Lukas Osiander war ein bedeutender Prediger und Bibelausleger. Als Bearbeiter des ersten, 1583 erschienenen württembergischen Gesangbuchs förderte er nachhaltig den Kirchengesang.

Osiander war ein Sohn des Nürnberger Reformators Andreas Osiander (1498-1552). Dieser ging 1549 nach Königsberg in Preußen, der Sohn kam nach dem Tod des Vaters 1553 zum Studium nach Tübingen. Er trat in den württembergischen Kirchendienst ein und bekleidete Stellen in Göppingen und Blaubeuren. 1563 wurde er Pfarrer an St. Leonhard in Stuttgart. 1569 zum Hofprediger und Konsistorialrat ernannt, wurde er mit dem Unterricht des noch minderjährigen Herzogs Ludwig (geb. 1554) betraut. Die profunde theologische Bildung des Herzogs geht folglich auf Osiander zurück, der auch während dessen Regierungszeit (1578-1593) eine Vertrauensstellung genoss. 1583 promovierte Osiander in Tübingen zum Dr. theol.

Herzog Friedrich (1593-1608), der Nachfolger Herzog Ludwigs, schätzte Osianders scharfe Predigten nicht und versetzte ihn 1594 zunächst auf die Stiftspredigerstelle, 1596 wurde er dann zum Abt des evangelischen Klosters Adelberg ernannt. Als der Herzog beabsichtigte, eine Gruppe jüdischer Kaufleute in Stuttgart anzusiedeln, widersprachen Osiander sowie der Ausschuss des Landtags diesem Vorhaben, weil es gegen die Landesordnungen verstieß. Osiander wurde deshalb, offenbar um ein Exempel zu statuieren, aus seinem Amt entlassen. Er zog daraufhin 1598 in die Reichsstadt Esslingen. Ohne dort ein Amt zu bekleiden, mischte er sich in das Esslinger Kirchenwesen ein, das ihm nicht lutherisch genug erschien. Ein daraus resultierender Kirchenstreit wurde erst 1603 durch Vermittlung württembergischer Kollegen beigelegt. Osiander zog hierauf wieder nach Stuttgart, wo er wenig später starb. Er wurde in der Stiftskirche begraben; das einst vorhandene Epitaph ist nicht erhalten.

Von der Predigttätigkeit Osianders zeugen zahlreiche gedruckte Einzelpredigten, ganz besonders aber seine 1597 erschienene Bauernpostille, die auf einen Jahrgang von Predigten zurückgeht, die Osiander im Adelberger Klosterdorf Hundsholz gehalten hatte. Diese Sammlung erschien in mehreren Auflagen und beinhaltet im Vorwort eine Predigtlehre. Eine solche Homiletik ließ er auch einzeln erscheinen. Hier stellt er die antike Rhetorik nach dem Vorbild Melanchthons als das Instrumentarium für die Predigt dar, die sich jedoch auf einen biblischen Text zu gründen hat. Als Prediger war Osiander daher auch Schriftausleger. Sein Kommentar zur gesamten Bibel, die „Tomi Osiandri“, wurden mehrfach aufgelegt. Weitere Veröffentlichungen betreffen das Gebiet der Dogmatik und der Kirchengeschichte. Zahlreich sind seine Streitschriften, mit denen er sich in den konfessionellen Auseinandersetzungen der Zeit zu Wort meldete. Osiander war der maßgebliche Bearbeiter des ersten, 1583 erschienenen württembergischen Gesangbuchs. Da er die Melodieführung vom Tenor in die Oberstimme nahm, ermöglichte er der Gemeinde das Mitsingen.

Aus zwei Ehen Osianders gingen acht Kinder hervor. Durch diese wurde er der Stammvater eines über eineinhalb Jahrhunderte einflussreichen württembergischen Theologengeschlechts. Sein bedeutendster Sohn war Lukas (1571-1638), der von 1620 bis zu seinem Tod Propst und Kanzler der Universität Tübingen war.

Text: Hermann Ehmer
Schlagworte: Stuttgart-Mitte, Wissenschaftsfestival
Literaturhinweise:

Hermann Ehmer, Art. Osiander, Lukas d. Ä., in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 6 (1993), Sp. 1299-1304.
Sivert Angel, The Religious Pedagogic of Lucas Osiander (1534-1604), Diss. Universität Oslo 2011.
Sivert Angel, The Confessionalist Homiletics of Lucas Osiander (1534-1604). A Study of a South-German Lutheran Preacher in the Age of Confessionalization, Tübingen 2020.

GND-Identifier: 11955111X
Publiziert am: 31.03.2021
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Ehmer, Lucas Osiander (1534-1604), publiziert am 31.03.2021 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/7810d77d-46ea-4c52-86a3-d739eae24319/Lucas_Osiander_%281534-1604%29.html