Mergenthaler war ein radikaler und leidenschaftlicher Anhänger des Nationalsozialismus. Als Gymnasiallehrer schloss er sich früh dieser Richtung an und vertrat sie zwischen 1924 und 1933 im Landtag. Von 1933 bis 1945 bemühte er sich als Kultminister – so die damalige Bezeichnung –, ihre Ziele in Württemberg durchzusetzen.

Christian Mergenthaler wurde am 8. November 1884 in Waiblingen geboren. Sein Vater war Bäckermeister, seine Mutter Tochter eines Flaschners. Er studierte von 1902 bis 1907 Mathematik und Physik in Stuttgart, Göttingen und Tübingen. 1908/09 leistete er Militärdienst, ab 1912 war er Oberreallehrer in Leonberg, im Weltkrieg Offizier der Artillerie in Flandern und vor Verdun. Das Kriegserlebnis prägte ihn tief.

1920 erhielt er eine Stelle am Realgymnasium in Schwäbisch Hall. Hier begann er sich politisch zu engagieren. 1922 trat er in die NSDAP sowie die SA ein, wurde Mitbegründer und Leiter der Ortsgruppe. Bald fiel er durch leidenschaftliche Reden auf, die sogar politische Gegner mitrissen. Seine Beweggründe schilderte er in einer 1939 veröffentlichten „Ahnentafel“ so: „Nach den Kriegsjahren arbeitete ich tüchtig, um im Beruf wieder recht heimisch zu werden. Aber die steigende Not des Vaterlandes stand vor mir. Ich sah, daß Millionen Männer, die draußen als Frontsoldaten bis zum Letzten ihre Pflicht getan hatten, mit ihren Familien darbten und hungerten.  Deutschland wehrlos und ehrlos! […] Ich konnte mich damit nicht abfinden. […] Damals hörte ich von der neuen Bewegung in München. […] Voll Hoffnung schaute ich auf den Frontsoldaten Adolf Hitler.“

Als die NSDAP nach dem November-Putsch 1923 verboten wurde, schloss er sich einer Gruppierung an, die sich „Nationalsozialistische Deutsche Freiheitsbewegung“ nannte. Er wurde Gauführer und als ihr Vertreter 1924 in den Landtag gewählt. Dort erklärte er in seiner ersten großen Rede am 6. Juni: „Deutschland [wird] nicht durch Parlamente, sondern durch eine völkische Diktatur gerettet. […] Wir kämpfen gegen die zersetzenden Einflüsse des Judentums und wir sind Antisemiten, weil wir glauben, daß das Judentum nach Rasse und innerem Empfinden nichts gemeinsam hat mit dem deutschen Volk. […] Wir werden kämpfen getreu unseren Führern Hitler und Ludendorff für ein völkisch-soziales, freies Großdeutschland.“ Nach einem Bericht der „Frankfurter Zeitung“ vom 16. August 1924 nannte er auf einem Parteitag rechtsextremer Gruppen als Ziel seiner Tätigkeit als Abgeordneter: „Wir wollen durch unsere Mitarbeit den Parlamentarismus von innen her bekämpfen.“

In Korntal, dem Wohnort seiner Schwiegereltern, baute er sich ein Haus, und 1929 konnte er sich an das Gymnasium in Bad Cannstatt versetzen lassen. Bei seinen Vorgesetzten, Kollegen und Schülern war er als guter Lehrer anerkannt, aber auch sein schroffes und unduldsames Verhalten fiel auf.

Obwohl die NSDAP 1925 wieder zugelassen wurde, trat er ihr erst 1927 wieder bei. Dies und seine Auffassung, dass die Partei eher von einem Gremium als einem Einzelnen geführt werden solle, könnten erklären, dass Hitler 1928 nicht ihn, sondern den Esslinger kaufmännischen Angestellten Wilhelm Murr zum Gauleiter ernannte. Daraus entstand zwischen den beiden Männern eine dauernde Rivalität, die sich bis zu offener Feindschaft steigerte. Bei den Landtagswahlen im April 1932 gelang der NSDAP auch in Württemberg der Durchbruch. Sie wurde größte Fraktion, Mergenthaler dadurch Landtagspräsident. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichkanzler erklärte Mergenthaler bereits vor der Reichstagswahl vom 5. März, diese möge ausfallen wie sie wolle, man werde unter allen Umständen an der Macht bleiben.

Hitler setzte in den Ländern Reichsstatthalter ein. In fast allen Fällen waren das die NSDAP-Gauleiter, in Württemberg also sein Rivale Murr. Mergenthaler musste sich mit einer Position in der zweiten Reihe begnügen. Er wurde am 11. Mai 1933 zum Ministerpräsidenten und Kultminister ernannt. Das erste Amt blieb weitgehend ohne Bedeutung, doch als Verantwortlicher für das Schulwesen sah er die Möglichkeit, seine Ziele durchzusetzen. Immerhin war er der erste „gelernte“ Lehrer in dieser Funktion. In Ansprachen vor Schulleitern, die dann 1935 in der Zeitschrift „Aus Unterricht und Forschung“ veröffentlicht wurden, machte er deutlich, wie man seiner Ansicht nach vorgehen müsse: „Jetzt gilt es, unter allen Umständen das Dritte Reich sicherzustellen. […] Alles, was das Fundament des nationalsozialistischen Staates irgendwie anfressen kann, muß rücksichtslos beseitigt werden. Die Jugend [muss] restlos für den Nationalsozialismus gewonnen werden. Da gibt es keine Taktik, keine Kompromisse. Wir müssen deshalb von Schulleitern und Lehrern verlangen, daß sie nicht bloß Dulder, sondern fanatische Kämpfer für den Nationalsozialismus sind. […] Die Partei muß ihren Rassestandpunkt mit Bestimmtheit durchführen. […] Jede Revolution muß eine totale sein.“

Dem entsprachen dann die von ihm ergriffenen Maßnahmen und die Art ihrer Durchführung. Gleich zu Beginn entließ er in seinem Ministerium in der Azenbergstraße 14 zahlreiche Beamte auf der Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933. In den Schulen wurde der Hitlergruß vorgeschrieben und im Schulturnen die Befehlssprache und die Aufstellungsform des Militärs eingeführt. Die Lehrpläne aller Fächer mussten nach nationalsozialistischer Ideologie ausgerichtet werden. Im Geschichtsunterricht zum Beispiel sollte germanisches Heldentum verbunden mit dem Führergedanken im Vordergrund stehen. Lehrer und Schulleiter, die sich kritisch äußerten, wurden strafversetzt oder entlassen. Da Mergenthaler in den Schulbehörden nicht auf eingearbeitete Beamte verzichten konnte, installierte er dort zur Durchsetzung und Kontrolle „Politische Vertrauensmänner“. Von dem für die Gymnasien zuständigen Wilhelm Gschwend bezeugte später ein Ministerialbeamter im Spruchkammerverfahren, dieser habe bald überall an den Schulen Gesinnungsgenossen, meist jüngere Lehrer, zur Verfügung gehabt, die ihm Berichte lieferten. So sei ein Überwachungssystem entstanden, das der Denunziation Tür und Tor öffnete. Bei Stellenbesetzungen wurden Parteimitglieder oder zumindest NS-nahe Bewerber bevorzugt. 1937 konnte so ein Gauobmann berichten, „[dass] das Kultministerium im Vergleich zu anderen Ministerien ordentlich mit alten Parteigenossen durchsetzt ist und dieselben so ziemlich die ganze Personalpolitik in der Hand haben.“ Im gleichen Jahr schrieb ein Erlass als Voraussetzung für die Ernennung von Beamten vor, dass sie in der Partei oder einer anderen Gliederung tätig sein müssten. Eine entsprechende Reichsverordnung erfolgte erst 1939.

Bei seinen Aktionen kümmerte sich Mergenthaler, der sogar bei Unterrichtsbesuchen stets in SA-Uniform auftrat, wenig um bestehendes Recht. Offen erklärte er, Buchstaben seien nichts gegenüber dem Geist und der Dynamik des Nationalsozialismus. Direkt nach Amtsantritt ließ er die staatliche Unterstützung für die Israelische Kultusvereinigung streichen; in Baden erfolgte dies erst 1938. Vor allem aber bemühte er sich, den Einfluss der beiden christlichen Kirchen auf das Schulwesen zurückzudrängen. Privatschulen wurden aufgehoben, und 1936 ließ er die Konfessionsschulen beseitigen, um an ihre Stelle die „Deutsche Volksschule“ einzuführen – ein klarer Verstoß gegen das Reichskonkordat von 1933. 700 Geistlichen, die sich weigerten, das von Berlin geforderte Treuegelöbnis auf Hitler abzulegen, wurde untersagt, weiter Religionsunterricht zu erteilen. Auf erheblichen Widerstand stieß ab 1938 der Versuch, ohne gesetzliche Grundlage den Religionsunterricht ganz abzuschaffen und durch einen nationalsozialistisch orientierten „Weltanschaulichen Unterricht“ zu ersetzen. Dies lehnten nicht nur die Kirchen und der größte Teil der Eltern ab; ranghohe NS-Vertreter übten ebenfalls Kritik. Allerdings bemühte sich Mergenthaler auch um Weiterentwicklung des Schulwesens durch Aufbauschulen für Schüler auf dem Land, der Einrichtung einer Hochschule für Volksschullehrer in Esslingen sowie der Förderung der Berufsschulen und der Mädchenbildung.

Mergenthaler, der privat einen einfachen Lebensstil führte und nicht wie andere damalige Größen seine Stellung zu persönlichem Vorteil missbrauchte, blieb in der NS-Führung isoliert. Dazu mag auch sein schroffes und wenig kompromissbereites Verhalten beigetragen haben. Goebbels notierte nach einem Stuttgart-Besuch im September 1937 in seinem Tagebuch: „Murr erzählt mir, dass er mit Mergenthaler nicht fertig wird. Das ist eben ein Schulmeister. Muss doch einmal weg.“ Diese Distanz betonte der Württemberger nach dem Krieg im Spruchkammerverfahren, um glaubhaft zu machen, er habe von den Verbrechen des Regimes nichts gewusst. Doch seine Weltanschauung und besonders die Treue zu seinem „Führer“ blieben bis zuletzt unerschüttert. Noch mit einem Neujahrsgruß im Januar 1945 versicherte er, keine noch so schwere Belastung könne seinen festen Glauben an ihn und an die Zukunft des deutschen Volkes wankend machen.

Im Mai 1945 wurde Mergenthaler im Allgäu verhaftet und im Lager Balingen interniert. Die Spruchkammer stufte ihn 1948 als Hauptschuldigen ein – ein seltener Fall bei diesen Verfahren. Gegen das Urteil – dreieinhalb Jahre Arbeitslager, Verlust des Pensionsanspruchs, Verbot öffentlich wirksamer Arbeit – erhob er keinen Einspruch. Nach der Entlassung im Januar 1949 lebte er zurückgezogen in Korntal. 1953 gewährte ihm Ministerpräsident Reinhold Maier „auf dem Gnadenweg“ das Ruhestandsgehalt eines Studienrats. Am 11. September 1980 starb er in einer Senioreneinrichtung in Bad Dürrheim.

Fazit: Mergenthaler war ein radikaler, fanatischer Nationalsozialist. Diese Bezeichnung hätte er – jedenfalls bis 1945 – vermutlich selbst als ehrenhaft empfunden. Auch wenn er persönlich nicht unmittelbar für NS-Gewalttaten verantwortlich war, gehörte er zu denen, die an herausragender Stelle dafür den ideologischen Boden bereitet haben. Rudolf Kieß schlägt für ihn den Begriff „wortgewalttätig“ vor.

Text: Bernhard Völker
Schlagwort: Stuttgart-Nord
Quellenhinweise:

Staatsarchiv Ludwigsburg, Spruchkammerakten EL 902/14 Bü 5966.

Literaturhinweise:

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Thomas Schnabel, Württemberg zwischen Weimar und Bonn 1928-1945/46, Stuttgart 1986.
Michael Stolle, Der schwäbische Schulmeister. Christian Mergenthaler. Württembergischer Ministerpräsident, Justiz- und Kultusminister, in: Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg, hg. von Michael Kißener/Joachim Scholtyseck, Konstanz 1997, S. 445-475.
Rudolf Kieß, Christian Mergenthaler. Württembergischer Kultminister 1933-1945, in: ZWLG 54 (1995), S. 281-332.
Rudolf Kieß, Christian Mergenthaler (1884-1980), in: Wir konnten uns nicht entziehen. 30 Porträts zu Kirche und Nationalsozialismus in Württemberg, hg. von Rainer Lächele/Jörg Thierfelder, Stuttgart 1998, S. 159-173.
Bernhard Völker, Christian Mergenthaler. Kultminister und Überzeugungstäter, in: Stuttgarter NS-Täter. Vom Mitläufer zum Massenmörder, hg. von Hermann G. Abmayr, Stuttgart 2009, S. 296-301.
Bernhard Völker, Wilhelm Gschwend. „Politischer Vertrauensmann“ im Kultministerium, in: Stuttgarter NS-Täter. Vom Mitläufer zum Massenmörder, hg. von Hermann G. Abmayr, Stuttgart 2009, S. 302-309.

GND-Identifier: 116891904
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Völker, Christian Mergenthaler (1884-1980), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/56441400-8274-4362-bd0f-619f4df96280/Christian_Mergenthaler.html