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Das Veielbrunnenviertel liegt südlich des Cannstatter Bahnhofs und bildete sich seit den 1860er Jahren aus. Es wurde insbesondere durch die Entwicklung der Eisenbahn geprägt.

Das heutige Bad Cannstatter Veielbrunnenviertel bildete sich jenseits des Seelbergs seit den 1860er Jahren. Seinen Namen verdankt es dem im Wiesengelände zwischen Seelberg und Neckar aufsteigenden Mineralwasser, das ab 1890 durch den bekannten Cannstatter Hautarzt Theodor von Veiel als Brunnen gefasst wurde. Strukturprägend für das Viertel wurde die Eisenbahn. Die 1845 begonnene „Centralbahn“ mit ihrem ältesten Abschnitt Cannstatt-Esslingen definierte zugleich die künftige Quartiersgrenze nach Norden. Seit 1869 entstand die Wagenwerkstätte der Königlich-Württembergischen Eisenbahn auf dem Gebiet des heutigen Daimler-Motorenwerks. Dieser rasch anwachsende Betrieb wurde bald zum wichtigsten Arbeitgeber der unmittelbaren Umgebung. Um 1880 beschäftigte er etwa 400 Menschen, 1939 fast 1200.

Eine erste Entwicklungsachse für das Viertel bildete seit den 1860er Jahren die Fabrikstraße (ab 1937 Veielbrunnenweg), welche die Wagenwerkstätte mit der Cannstatter Gasfabrik (ab 1929 Straßenbahndepot) verband. Der hier zunächst vorherrschende Häusertyp – zweieinhalb Stock hohe, traufseitig zur Straße stehende Gebäude mittlerer Größe mit einer Dachgaube – wurde laut erhaltener Bauunterlagen mindestens dreißig Mal errichtet und prägt die Straße trotz teilweiser Kriegszerstörung bis heute. Die 1902 als südliche Parallelstraße angelegte Wiesenstraße (ab 1937 Reichenbachstraße) weist demgegenüber eine höhere, fast durchgehend vierstöckige Bebauung auf. Nachdem das Cannstatter Ortsbaustatut in einer Ergänzung von 1884 für die Flächen südlich der Eisenbahnlinie ausdrücklich eine Nutzung „vorzugsweise für gewerbliche Anlagen“ festgeschrieben hatte, bildete sich das Viertel in der Folge als Mischzone aus Wohn- und Gewerbebauten aus.

Ihren äußeren Abschluss fand die Quartiersbildung durch die Anlage des Cannstatter Güterbahnhofs ab 1912, der die weitere Ausdehnung auch nach Süden hin begrenzte. Der Güterbahnhof war zugleich die Voraussetzung für die Ansiedlung von Transportgewerbe und verwandten Unternehmen, so etwa die Metall- und Schrotthandlung Falk Adler. Diese befand sich ab 1912 im Eigentum der jüdischen Unternehmer Hermann und Heinrich Mannheimer. Nach der De-facto-Enteignung durch „Arisierung“ 1938 starb Hermann Mannheimer 1944 verarmt in Stuttgart, sein Bruder drei Jahre später in den USA. Zu den von der Bahn abhängigen Betrieben zählte ab 1921 auch das Lager- und Verwaltungsgebäude des GeKaWe (Großeinkaufsverein der Württembergischen Kolonialwarenhändler, heute Stadtarchiv Stuttgart) in der Bachstraße (ab 1937 Bellingweg). Sein erhaltenes Eisenbahntor stellt zusammen mit dem Gebäude des Zollamts die letzten markanten Überreste des Cannstatter Güterbahnhofs dar.

Trotz teilweise starker Kriegszerstörung blieb die bauliche Gesamtstruktur des Viertels mit zahlreichen wieder instand gesetzten Altbauten auch nach 1945 erhalten. Die schon vor dem Krieg hohe Zahl an Bewohnern stieg durch den Zuzug von Heimatvertriebenen noch weiter an. Äußerer Ausdruck dieses weiteren Zuwachses war unter anderem die Gründung der evangelisch-lutherischen Blumhardt-Gemeinde, die als selbständige Kirchengemeinde von 1965 bis 2011 existierte. Ebenso existierten zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte und Gaststätten, deren Spuren noch an vielen Gebäuden sichtbar sind.  Ausländische Arbeitnehmer prägten das Viertel seit Mitte der 1970er Jahre durch Nachzug von Familien und dauerhafte Beheimatung, zunehmend auch durch Erwerb von Wohneigentum.

Nach der Auflassung des Güterbahnhofs Ende der 1980er Jahre und dem Abzug der meisten Unternehmen ist das Veielbrunnenviertel heute zunehmend ein reines Wohnviertel, das seit 2003 als Sanierungsgebiet ausgewiesen ist.

Text: Jürgen Lotterer
Schlagwort: Stuttgart-Bad Cannstatt
Quellenhinweise:

Stadtarchiv Stuttgart 903 Cannstatt 2450.
Stadtarchiv Stuttgart 903 Cannstatt 2464/1.
Stadtarchiv Stuttgart 903 Cannstatt 2465/1.

Literaturhinweise:

Landeshauptstadt Stuttgart u.a. (Hg.), Das Veielbrunnenviertel. Der historische Teil des NeckarParks, Stuttgart 2012.
Walter Sutter (Bearb.), 100 Jahre Bundesbahn-Ausbesserungswerk Stuttgart-Bad Cannstatt 1869-1969, Stuttgart 1969.

Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Lotterer, Veielbrunnenviertel, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/5ffcb09f-724c-4dbc-985e-d63bddf0633a/Veielbrunnenviertel.html