Marmorsaal, Tennisplatz und Teehaus der Villa Weißenburg entstanden 1912/13 auf dem Bopser genannten Hügel im Süden Stuttgarts. Bauherr war der Industrielle und Antikenforscher Ernst von Sieglin. Die Anlage bildet ein antike Traditionen aufgreifendes Gesamtkunstwerk.

Die Villa Weißenburg, ein klassizistischer Bau von 1843/44, stand unweit des heutigen Ernst-Sieglin-Platzes und war für Heinrich Fellger von Stadtbaumeister Albert Föhr als Ausflugs- und Molkekuranstalt mit Konditorei und Cafe erbaut worden. Ihr Name geht zurück auf eine 1263 erstmals erwähnte und bereits 1312 zerstörte Burg der Grafen von Württemberg. Mit der Villa Weißenburg entstand auch eine Gartenanlage auf der Burgwüstung, die schon damals von gewundenen Wegen durchzogen war und den Charakter eines Landschaftsgartens hatte. 1898 wurden Villa und Park Eigentum des Industriellen Ernst von Sieglin (1848-1927).

Sieglin, gebürtig in Stuttgart, war Kaufmann und Chemiker. Er hatte lange Zeit in London gearbeitet und sein Vermögen mit Waschpulver, Dr. Thompsons Seifenpulver Marke Schwan, verdient. 43-jährig heiratete er in Charlottenburg die 24 Jahre jüngere Alice Borchert, kehrte einige Jahre später nach Stuttgart zurück und nahm die Villa Weißenburg zum Wohnsitz der bald siebenköpfigen Familie. Große Teile seines Vermögens und seiner Freizeit widmete Sieglin der Antikenforschung und Archäologie. Er finanzierte u.a. um die Jahrhundertwende eine Expedition und Grabung in Alexandrien sowie anschließend die Prachtpublikation der Funde. Seine Privatsammlung alexandrinischer Denkmäler schenkte Sieglin 1906 Wilhelm II., dem König von Württemberg, welcher sie der Vorgängerinstitution des Landesmuseums Württemberg übergab. Die Universität Tübingen verdankt Sieglin ihre bis heute größte archäologische Kostbarkeit, die reich ausgemalte Grabkammer eines ägyptischen Adligen aus dem dritten Jahrtausend vor Christus. Als Anerkennung für seine Schenkungen erhielt Sieglin den Ehrendoktortitel und wurde vom König in den personalen Adelsstand erhoben.

Die im Auftrag von Sieglin nach Entwurf des Stuttgarter Architekten Heinrich Henes (1876-1961) axialsymmetrisch in den Park gesetzten Bauten dienten der sportlichen Betätigung, der Erholung und – veredelt durch die Ausmalung des Münchner Dekorations- und Kunstmalers Julius Mössel (1876-1957) – als familiäre und gesellschaftliche Festräume im Sommer.

1956 ging das Anwesen Sieglin in das Eigentum der Stadt Stuttgart über. Zur Bundesgartenschau 1961 wurde der Park nach Plänen des städtischen Gartenbauamtes umgestaltet und als Hauptzugang die Fußgängerbrücke über die Bopserwaldstraße gebaut. An der höchsten Stelle der Anlage entstand schließlich die kreisrunde Aussichtsterrasse, von der man einen weiten Blick über Stuttgart genießt. Die Villa Weißenburg, deren architektonischen Wert man verkannte, wurde 1964 abgebrochen. Das Teehaus wurde instand gesetzt und als öffentlicher Ausschank eingerichtet, der Marmorsaal dagegen unsachgemäß renoviert. Der damalige Innenanstrich des Marmorsaals führte zu erheblichen Verlusten an der Dekorationsmalerei. Zudem drang wegen der defekten Wasserableitung Feuchtigkeit vom Tennisplatz in Decke und Umfassungsmauern, was den Zustand des Saals derart verschlechterte, dass er in den 1980er Jahren nicht mehr betreten werden durfte.

Seit 1985 informierten Stuttgarter Vereine die Öffentlichkeit über den Wert des Saals und seine Gefährdung. Auf Betreiben des Regierungspräsidiums als höhere Denkmalschutzbehörde kam die Stadt Stuttgart schließlich ihrer Erhaltungspflicht insofern nach, als sie den Saal einem Förderverein überließ, der mit Spenden und finanzieller Unterstützung durch Stadt, Landesdenkmalamt und Denkmalstiftung seit 1992 die notwendigen Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten durchführen ließ.

Beherrscht wird die untere Terrasse der von Süden nach Norden in den Hang gebauten Anlage bis heute von einer monumentalen Säule, die zugleich deren unteren Zielpunkt bildet. Sie ist bekrönt von der Bronzestatue des „von den Bergen herabkommenden Frühling“. Die vier bronzenen Putten an den Ecken des Postaments, die Tanz, Wein, Musik und Gesang darstellen, gehen wie die Statue des Frühlings auf den Stuttgarter Bildhauer Jakob Brüllmann (1872-1938) zurück. Seit der Restaurierung in den 1990er Jahren sind die fehlenden Putten durch Kopien nach den in Privatbesitz befindlichen Originalen ersetzt. Die Nordseite der Terrasse begrenzt die Front des Marmorsaals, die sich in fünf Rundbogen mit großen Flügeltüren öffnet. Über die östlich in den Hang gebaute Treppe gelangt man zum ehemaligen Tennisplatz oberhalb des Marmorsaals, der von einem in den 1990er Jahren rekonstruierten Ziergitter abgeschrankt ist. Oberer Zielpunkt der Anlage ist der Zentralbau des Teehauses über ovalem Grundriss. An seiner Nordseite erstreckte sich u.a. ein großes Wasserbassin.

Das Teehaus gliedert sich in einen von Tambour und Kuppel überhöhten geschlossenen Mittelraum und einen Umgang unter Ringpultdach, ebenfalls mit grün patinierter Kupferblechdeckung, der sich zwischen ionischen Säulen öffnet. Antikes Vorbild ist der Tholos in Delphi, dessen Gliederung bereits das Chinesische Teehaus im Park von Schloss Sanssouci aufgegriffen hat. Die Kuppel ist zweischalig aufgebaut. Das untergehängte Drahtputzgewölbe über dem türhoch mit Holz vertäfelten Innenraum trägt eine dekorative Bemalung, welche wie die des Marmorsaals von Mössel stammt. Sie zeigt galante Szenen im Stil des Rokokos. In Kartuschen sind Personen in der Kleidung des 18. Jahrhunderts beim Müßiggang dargestellt: einmal drei Personen aus der Comedia dell’Arte, vermutlich Columbine, Pantalone und – mit Laute – Arlecchino, dann um einen Tisch im Park gruppierte, aus Teetassen trinkende höfisch gekleidete Damen, dann eine Parkszene mit einer Dame und zwei Kavalieren und schließlich zwei auf einer Gartenmauer sitzende Kavaliere, von denen einer Laute spielt. Alle vier Szenen überhöhen anschaulich die Zweckbestimmung von Teehaus und Park.

Die zurückhaltend gegliederte Front des Marmorsaals lässt kaum seine aufwändige Innenausstattung ahnen. Diese ist bestimmt von Marmor, Stuck, Dekorationsmalerei und Skulpturen. Marmor bekleidet die unteren Wandzonen und den Boden des Raums. Aus Marmor sind auch die großen Wasserbassins an den Schmalseiten und die zwischen den üppigen Säulen an der Hanglangseite platzierten drei kleineren Bassins. Das Schwergewicht der malerischen und bildhauerischen Dekorationen lag und liegt auf den Schmalseiten des Saals, welche halbrund um je ein Wasserbassin eingezogen und von Gewölben überfangen sind. Den seitlichen Bassins sind Atlanten vorgesetzt, welche den Gesimsabschluss der Marmorbrüstung tragen, ein vom Tepidarium der Thermen in Pompeji abgeleitetes Motiv. Die in den 1960er Jahren zum Teil abgeschlagene stuckierte Kassettendecke ist seit 1994 wiederhergestellt, und zwar nach Fotos und im Hangschutt wiedergefundenen Profilstücken.

Seitlich begleiten die Bassins – wie ursprünglich – seit 1994 naturalistische Tierskulpturen, nachdem sie zur Bundesgartenschau im Bopsergelände aufgestellt worden waren. Das linke Becken flankieren ein schreitender Panther und ein schreitender Wolf, das rechte Bassin begrenzen ein großer Hund und ein Wildeber, letzterer eine freie Nachbildung des Porcellino-Brunnens vor dem Mercato nuovo in Florenz. Alle vier Skulpturen wurden von dem aus Mecklenburg stammenden, in München ansässigen Bildhauer Fritz Behn (1878-1970) geschaffen.

Wichtiger noch als die bildhauerische Ausstattung war die buntfarbige Bemalung der oberen Wände und Nischen. Es handelt sich um eine Groteskmalerei, eine auf die römische Antike zurückgehende Ornamentmalerei, die aus dünnem Rankenwerk besteht, in das Menschen, Tiere, Früchte, Blumen und Architekturteile eingefügt sind.

Für den Antikenverehrer Sieglin bot der an ein antikes Nymphäum erinnernde Marmorsaal das entsprechende, ästhetisch wie intellektuell reizvolle Ambiente. Hier fanden die großen Sommerfeste der Familie statt. Dank der Aufgeschlossenheit des betagten Hausherrn entstanden 1926 im Park, vor Marmorsaal und Teehaus zahlreiche Fotos, welche den damaligen originalen Zustand der Anlage dokumentieren, deren eigentlicher Gegenstand aber mit schlichten fließenden Gewändern bekleidete oder auch nackte junge Menschen in expressiven Posen zeigen. Aufgenommen wurden die Fotos von dem Schriftsteller, Vortragskünstler und Fotografen Paul Isenfels, der – wie sein Lehrmeister Fidus – das Heil des Menschen in Volkstum, freiem Landleben, Körper- und Freikörperkult suchte. Die Modelle seiner Fotos im Weißenburgpark waren Schüler von Ida Herion, die in Stuttgart eine Schule für Musik und Körperkultur unterhielt.

Seit 1994 – nach knapp drei Jahren Bauzeit – ist die Anlage instand gesetzt. Besonders aufwändig gestaltete sich dies beim Marmorsaal. Zuerst wurde der Saal mittels einer vertikalen Feuchtesperre und einer Ringdränage trockengelegt. Zur Verhinderung von Kondensat wurde eine geregelte Heizungs- und Lüftungsanlage eingebaut. Konserviert wurden die Reste der Mössel’schen Dekorationsmalerei, die infolge des sperrenden Anstrichs der 1960er Jahre und der Feuchteschäden erhebliche Substanzverluste erfahren hatte. Die schablonierten Dekorationen und Wandgliederungen wurden nach Befund rekonstruiert. Die in der linken Konche erhaltene Originalmalerei wurde freigelegt und in ihrem farblich reduzierten Bestand konserviert.

Im Interesse der von Förderverein und Stadt vorgesehenen zukünftigen Nutzung des Marmorsaals wurden Nebenräume in den Hang gebaut, um so das Erscheinungsbild der Anlage nicht zu stören. Seit 1994 kann der Saal von Bürgern für private Feiern oder kulturelle Veranstaltungen gemietet werden. Das Teehaus ist weiterhin Gaststätte; diese ist im Sommer geöffnet und eine bis heute viel besuchte Freiluftgastronomie.

Text: Judith Breuer
Schlagwort: Stuttgart-Süd
Literaturhinweise:

Gebhard Blank, Stuttgarter Villen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1987, S. 31.
Judith Breuer/Gertrud Clostermann, Die Bauten im Stuttgarter Weißenburgpark: Zur Restaurierung von Marmorsaal und Teehaus, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes, 23 (1994), Heft 2, S. 46-59.
Paul Isenfels, Getanzte Harmonien, Stuttgart 1927.
Wilhelm Michel, Professor Heinrich Henes – Stuttgart. Gartenarchitektur der Villa E. v. Sieglin, in: Deutsche Kunst und Dekoration 34 (1914), S. 132-139.
Elisabeth Szymczyk-Eggert u.a. (Hg.), Gärten und Parks in Stuttgart, Stuttgart 1993, S. 58-61.
Verein zur Förderung und Erhaltung historischer Bauten e.V. (Hg.), Der Marmorsaal im Weissenburgpark Stuttgart, Stuttgart o.J. (1985).

Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Judith Breuer, Weißenburgpark, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/652f8d42-9496-4954-88d4-c858e01d9daf/Weissenburgpark.html