Die Markthalle Stuttgart von Martin Elsaesser wurde 1914 eröffnet. Das Bauwerk demonstriert facettenreich die Synthese einer modernen Bauaufgabe mit seinem historischen Kontext vis-à-vis des Alten Schlosses.

Am 31. Januar 1914 wurde die Markthalle Stuttgart nach knapp zweijähriger Bauzeit auf der Grundfläche der 1911/12 abgebrochenen Blumen- und Gemüsehalle sowie des Alten Marstalls eröffnet. In einem regional ausgeschriebenen Architektenwettbewerb hatte sich 1910 der auf den historischen Kontext der mittelalterlichen Altstadt abgestimmte Entwurf von Martin Elsaesser (1884-1957) durchgesetzt und dabei auch Beiträge von lokal tonangebenden Architekten wie Paul Bonatz (2. Preis) überflügelt.

Da das innerstädtische Grundstück für eine reine Marktnutzung zu wertvoll war, forderte die Stadt die zusätzliche Errichtung eines Verwaltungstrakts für das Städtische Hochbauamt sowie die Baupolizei. Diesen platzierte der junge Architekt als L-förmigen, viergeschossigen Baukörper mit der langen Seite an der Dorotheenstraße und der kurzen entlang der Münzstraße. Vor die Hauptfassade vis-à-vis des Alten Schlosses setzte er eine Arkade sowie zwei Eckrisalite. Die somit erzeugte repräsentative bürgerliche Fassade gibt die Funktion des Bauwerks ausschließlich über die von den Bildhauern Jakob Brüllmann und Joseph Zeitler gestalteten Dekorationselemente sowie Fresken von Franz Heinrich Gref und Gustav Rümelin zu erkennen. Achteckige Erker in den Obergeschossen leiten zu den angrenzenden Fassaden über, durchlaufende Gesimse sowie eine auskragende Dachkante betonen die Horizontalität des voluminösen rotgefassten Putzbaus und stellen den Übergang zur angrenzenden Nachbarbebauung wie dem nicht mehr existierenden Gasthaus König von England her. Im inneren Winkel umschließt der Verwaltungstrakt einen Hallenraum für die Marktstände. Vom rückwärtigen Dorotheenplatz kaum wahrnehmbar erheben sich seine Umfassungswände hinter einem zweigeschossigen Vorbau mit einem eingeschobenen Mezzaningeschoss. Ursprünglich ragte dessen Dach steil auf, löste sich aber an der Dachkante in kleine Dreiecksgiebel auf. Mit einer kleinteiligen, durch Pilaster und Blendbögen rhythmisierten Gliederung reflektierte der Architekt die gegenüberliegende Reihung mittelalterlicher Fachwerkhäuser.

Indem das Bauwerk zu allen vier Fassadenseiten sich jeweils gestalterisch mit der unmittelbaren Nachbarschaft auseinandersetzte, gelang es dem Architekten, das langgestreckte monumentale Gebäude in die städtebaulich sensible Situation einzupassen. Elsaesser rezipierte bewusst architektonische Elemente aus der unmittelbaren Umgebung, wie beispielsweise die Türme der Stiftskirche sowie des Schlosses, die das Bauwerk mit dem kognitiven Gedächtnis der Stadtbewohner verknüpften. Auch das Zentrum des Gebäudes, der Halleninnenraum, spielt mit althergebrachten Motiven: Eine spitzbogige Arkade umgibt die Hauptverkaufsfläche im Eingangsgeschoss und verleiht diesem den Charakter eines überdachten Platzes; eine zweiläufige Treppe führt in ein offenes Galeriegeschoss zur Erweiterung der Verkaufsfläche; wie die Arkaden spielen unterschiedlich gestaltete Säulenschäfte und Thermenfenster auf ein historisch geprägtes Formenvokabular an.

Erst die innovative Dachkonstruktion des Hallenraums aus Eisenbeton gibt die Modernität von Bauwerk und Bauaufgabe zu erkennen und dokumentiert Elsaessers architektonische Haltung, Funktion, Form und Materialität schöpferisch miteinander zu vereinigen. Elf Zweigelenkträger aus Eisenbeton überspannen den 25 Meter tiefen Hallenraum. Die von der Baufirma Wayss & Freytag entwickelten dreiteiligen Träger bestehen aus einem oberen Dreiecksbinder, auf dem das verglaste Satteldach aufsitzt, einem mittleren Bogenbinder, der als Auflager für die den Hallenraum abschließenden Glasebene dient, sowie daran gekoppelte und im Hallenraum sichtbare untere Zugbänder, flankiert von Fensterbändern entlang der 60 Meter langen Hallenlängsseiten, die die Belichtung und Belüftung der Halle gewährleisten. Die moderne Konstruktion des Hallendaches ist auf das gesamte Gebäude übertragbar, das von der Sohle bis zum First in Eisenbeton ausgeführt wurde. Das Material Eisenbeton erweiterte den architektonischen Gestaltungsspielraum stark, doch vor allem bot es für den Marktbetrieb entscheidende funktionelle Vorteile. Im Gegensatz zu Stahl oder dem bei der Blumen- und Gemüsehalle verwandten Gusseisen erleichterte Eisenbeton die Raumteilung und versprach eine längere Lebensdauer, weniger Unterhaltsaufwand, ein höheres Maß an Hygiene, z.B. durch Fliesenbelag an den Wandflächen, sowie mehr Schutz vor Sonneneinstrahlung und Hitze.

Die Verkaufsfläche erstreckte sich über die gesamte Grundfläche des Eingangsgeschosses, wobei die Waren nach hygienischen Gesichtspunkten voneinander getrennt wurden. Dem Obst- und Gemüsemarkt waren Stände mit festem Holzmobiliar im Hallenraum zugeordnet. Fisch und Fleisch wurden an den Außenwänden angeboten. Eine separate Abteilung für Blumen und Samen fand sich im eingeschossigen Bereich hinter dem Treppenaufgang zum Galeriegeschoss, optisch abgetrennt durch den Brunnen mit Ceres, der römischen Göttin der Landwirtschaft von Ulfert Janssen. Der im Zweiten Weltkrieg zerstörte Majolika-Brunnen wurde mit Hilfe von Spendengeldern 2007 bis 2009 als Replik neu errichtet. Die Verkaufsflächen im Galeriegeschoss blieben variabel, die dort angebotenen Waren sollten die im Hauptgeschoss ohnehin nur ergänzen. Als architektonischen Kniff passte Elsaesser die Neigung der Eingangsebene an das natürliche Gefälle zwischen Dorotheenstraße und Dorotheenplatz an, um die Reinigung und die Belieferung zu erleichtern. In den Asphaltbelag wurden auf Antrag Elsaessers Straßenbahnschienen eingelegt, um mit Waren beladene, von der Stadt schon Jahre zuvor konzipierte Loren an der Dorotheenstraße in die Halle hinein- und zum Dorotheenplatz wieder hinausschieben zu können. Allerdings bewilligte der Gemeinderat erst 1916 den Anschluss an das städtische Straßenbahnnetz, um während der Nahrungsmittelnot im Ersten Weltkrieg die Versorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln aufrechterhalten zu können.

Bei der Eröffnung der Markthalle am 31. Januar 1914 bezeichnete Elsaesser sein Bauwerk als Nahrungsmittelbörse und prognostizierte einen grundlegenden Wandel im Marktbetrieb. Die Produzenten würden zukünftig ihre eigene Ware nicht mehr selber vertreiben, sondern an Großhändler liefern. Mit der möglichen Ausweitung des Angebots würde die Markthalle zudem den Charakter eines Warenhauses annehmen, so dass eine angenehme Einkaufsatmosphäre entstünde.

Bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg wurde die Markthalle stark beschädigt, blieb allerdings als einer der wenigen Steinbauten in der Altstadt als Ruine erhalten. In der Nachkriegszeit wurde unmittelbar mit dem provisorischen Wiederaufbau begonnen und der Marktbetrieb rasch wieder aufgenommen, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Ende der 1960er Jahre rückte die Markthalle aufgrund eines erheblichen Sanierungsbedarfs sowie der fehlenden Kostendeckung im Marktbetrieb in den Fokus des Stuttgarter Gemeinderats, der zeitweilig sogar einen Abriss debattierte. Angesichts der zu erzielenden Rentabilität riet ein Gutachten zur Umnutzung zum Kaufhaus mit thematisch begrenzten Einzelverkaufsflächen. Pläne, die den Einbau von Rolltreppen im Hallenraum vorsahen, entstanden. Nach einem Brand 1971 erfolgte eine grundlegende Sanierung des Halleninnenraums. 1972 verfasste der neu berufene Professor am Lehrstuhl Baugeschichte und Bauaufnahme an der Architekturfakultät der Universität Stuttgart Antonio Hernandez mit seinen Mitarbeitern ein zweites Gutachten, das neben den städtebaulichen und architektonischen Qualitäten insbesondere die kulturelle Bedeutung des Bauwerks für die Stadt Stuttgart hervorhob. Zwei Jahre später wurde die Markthalle unter Denkmalschutz gestellt. Sie ist bis heute ein wichtiger Ort für den Erwerb von Lebensmitteln für den täglichen Bedarf. Mit festen Ständen, ergänzt um ein breitgefächertes Angebot an Feinkost und Haushaltswaren, entspricht die Markthalle heute mehr denn je der Vorstellung des Architekten und ist tatsächlich halb Marktplatz und halb Warenhaus.

Text: Christiane Fülscher
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Stadtarchiv Stuttgart 11 Depot B, Nr. 1324 bis Nr. 1331.
Stadtarchiv Stuttgart 11 Depot B, Nr. 3165.
Antonio Hernandez, HPC Weidner, Frank Werner (Universität Stuttgart, Institut für Baugeschichte und Bauaufnahme): Gutachten Markthalle, Stuttgart 1972.

Literaturhinweise:

Christiane Fülscher, Markthalle Stuttgart. martin elsaesser bauheft 04, hg. von Jörg Schilling/Florian Afflerbach, Hamburg 2014.
Markthalle in Stuttgart, in: Deutsche Konkurrenzen 25 (1911), Heft 11.
Fridolin Rimmele, Die neue städtische Markthalle in Stuttgart, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 34 (1914), Nr. 27, 04.04.1914, S. 210-213 sowie Nr. 28, 08.04.1914, S. 218-219.
Hans Otto Schaller, Der Wettbewerb um die Entwürfe für die Markthalle in Stuttgart, in: Architektonische Rundschau (1911), S. 31-32, Abb. S. 33-34.
Heinrich Straumer, Die städtische Markthalle in Stuttgart, in: Wasmuth’s Monatshefte für Baukunst und Städtebau 1 (1914/1915), S. 47-55.
Wettbewerb Markthalle Stuttgart, in: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsass-Lothringen, Nr. 45, VII. Jg., 05.11.1910, S. 357-363 sowie Nr. 46, 12.11.1910, S. 365-370.

Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Christiane Fülscher, Markthalle, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/68313a03-a200-4841-bfe0-7c6ac52a0c27/Markthalle.html