Der erste Kult(us)minister des 1952 gegründeten Landes Baden-Württemberg wurde als Pfarrer von 1918 bis 1933 mit den Problemen der Arbeiterschaft konfrontiert. Die Verelendung vieler Gemeindemitglieder in Zuffenhausen führte ihn letztendlich von den Liberalen zur Sozialdemokratie.

Gotthilf Adolf Schenkel wurde am 19. Juli 1889 in Udupi, einer Stadt in Ostindien, geboren. Noch während seines ersten Lebensjahrs kehrte die pietistische Familie nach Deutschland zurück. Seit 1874 war sein Vater, Rudolf Philipp, für die Basler Mission in der britischen Kronkolonie tätig gewesen. Nachdem seine Mutter Auguste, geb. Friz, 1898 gestorben war, zog Schenkel mit seinen Geschwistern 1899 von Murr nach Stuttgart. Sein Vater hatte dort als Kanzlist bei der Evangelischen Gesellschaft eine Stelle gefunden. Die Familie Schenkel mietete sich in der Alexanderstraße 73 ein.

In der württembergischen Haupt- und Residenzstadt besuchte Gotthilf Schenkel das Eberhard-Ludwig- und das Karls-Gymnasium, zwei traditionsreiche Bildungseinrichtungen im Talkessel. Im Anschluss an die Konfirmandenzeit entschied er sich für die evangelisch-theologischen Seminare im Kloster Schöntal und im Stift Urach. So überrascht es nicht, dass sich Schenkel nach bestandenem Abitur und freiwilligem Militärdienst an der Eberhard Karls Universität Tübingen für evangelische Theologie und Philosophie immatrikulierte. In der Studentenstadt begann er sich vermehrt mit der sozialen Frage zu beschäftigen.

Das erste theologische Examen befähigte Gotthilf Schenkel für das Vikariat, das er in Freudenstadt und Wildbad absolvierte. Am 6. August 1914 wurde der praktische Teil der Pfarrerausbildung jäh durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrochen. An der Front zog er sich nach kurzer Zeit eine schwere Verletzung zu, die ihn kriegsdienstunfähig machte. Daraufhin setzte er den Vorbereitungsdienst in Zuffenhausen fort und sammelte wichtige Erfahrungen im Bereich der Jugendarbeit.

Nachdem er die theologische Dienstprüfung abgelegt hatte, arbeitete Schenkel als Unterrichtsoffizier für das Stellvertretende Generalkommando des XIII. (Königlich Württembergischen) Armeekorps in Stuttgart. Ende 1918 wurde Schenkel zum dritten Stadtpfarrer in der Pauluskirche von Zuffenhausen ernannt.

Am 18. November 1918 heiratete Gotthilf Schenkel Käthe Henke. Käthe Schenkel brachte in Zuffenhausen, das 1931 nach Stuttgart eingemeindet wurde, vier Kinder zur Welt, wobei die Tochter Ursula mit nur zwei Jahren verstarb. Die Familie Schenkel wohnte zuerst in der Bergstraße 6 (heute Besigheimerstraße 6) und anschließend in der Bahnhofstraße 65 (heute Unterländerstraße 65). Während der Weimarer Republik schrieb Gotthilf Schenkel regelmäßig für die „Württembergische Zeitung“ und für die „Schwäbischen Nachrichten“. Seine „Sonntagsgedanken“ handelten vom Mutterglück, vom Unergründlichen sowie vom Einzelnen in der Gemeinschaft.

Wie Robert Bosch und Theodor Heuss wurde Gotthilf Schenkel politisch von Friedrich Naumann beeinflusst. Im Jahre 1919 trat er deshalb in die Deutsche Demokratische Partei ein. Etwa zur selben Zeit entdeckte er auch die fünf Grundideale der Freimaurerei für sich: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Schenkel schloss sich nicht nur der in Stuttgart ansässigen Loge „Zu den 3 Cedern“ an, sondern schrieb auch seine bei Gustav Adolf Anrich entstandene Dissertation über die Bedeutung des ethischen Männerbundes für das Christentum. Mit seinem 1926 erschienenen Werk „Der Protestantismus der Gegenwart“ wurde er auch außerhalb der theologischen Zunft wahrgenommen. Seine Habilitationsschrift über die „Aufgaben der wissenschaftlichen Ethik“ lehnten die Senatoren an der Technischen Hochschule in Stuttgart jedoch ab. 1931 brachte Schenkel seine „Kampfschrift“ mit dem programmatischen Titel „Das Doppelgesicht des Christentums“ heraus, die von der evangelischen Landeskirche zum Teil heftig kritisiert wurde.

Die Kirchengemeinde in Zuffenhausen bestand hauptsächlich aus Fabrikarbeitern. Schenkel knüpfte im „roten“ Stadtteil viele Kontakte und lernte die typischen Sorgen und Ängste der Arbeiterschaft kennen. Da viele Mitglieder in seiner Gemeinde die Miete ihrer Wohnung nicht bezahlen konnten, engagierte sich Schenkel bewusst für die Heimstätten- und Siedlungsbewegung. Zudem schrieb er regelmäßig über die in Stuttgart grassierende Wohnungsnot.

Politisch orientierte sich Gotthilf Schenkel immer stärker am Parteiprogramm der Sozialdemokraten. Als die DDP bei der Gemeinderatswahl in Zuffenhausen im Jahre 1928 eine Listenverbindung mit der NSDAP eingegangen war, verließ Schenkel endgültig die liberale Partei, um am 1. Januar 1929 stattdessen das Parteibuch der SPD anzunehmen. Zudem wurde er Mitglied beim „Bund der religiösen Sozialisten Deutschlands“. 1932 bewarb er sich vergeblich auf eine Stadtpfarrstelle in Bad Cannstatt (Steigkirche), einem der größten und einwohnerstärksten Stadtbezirke von Stuttgart. Während dieser turbulenten Jahre sprach sich Schenkel öffentlich gegen die nationalsozialistische Weltanschauung aus. In seinem Artikel „Der lebendige Christus und der Hitlersturm“ setzte er die nationalsozialistische Bewegung mit „Haß und Idealismus, Rache und Wut, Zorn und Abenteuerlust, Wunsch nach Uniform und Führer, nach Macht, Glanz und neuer Herrlichkeit“ gleich.

Nachdem es im Januar und Februar 1933 zu den ersten Festnahmen oppositioneller Politiker gekommen war, zog sich Schenkel aus der Öffentlichkeit zurück und trat sowohl aus der SPD als auch aus der Freimaurerloge aus. Vor seiner Wohnung in Zuffenhausen fanden aber weiterhin SA-Aufmärsche statt, die sich gegen den sozialistischen und christlichen Freimaurer richteten. Ende März wurde er verhaftet und auf das Stuttgarter Polizeipräsidium gebracht. Erst durch die Intervention des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm kam er wieder auf freien Fuß. Schenkel floh daraufhin aus Stuttgart und lebte für einige Wochen zurückgezogen bei einem Verwandten in Mariäkappel. Um weitere Vorfälle dieser Art zu verhindern, wurde Schenkel im Mai 1933 nach Unterdeufstetten verwiesen. Seine Pfarrstelle in Zuffenhausen musste er aufgeben. Am 31. März 1934 wurde Schenkel offiziell in den Ruhestand versetzt; die „unständige Versehung“ von Unterdeufstetten wurde jedoch belassen. Während des „Dritten Reichs“ lebte Schenkel mit seiner Frau und seinen drei Kindern – Margarete, Elisabeth und Rose – in innerer Emigration auf dem flachen Land, wo er den verbalen Attacken seiner politischen Gegner jedoch nach wie vor ausgesetzt war.

Erst nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur verbesserten sich die Arbeitsbedingungen. Der evangelische Oberkirchenrat übertrug ihm nicht nur die Pfarrstelle in Unterdeufstetten, sondern entsprach im Dezember 1946 auch seiner Bitte, die Kirchengemeinde in Oberesslingen leiten zu dürfen. Zudem erhielt er 1947 endlich den lang ersehnten Lehrauftrag an der TH Stuttgart für Ethik und Allgemeine Religionswissenschaft. Auch veröffentlichte er weiterhin populär gehaltene Sachbücher, wie etwa die 1949 erschienene Biografie über den Pazifisten Mahatma Gandhi, den er 1931 persönlich kennengelernt hatte. Auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn stand Gotthilf Schenkel freilich am 11. Januar 1951, als er unter Reinhold Maier (FDP) zum Kultminister, ergo Kultusminister, von Württemberg-Baden ernannt wurde. 1952 folgte die Wahl zum Mitglied der Verfassungsgebenden Landesversammlung im Furtbachhaus und zum Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg.

Gotthilf Schenkel verbrachte in der Nachkriegszeit weiterhin viel Zeit in der Landeshauptstadt. Er gehörte nicht nur dem Vorstand der in Stuttgart ansässigen Vereine „Freunde und Förderer der Wilhelma“ und „Freunde und Förderer des Instituts für Psychotherapie und Tiefenpsychologie“ an, sondern blieb auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Kultministers im Herbst 1953 Abgeordneter des Landtags im Eduard-Pfeiffer-Haus.

Seinen Wohnsitz hatte Schenkel allerdings nach Esslingen verlegt, da sein Leben in der Zwischenzeit eng mit der Mittelstadt am Neckar verbunden war: Er war „Meister des Stuhls“ der Esslinger Freimaurerloge „Zur Katharinenlinde“, Vorsitzender der Kriegsgräberfürsorge des Ortsbereiches Esslingen sowie Doppelmandatar im Esslinger Kreistag und Gemeinderat. Schenkel starb am 10. Dezember 1960; seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Esslinger Ebershaldenfriedhof.

Text: Frederick Bacher
Schlagwort: Stuttgart-Zuffenhausen
Quellenhinweise:

Gotthilf Schenkel, Sonntagsgedanken eines schwäbischen Pfarrers aus den Jahren 1923 bis 1936, Esslingen 1980.

Literaturhinweise:

Peter Bohl, Gotthilf Schenkel – einer, der wider stand! Sein Kampf gegen die NSDAP im Jahr 1933, in: Archivnachrichten (Landesarchiv Baden-Württemberg), Nr. 50, März 2015, S. 14 f.
Ulrich Karl Gohl, Gotthilf Schenkel, in: Die Suche hat nie aufgehört. Die Tübinger Nicaria 1893 bis 1983, hg. von Ulrich Karl Gohl/ Christoph Weismann, Tübingen 1983, S. 144-153.
Rainer Lächele, Gotthilf Schenkel, in: Baden-Württembergische Biographien, Bd. II, Stuttgart 1999, S. 402-403.
Jörg Thierfelder/Hans Norbert Janowski/Günter Wagner, Kirche – Sozialismus – Demokratie, Gotthilf Schenkel: Pfarrer, Religiöser Sozialist, Politiker, Stuttgart 2000.

GND-Identifier: 101814372
Publiziert am: 05.05.2021
Empfohlene Zitierweise:
Frederick Bacher, Gotthilf Schenkel (1889-1960), publiziert am 05.05.2021 in: Stadtarchiv Stuttgart,
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