Der Rechtsanwalt Otto Küster spielte eine bedeutende Rolle in der Wiedergutmachungspolitik des Landes Württemberg-Baden und der Bundesrepublik Deutschland der frühen 1950er Jahre.

Otto Küster wurde am 4. Januar 1907 in Stuttgart geboren und besuchte dort das Dillmann-Gymnasium. 1922 gründete er mit Klassenfreunden den Volkacher Bund, ein Diskussionsforum für aktuelle Fragen der Zeit. Nach 1945 wurde dieses Forum als „Stuttgarter Privatstudiengesellschaft“ weitergeführt. Zeitlebens waren ihm persönliche Diskussionen über Recht, Moral und Theologie ein wichtiges Anliegen.

Nach dem Abitur 1925 studierte Otto Küster Rechtswissenschaft an den Universitäten Tübingen, München und Berlin. 1932 wurde er zum Gerichtsassessor (Richter auf Probe) am Amtsgericht in Stuttgart ernannt, jedoch bereits im Herbst 1933 wegen eines regimekritischen Vortrages entlassen, nachdem die Gestapo davon erfahren hatte. Als gläubiger Christ hatte er zudem gegen die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ Stellung bezogen, die den protestantischen Glauben mit dem Nationalsozialismus vereinen wollte. Ein stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden verband sich hier mit protestantischen Grundwerten zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus.

Nach seiner Entlassung wollte Küster als Anwalt tätig werden, erlangte aber wegen seiner politischen Vorbelastung erst im Frühjahr 1935 seine Zulassung. Daraufhin übernahm er eine Aufgabe als Justiziar in der Wehrkreisverwaltung in Stuttgart. Dabei wurde er unterstützt von Ella Kessler-Reis (1899-1944), die er über den Volkacher Bund kennen und schätzen gelernt hatte. Sie war die Tochter des ehemaligen Präsidenten der Anwaltskammer Dr. jur. Richard Reis (gest. 1938) und eine der wenigen Rechtsanwältinnen in Stuttgart. Zu Ostern 1933 war ihr die Zulassung wegen ihrer jüdischen Herkunft entzogen worden. Küster beschäftigte sie nun offiziell als Sekretärin. So geschah es, dass ein missliebiger christlicher Rechtsanwalt und eine jüdische ehemalige Rechtsanwältin in der Wehrkreisverwaltung höchst sensible militärische Unterlagen bearbeiteten. Im Sommer 1937 überwog jedoch die Angst vor den möglichen Konsequenzen bei Küster, so dass er sie bat zu gehen. Sie wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. In seinem Nachruf 1946 hat er sich eingehend bei der Toten für sein Verhalten entschuldigt.

1934 heiratete er die Pfarrerstochter Irmgard Mayer-List (1909-1989), aus der Ehe gingen acht Kinder hervor. Von 1942 bis 1945 nahm er am Zweiten Weltkrieg in Nordfrankreich teil und geriet 1945 in amerikanische Gefangenschaft.

1946 wurde Küster in das Justizministerium des Landes Württemberg-Baden berufen. Er erhielt zunächst einen Mandatsvertrag mit dem Aufgabengebiet Gesetzgebung und Ausbildung. Am 1. März 1947 wurde er zusätzlich zum „Staatsbeauftragten für die Wiedergutmachung“ im Rang eines Vizeministers betraut. Er war dabei kein Angestellter, sondern selbstständiger Mandatsträger im Justizministerium.

Küster ist es zu verdanken, dass das Land Württemberg-Baden im Vergleich mit anderen Bundesländern auf dem Gebiet der Wiedergutmachung als „vorbildlich und mustergültig“ (Walter Schwarz 1967) galt, da den (jüdischen) Opfern des Nationalsozialismus schnell und effektiv geholfen wurde. Die Bearbeitungsquoten waren im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr hoch. Dazu standen Küster 300 Mitarbeiter und ein Etat von 20 bis 25 Millionen D-Mark jährlich zur Verfügung. Küster hatte es sich zur Aufgabe gemacht, nicht den Buchstaben des Gesetzes zu folgen, sondern den Sinn des Gesetzes zu ergründen und umzusetzen.

1952 ernannte ihn die Bundesregierung zum stellvertretenden Leiter der deutschen Delegation in Den Haag, die über den Wiedergutmachungsvertrag mit dem Staat Israel verhandelte. Die deutschsprachige Zeitschrift „Aufbau“ in New York bezeichnete ihn sogar als „das Gewissen Deutschlands in der Wiedergutmachungsfrage“; sein Kollege Walter Schwarz sprach von der „Wiedergutmachung als Katharsis“. Auch um die Verfassung der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland hat er sich verdient gemacht: Er nahm 1948 am Verfassungskonvent in Herrenchiemsee teil und schlug das konstruktive Misstrauensvotum vor, das in das Grundgesetz (Artikel 67) eingegangen ist. Damit konnte der Bundeskanzler – und nur dieser – durch ein Misstrauensvotum abgesetzt werden; im Gegensatz zur Verfassung der Weimarer Republik musste jedoch im gleichen Zug ein neuer Bundeskanzler gewählt und eine neue Regierung gebildet werden. Damit sollte verhindert werden, dass das Misstrauensvotum wie in der Weimarer Republik als ein rein destruktives Machtmittel missbraucht werden konnte.

Mit seinem Engagement geriet Küster zunehmend in Konflikt mit dem damaligen Bundesfinanzminister Fritz Schäffer (1888-1967), nachdem sich 1953 die fiskalische Zuständigkeit geändert hatte: 1953 war durch das Bundesergänzungsgesetz die finanzielle Verantwortung für die Wiedergutmachung von den Bundesländern an den Bund übergegangen. Von Schäffer wurde ihm auch vorgeworfen, bei den deutsch-israelischen Verhandlungen im Sinne der Opfer und nicht im Sinne der Bundesregierung argumentiert und gehandelt zu haben. Konrad Adenauer dagegen schloss sich – auch aus realpolitischen Gründen – Küsters Haltung an, dass man ein deutliches Zeichen der Sühne setzen müsse.

Der Konflikt kulminierte im Sommer 1954. Das Justizministerium unter der Leitung des Liberalen Wolfgang Haußmann (1903-1989) stellte ihn vor die Wahl, sein Mandat als Sonderkommissar bis zum Jahresende zu kündigen oder sich im Rang eines Ministerialrats verbeamten zu lassen. Damit sollte er zur Loyalität gegenüber der Landes- und Bundesregierung verpflichtet werden. Küster lehnte die Verbeamtung und gleichzeitige Degradierung ab. Gegenstand der politischen Auseinandersetzung war der Beschluss des Ministerrates, künftig bei grundlegenden Erlassen zum Wiedergutmachungsrecht die interne Zustimmung des Landesfinanzministeriums einzuholen, d.h. das Justizministerium sollte sich an das Finanzministerium binden, das in dieser Frage wiederum dem Bundesfinanzministerium unterstand. Küster argumentierte dagegen, dass dies zu einer Lähmung des Geschäftsablaufes führen würde; die meisten anderen westlichen Bundesländer hätten diese Bindung zu diesem Zeitpunkt aufgrund schlechter Erfahrungen wieder aufgehoben. Die Fronten verhärteten sich: Der Bundesfinanzminister verbot seinen Mitarbeitern grundsätzlich, sich mit Küster an einen Verhandlungstisch zu setzen.

Im selben Jahr gelangte ein privater Brief Küsters mit harscher Kritik an seinen politischen Gegnern durch einen Spiegel-Journalisten zur Kenntnis der Landesregierung und führte zu seiner fristlosen Entlassung durch Beschluss des Ministerrates des Landes Baden-Württemberg am 5. August 1954.

Nach seiner Entlassung baute Küster ab 1956 in Stuttgart erneut eine Kanzlei auf, die sich auf Wiedergutmachungsrecht spezialisierte. 1967 wurde ihm von der juristischen Fakultät der Universität Tübingen die Ehrendoktorwürde verliehen. 1985 erhielt er als erster Preisträger die Otto-Hirsch-Medaille. Der Preis wurde gemeinsam von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der Stadt Stuttgart und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg verliehen. Er war benannt nach dem Stuttgarter Rechtsanwalt Otto Hirsch. Wenige Jahre später starb Otto Küster im Jahr 1989. Bis zuletzt war er als Anwalt tätig.

Otto Küster hinterließ ein umfangreiches Werk an Publikationen zu theologischen, ethischen und juristischen Themen. Gerade die Aufsätze und Reden zu Fragen des Wiedergutmachungsrechts aus der Perspektive dieses ausgewiesenen Kenners sind heute noch lesenswert. Unter dem Pseudonym Hans-Heinrich Hollenbach veröffentlichte er auch mehrere historische Romane.

Text: Anja Heuß
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Aufbau, 9.7.1954.
Freiburger Rundbrief. Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung. VII. Folge 1954/55, Nr. 25/28 und VIII. Folge, 1955/56, Nr. 29/32.
Stadtarchiv Stuttgart 2111 Nachlass Henry Bernhard 50.

Literaturhinweise:

Constantin Goschler, Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945-1954, München 1992.
Otto Küster, Ella Kessler zum Gedächtnis, in: Otto Küster, Die dramatische Struktur der Wahrheit, Stuttgart 1967, S. 97-107.
Walter Schwarz, Ein Wort des Dankes, in: RZW (Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht) (1967), Heft 1, S. 7.

GND-Identifier: 116592737
Publiziert am: 24.08.2020
Empfohlene Zitierweise:
Anja Heuß, Otto Küster (1907-1989), publiziert am 24.08.2020 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/72eb915a-b1ab-4873-a75e-8df0536b36f9/Otto_Kuester_%281907-1989%29.html