehemann trat dabei auch deutlich zutage, wie sehr sie unter dem Verlust ihrer Berufstätigkeit als Malerin litt. Sie begann zwar noch während ihres Aufenthalts in der Klinik nach fast 15-jähriger Unterbrechung wieder zu malen, starb aber 1931, ohne ihre psychischen Beschwerden überwunden zu haben. Ihr fehlte der regelmäßige Austausch mit kunstinteressierten Kreisen außerhalb der Familie. Neben weiteren Grafiken in Schabtechnik entstanden in den späten Jahren auffallend reduzierte Früchtestillleben und Porträts in schlichter Frontalsicht, die an avantgardistische Werke der neuen Sachlichkeit erinnern. Sie hinterließ ein überschaubares Werk, das sich aber durch eine erstaunliche Diversität auszeichnet.

Bertha Malzacher-Jung teilte ihr Schicksal mit zahlreichen Frauen, die als Künstlerinnen und in anderen Berufen verzweifelt um Eigenständigkeit kämpften, aber an den eingeschränkten Möglichkeiten und festgefahrenen Vorurteilen ihrer Zeit scheiterten. Die wenigen Kunstpionierinnen, die sich durchsetzen konnten, entstammten meist einem finanziell gesicherten Umfeld oder blieben unverheiratet und kinderlos.

Text: Tanja Warring
Literaturhinweise:

Edith Neumann, Künstlerinnen in Württemberg. Zur Geschichte des Württembergischen Malerinnenvereins und des Bundes Bildender Künstlerinnen Württembergs, Stuttgart 1999.
Tanja Warring, Zwischen Belle Époque und Neuer Zeit – Das Künstlerpaar Bertha Malzacher-Jung und Otto Jung, Basel 2022.

Publiziert am: 28.09.2022
Empfohlene Zitierweise:
Tanja Warring, Bertha Malzacher-Jung (1866-1931), publiziert am 28.09.2022 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/78c27c45-9c87-47f8-a53b-30906f3550c4/Bertha_Malzacher-Jung.html