Bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. bestand in Cannstatt ein bedeutender römischer Zentralort. Mit dem schwindenden Einfluss des römischen Reiches in den rechtsrheinischen Provinzen, endete auch die römische Präsenz im Stuttgarter Raum. Als spätestes Zeugnis dieser konfliktreichen Zeit gelten zwei in Cannstatt gefundene Grabstelen römischer Panzerreiter.

Im Oktober 1930 stieß man beim Neubau des Hauses Seelbergstraße 7 in Cannstatt auf ein römisches Körpergräberfeld, auf dem mindestens fünf Individuen bestattet worden waren. Die Gräber waren bereits so stark gestört, dass eine anthropologische Auswertung der Skelette nicht mehr möglich war. Anhand der Keramik- und Glasgefäße, die den Verstorbenen mit ins Grab gelegt wurden, lassen sich die Gräber in das 3. Jahrhundert n. Chr. datieren. Zum Gedächtnis der Toten einerseits und der eigenen Heilsversicherung andererseits, hatte man einen der keltisch-römischen Totengottheit Herecura gewidmeten Altar sowie zwei Grabstelen aufgestellt. Während sich von der ersten Stele nur der obere Teil mit Giebel und dem Rest eines Kopfes erhalten hat, zeigt die zweite, nahezu vollständig erhaltene Stele im verwitterten Bildfeld einen Reiter mit Helm und Bewaffnung. In der Giebelzone, dem Schriftfeld und der Sockelzone hat sich eine Inschrift erhalten, die zwei Brüdern gewidmet ist:

D(is) M(anibus) // Aureli(i)s Saluda et / Regretho fratrib(us) / quond(am) equitibus / n(ovae) alae firm(ae) catafr(actariae) / {AUR} Aurel(ius) Abdetat/hus frater / e(orum) f(aciendum) c(uravit)

„Den Geistern der Toten. Dem Aurelius Saluda und dem (Aurelius) Regrethus, seinen Brüdern, einst Reiter der sala nova firma cataphractaria hat der Bruder Aurelius Aurelianus Abdethatus als Erbe den Grabstein machen lassen.“

Die Grabstele wurde demnach für zwei Angehörige einer schwer gepanzerten Kavallerieeinheit, der ala firma catafractaria gefertigt, die vermutlich infolge eines Kampfes umgekommen waren – ein ähnliches Schicksal dürfte den – durch das zweite Stelenfragment nachgewiesenen – Reiter ereilt haben. Über die genannte Kavallerieeinheit ist ansonsten nicht allzu viel bekannt: Ihr Ursprung liegt in den römischen Provinzen des mittleren Ostens, von wo sie über Pannonien (eine historische Landschaft in Westungarn) schließlich nach Obergermanien gelangte. Da diese Militäreinheit nicht auf längere Besatzungsaufenthalte, sondern auf den direkten Kampeinsatz ausgelegt war, ist ihre Anwesenheit im weiteren Umfeld Cannstatts in direktem Kontext mit einer militärischen Auseinandersetzung zu betrachten.

Um welchen Feldzug es sich dabei genau handelte, wird in der Forschung kontrovers diskutiert: Sowohl ein Einsatz im Zuge der von Severus Alexander geplanten und durch Maximinus Thrax in den Jahren 235/236 n. Chr. durchgeführten Feldzüge in germanische Gebiete als auch eine Stationierung in Cannstatt zur Grenzsicherung Raetiens während des Gallischen Sonderreiches in den 60er und 70er Jahren des 3. Jahrhunderts n. Chr. scheinen plausibel. In letzterem Fall würde es sich bei der Grabstele wohl um den spätesten Beleg römischer Truppenpräsenz am Obergermanischen Limes handeln.

Über die militärhistorischen Informationen hinaus liefert das Gräberfeld in der Seelbergstraße auch Erkenntnisse über die lokale Siedlungs- und Verkehrsgeografie in der Spätzeit römischer Präsenz im Cannstatter Becken: Bislang stellt es den einzigen bekannten römerzeitlichen Bestattungsplatz auf der östlichen Neckarseite dar. Es ist aber davon auszugehen, dass es weitere Bestattungsplätze auf dieser Seite des Neckars gab. Da die Toten zu dieser Zeit außerhalb der Siedlungen und entlang der Einfallstraßen bestattet wurden, bezeugt es indirekt den östlichen Abschluss der römerzeitlichen Siedlung an dieser Stelle sowie einen nahegelegenen Straßenverlauf, der archäologisch noch nicht nachgewiesen ist.

Text: Moritz Foth
Schlagwort: Stuttgart-Bad Cannstatt
Literaturhinweise:

Peter Goessler (Hg.), Cannstatt zur Römerzeit. Neue Archäologische Forschungen und Funde, Stuttgart 1921.
Peter Goessler, Neue römische Funde aus Cannstatt. Ein Beitrag zu den Alamannenkämpfen des dritten Jahrhunderts n. Chr., Germania 15 (1931), S. 6-15.
Fundberichte aus Schwaben, N. F. 7 (1932), S. 45 f.
Martin Kemkes/Jörg Scheuerbrandt, Zwischen Patrouille und Parade. Die römische Reiterei am Limes (Schriften des Limesmuseums Aalen, Bd. 51), Stuttgart 1997.
Jörg Scheuerbrandt, Pannonische Reiter der Ala Firma Catafractaria in Stuttgart-Bad Cannstatt. Ein Beitrag zur Truppengeschichte des 3. Jahrhunderts n. Chr, in: Im Dienste Roms. Festschrift für Hans Ulrich Nuber, hg. von Gabriele Seitz, Remshalden 2006, S. 299-305.
Andreas Thiel, „Wir beobachten … ein Überwuchern der Festungsbauten durch die bürgerliche Ansiedlung“ – Zur Entwicklung Bad Cannstatts im 2. und 3. Jh., in: Der Übergang vom Militärlager zur Zivilsiedlung. Akten des internationalen Symposiums von 23.–25. Oktober 2014 in Innsbruck (Innsbrucker kulturhistorisch-archäologische Universitätsschriften, Bd. 10), hg. von Gerald Grabherr/Barbara Kainrath/Julia Kopf/Karl Oberhofer, Innsbruck 2016, S. 50-66.
Rainer Wiegels, Zu den Heeresformationen Roms an Rhein und oberer Donau in der Zeit des Alexander Severus und Maximinus Thrax, in: Klio. Beiträge zur Alten Geschichte 96, 1 (2014), S. 93-143.

Publiziert am: 24.07.2024
Empfohlene Zitierweise:
Moritz Foth, Gräber der römischen Panzerreiter, publiziert am 24.07.2024 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/65fffa8d-a01a-4790-a112-5e18e0e52950/Graeber_der_roemischen.html