Friedrich Payer gehörte 1868 zu den Gründern der Volkspartei, die unter seiner Führung 1895 zur stärksten Kraft im Stuttgarter Landtag aufstieg. Als Landtagspräsident hatte er danach wesentlichen Anteil an der Verfassungsreform von 1906.

Payer wurde in eine Familie Tübinger Universitätspedellen geboren. Nach dem Besuch des Seminars in Blaubeuren studierte er in Tübingen Rechtswissenschaften, das Studium konnte er 1869 mit dem ersten juristischen Staatsexamen abschließen. Nach dem zweiten Staatsexamen 1871 ließ er sich in Stuttgart als Anwalt nieder.

Schon während seines Studiums hatte sich Payer für das Gedankengut der württembergischen Volkspartei begeistert. Mit 21 nahm er als Schriftführer an deren Gründungsversammlung in Stuttgart teil, während gleichzeitig eine nähere Bekanntschaft zu Carl Mayer (1819-1889) als profiliertesten Kopf der Volkpartei entstand. Nach dem zeitweiligen Rückzug Mayers aus dem politischen Leben trat Payer in die Redaktion des „Beobachters“, der in Stuttgart erscheinenden Tageszeitung der schwäbischen Demokraten, ein. Innerhalb dieser war er einige Jahre für Fragen der württembergischen Landespolitik zuständig.

1874 kandidierte Payer das erste Mal, wenn auch erfolglos, im Reichstagswahlkreis Tübingen-Reutlingen-Rottenburg. Das dortige Mandat konnte er schließlich drei Jahre später erobern und sollte es mit nur zweimaliger kurzer Unterbrechung bis 1917 behalten. Nach dem Tod von Mayer und Julius Haußmann (1816-1889) bildete Payer schließlich seit dem Ende der 1880er Jahre zusammen mit den ihm eng befreundeten Stuttgarter Rechtsanwälten Friedrich (1857-1917) und Conrad Haußmann (1857-1922) die Führungsriege der Volkspartei. Dem Stuttgarter Gemeinderat gehörte er 1892 bis 1896 an, 1893 wurde er erstmals in den Stuttgarter Landtag gewählt.

Zentrales landespolitisches Thema in Württemberg in den 1890er Jahren war die Frage der Verfassungsreform, namentlich die Neuzusammensetzung der II. Kammer. Gemäß der noch immer geltenden Verfassung aus dem Jahr 1819 gehörten 23 Mitglieder der II. Kammer den sogenannten Privilegierten an, d.h., es handelte sich bei ihnen nicht um vom Volk gewählte Abgeordnete, sondern Vertreter der beiden Kirchen, des ritterschaftlichen Adels und der Universität Tübingen. 1894 legte Ministerpräsident Hermann von Mittnacht (1825-1909) einen Reformentwurf vor, der nur teilweise die Versetzung der Privilegierten von der II. in die I. Kammer vorsah und zudem der II. Kammer zum Teil ständestaatliches Gepräge geben sollte. Für Payer und die Gebrüder Haußmann war eine derartige Vorlage unzureichend. Durch ihren Protest konnten sie dazu beitragen, dass die Regierung die Vorlage zurückzog.

Den Landtagswahlkampf 1895 führten die Demokraten nunmehr unter der Parole, dass die II. Kammer in jedem Fall zu einer rein vom Volk gewählten Kammer werden müsse, außerdem wünschten sie die Einführung einer progressiven Einkommensteuer, um mehr steuerliche Gerechtigkeit zu gewährleisten. Auch sollte die Institution der lebenslänglich gewählten Schultheißen wegfallen. Aus der Landtagswahl 1895 gingen die Demokraten als Sieger hervor und konnten 31 der 93 Kammersitze für sich gewinnen. Als Spitzenrepräsentant der nunmehr stärksten Kraft konnte Payer erfolgreich das Amt des Landtagspräsidenten für sich beanspruchen. – Beim preußischen Gesandten führte die Wahl des „roten Payer“ freilich zu schlimmsten Bedenken, auch glaubte er, sowohl König Wilhelm II. (1848-1921) als auch Ministerpräsident Mittnacht vor Payer „als Wolf im Schafspelz“ warnen zu müssen.

Wenn auch der erste Empfang Payers beim König wie auch beim Ministerpräsidenten zunächst etwas kühl ausfiel, so entwickelte sich mit beiden jedoch schon bald ein fruchtbares Arbeitsklima. Ministerpräsident Mittnacht war flexibel genug, nachdem er zweieinhalb Jahrzehnte mit der nationalliberalen Deutschen Partei zusammengearbeitet hatte, auf die gewandelten Mehrheitsverhältnisse einzugehen und jetzt – zumindest teilweise – den Anliegen der Volkspartei nachzukommen. Mithin legte er 1897 einen Gesetzentwurf vor, der entsprechend dem Wunsch Payers und der Haußmann-Brüder vorsah, sämtliche Privilegierte aus der II. in die I. Kammer zu versetzen. Die Annahme dieser Vorlage scheiterte jedoch an der Zentrumspartei. Denn diese hatte erkannt, dass durch die Versetzung der ritterschaftlichen Adligen von der II. in die I. Kammer die katholische Mehrheit im Oberhaus gebrochen und ihr Einfluss geschwächt wurde. Folglich konnte bis zur Neuwahl des Landtags 1900 von den demokratischen Abgeordneten in Sachen Verfassungsreform nur wenig erreicht werden. Es kam lediglich bei der Landtagswahl zu formalen Änderungen wie der Wiedereinführung des Wahlumschlages. Neu war die Einführung von – als „Isolierraum“ bezeichnete – Wahlkabinen, um die geheime Wahl sicherzustellen und eine Verlängerung der Wahlzeiten. Letztlich konnten die Demokraten bei der Landtagsneuwahl ihre Spitzenstellung behaupten, sodass Payer als Kammerpräsident bestätigt wurde.

1903 gelang es, die von den Demokraten gewünschte progressive Einkommensteuer einzuführen und ab 1904 kam Bewegung in die Verfassungsreform. In diesem Jahr konnte die Zentrumspartei mithilfe der katholisch geprägten I. Kammer eine Novelle des Volksschulgesetzes verhindern, die zumindest teilweise die Zulassung von Laien für die Bezirksschulaufsicht vorsah. Mit diesem kurzfristigen Erfolg hatte sich die Zentrumspartei jedoch landespolitisch isoliert. Von den übrigen Parteien wie auch der Regierung wurde nunmehr das Thema Verfassungsreform wiederum aufgegriffen, um schließlich die Volksschulreform auch gegen den Willen des Zentrums durchsetzen zu können.

Bei der Ausarbeitung der Verfassungsreform wirkte Payer eng mit Ministerpräsident Wilhelm von Breitling (1835-1914) zusammen. Mitte 1906 konnte das Werk verabschiedet werden. Entsprechend den demokratischen Wünschen setzte sich die II. Kammer fortan ausschließlich aus gewählten Volksvertretern zusammen. Sämtliche Privilegierte wurden nunmehr in die I. Kammer versetzt, in dieser nahmen jetzt auch Vertreter der Berufsstände Platz. Auch wurden die sechs Abgeordneten der Stadt Stuttgart sowie siebzehn weitere der übrigen 86 Abgeordneten ebenfalls entsprechend den Vorstellungen Payers und der Haußmann-Brüder nach dem Proporzwahlrecht gewählt. Dieses Wahlrecht sahen die Demokraten als besonders gerecht an, da es auch Minderheiten besser zur Geltung kommen ließ.

Freilich musste die Volkspartei an anderer Stelle Zugeständnisse machen: So wurden jetzt auch die Rechte der I. Kammer in Finanzfragen gestärkt. Als nicht durchsetzbar erwies sich zudem der von den Demokraten immer wieder geäußerte Wunsch nach Schaffung eines Einkammerparlaments. – Anders als sein Freund Conrad Haußmann drängte Payer übrigens nicht auf eine Parlamentarisierung des politischen Systems im Königreich Württemberg. Im Anschluss an die Verfassungsreform verabschiedete der Landtag zudem noch eine neue Gemeinde- und Bezirksordnung, womit endlich auch die lebenslänglichen Schultheißen wegfielen.

Trotz dieses wesentlichen Anteils am Zustandekommen der Verfassungsreform war der Einfluss der Demokraten nach diesem großen Erfolg rückläufig. Payer selbst räumt in seinen Lebenserinnerungen ein, dass der Partei eine weitere populäre Zielperspektive gefehlt habe. So wurde sie bei der Landtagsneuwahl nur noch zweitstärkste Kraft hinter dem Zentrum. Mithilfe der Deutschen Partei und der SPD wurde Payer jedoch erneut als Präsident des Stuttgarter Landtags bestätigt, und auch in dieser Legislaturperiode konnten noch einige kleinere Reformvorhaben umgesetzt werden. Hierzu gehörte beispielsweise eine neue Geschäftsordnung des Landtages. Erstmals konnten die Abgeordneten im Halbmondsaal ihre Plätze frei wählen. Selbstverständlich hat dies die Zusammenarbeit der Fraktionen erleichtert.

Das bedeutendste Gesetz dieser Legislaturperiode war freilich das neue Schulgesetz. Wie schon 1904 geplant, wurden jetzt auch Laien in die Ortsschulaufsicht mit einbezogen. Die Bezirksschulaufsicht ging auf einem ausgebildeten Fachbeamten über. Gleichzeitig wurde der Klassenteiler in der Volksschule von 90 auf 60 Schüler gesenkt. Damit einher ging eine Reform der Ausbildung von Lehrkräften, die gleichzeitig zu einer besseren Alimentierung der Volksschullehrer führte. Im Zusammenhang mit all diesen Reformen wurde in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg der Bau neuer Volksschullehrerseminare wie auch von Schulen insgesamt vorangetrieben.

Mit der Neuwahl des Landtags 1912 schied Payer nach siebzehnjähriger Tätigkeit aus dem Amt des Landtagspräsidenten aus, um sich nunmehr ganz der Reichspolitik widmen. Schon 1910 hatte er wesentlichen Anteil daran, dass die drei linksliberalen Parteien im Reichstag in der Fortschrittlichen Volkspartei zusammengeführt wurden. Für diese hat Payer in der Folgezeit als deren Fraktionsvorsitzender gewirkt. Während des Weltkrieges sollte ihm als Vorsitzendem des Interfraktionellen Ausschusses eine zentrale Rolle in der Diskussion um innenpolitische Reformen zukommen. Im Zuge der schrittweisen Parlamentarisierung des Reiches war er 1917/18 unter Georg Graf von Hertling (1843-1919) und Max von Baden (1867-1929) Reichsvizekanzler. Auch 1919 wurde er nochmals in die Weimarer Nationalversammlung gewählt und hat hier den Vorsitz der DDP-Fraktion übernommen. – In der Stuttgarter Politik ist Payer noch zweimal aufgetreten: Nach der Landtagswahl 1920 machte er sich für eine Wahl seines Freundes Conrad Haußmann zum Staatspräsidenten stark. Letztlich war Haußmann innerhalb der DDP-Landtagsfraktion nicht mehrheitsfähig. Payer selbst lehnte es aufgrund seines fortgeschrittenen Alters ab, Staatspräsident werden zu wollen. Schließlich konnte er innerhalb der Fraktion erfolgreich für die Wahl von Johannes von Hieber (1862-1951) werben.

1930 ist Payer aus der württembergischen DDP ausgetreten, nachdem diese unter der Führung Reinhold Maiers (1889-1971) in eine Koalition mit den Deutschnationalen, dem Bauernbund und der Zentrumspartei eingetreten war. Eine Kooperation mit einem derartig reaktionären Politiker wie dem Deutschnationalen Wilhelm Bazille (1874-1934) sah Payer als Prinzipienverrat an den Idealen der von ihm vor über 60 Jahren mitbegründeten Volkspartei an.

Text: Michael Kitzing
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Bundesarchiv Koblenz N 1020 Teilnachlass 1 Friedrich Payer.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart Q 1/ 12 Teilnachlass 2 Friedrich Payer.
Friedrich Payer, Autobiographische Aufzeichnungen und Dokumente, bearb. von Günther Bradler, Göppingen 1974.

Literaturhinweise:

Albert Eugen Adam, Ein Jahrhundert Württembergische Verfassung, Stuttgart 1919.
Günther Bradler, Politische Unterhaltungen Friedrich Payers mit Theodor Heuss: ein Fund aus dem Hauptstaatsarchiv Stuttgart, in: ZWLG 32 (1973), S. 161-192.
Walter Grube, Der Stuttgarter Landtag 1457-1957. Von den Landständen zum demokratischen Parlament, Stuttgart 1957.
Bernhard Mann, Friedrich Payer (1847-1931), in: Reinhold Weber/Hans-Georg Wehling (Hg.), Politische Köpfe aus Südwestdeutschland, Stuttgart 2005, S. 11-20.
Rosemarie Menzinger, Verfassungsrevision und Demokratisierungsprozess im Königreich Württemberg. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland, Stuttgart 1969.
Paul Sauer, Württemberg im Kaiserreich. Bürgerliches Freiheitsstreben und monarchischer Obrigkeitsstaat, Tübingen 2011.
Klaus Simon, Die württembergischen Demokraten. Ihre Stellung und Arbeit im Parteien- und Verfassungssystem in Württemberg und im Deutschen Reich 1890-1920, Stuttgart 1969.

GND-Identifier: 118592300
Publiziert am: 02.07.2021
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kitzing, Friedrich Ludwig von Payer (1847-1931), publiziert am 02.07.2021 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/4b4881ea-a2aa-4105-9d04-2e8fd039ed97/Friedrich_Ludwig_von_Payer.html