Das Wagenburg-Gymnasium liegt östlich der Stadtmitte, auf dem Höhenrücken zwischen Nesenbach- und Neckartal, und war ursprünglich als Sammelschulhaus für verschiedene Schularten im Stuttgarter Osten gedacht.

Kommt man vom Remstal über Fellbach ins Neckartal, so fällt einem auf dem gegenüberliegenden Bergrücken, in der Einsenkung zwischen Gänsheide und Uhlandshöhe ein mächtiges, querstehendes Gebäude mit steil aufragendem Dach ins Auge, die Wagenburgschule. Der Name „Wagenburg“ geht auf die Belagerung Stuttgarts 1286 durch König Rudolf von Habsburg zurück, dessen Heer sich auf dieser Anhöhe über der Stadt in einer Wagenburg verschanzt haben soll. Erstmals erwähnt wird der Name 1558 in dem Flurnamen „Wingart in der Wagenburg“, ein „kleines Gewand“ in der Gegend des heutigen Eugensplatzes. Diese Anhöhe zog das Interesse der Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf sich.

Bis etwa 1890 erstreckten sich zwischen den drei Orten Berg, Gaisburg und Gablenberg noch ausgedehnte Felder, Wiesen und Weinberge. Ende des 19. Jahrhunderts wurde ungefähr in der Mitte dieser drei Orte die Kolonie Ostheim angelegt und die bisherigen Freiflächen wurden nach und nach bebaut. Die Einwohnerzahl stieg stark an, entsprechend auch die Zahl der schulpflichtigen Kinder. Die neu Zugezogenen waren meist Tagelöhner, Industriearbeiter, Handwerker und niedere Angestellte, die aber sehr auf eine gute Schulbildung ihrer Kinder bedacht waren. In den genannten drei Orten gab es aber nur Volksschulen. Die Bürgervereine von Gablenberg, Gaisburg, Ostheim sowie von der Unteren Stadt und Berg schlossen sich daher zusammen und forderten schon 1901, die Stadt möge eine zentral gelegene Knabenbürgerschule errichten, der geeignetste Platz dafür sei im Mittelpunkt der drei Stadtteile Gaisburg, Ostheim und Gablenberg in der Gegend um den Ostendplatz zu suchen. Der Begriff Bürgerschule kennzeichnete vor allem eine Schule, die darauf angelegt war, die Schüler auf handwerkliche Berufe ohne anschließendes Studium vorzubereiten.

Die städtische Baukommission entschied sich aber für den sogenannten „Wagenburgplatz“ oben auf der Höhe, damit die neue Schule von beiden Seiten des Bergrückens, von der Innenstadt und den östlichen Stadtbezirken sowie den Kindern der Gänsheide besucht werden konnte. Dies mag ein Grund für die Platzwahl gewesen sein, die Besitzverhältnisse werden aber der entscheidende gewesen sein. Der vorgesehene Bauplatz gehörte der Stadt und war zuvor ein städtischer Auffüll- und Kehrichtplatz. Die Stadt hatte daher in der bereits teuren Halbhöhenlage keinen Bauplatzpreis zu entrichten.

Die Stadt schrieb im Juni 1912 einen Wettbewerb für ein Doppelschulhaus aus, d.h. für Bürgerschule und Volksschule mit je 18 Klassenzimmern, zuzüglich von Fachräumen und einer Turnhalle. 104 Architekten beteiligten sich an dem Wettbewerb, den Zuschlag erhielt der 1884 in Tübingen geborene Architekt Martin Elsaesser, der zur gleichen Zeit in Stuttgart die Markthalle und die Gaisburger Kirche baute.

Auffallend ist die Krümmung des neuen Schulhauses. Elsaessers Entwurf passt sich hier dem genauen Verlauf des Geländes an. Die Längsachse des Schulgebäudes entspricht ziemlich genau der Höhenlinie 320 Meter ü. NN. Das viergeschossige Schulgebäude konnte so auf „gewachsenem“ Boden errichtet werden, während für den Zwischenbau und die Turnhalle tiefgründige Fundamente notwendig waren, da sie auf aufgefülltem Boden erbaut werden mussten.

Näherte man sich vor dem Zweiten Weltkrieg von Gablenberg aus dem Schulgebäude, so fiel einem zunächst das mächtige Dach und dann die Turnhalle ins Auge, die mit ihrer apsidialen Auswölbung an einen Sakralbau erinnerte. Eine Betonmauer trennt, auch heute noch, den Schulhof von der Straße. An beiden Enden dieser Mauer gelangte man durch kunstgeschmiedete Tore unter einem Torbogen hindurch in den Hof. Runde, kuppelgedeckte, gedrungene Betontürme flankierten die beiden Tore auf einer Seite. Diese im Zweiten Weltkrieg zerstörten Türme sollen der mündlichen Überlieferung nach als „Karzer“ (Schulgefängnis) gedient haben.

Vor dem heutigen Besucher kragt nun der hoch aufragende Baukörper der Schule geschossweise vor, eine Reminiszenz an mittelalterliche Bauweisen. Figürliche Konsolensteine sind als Schmuck und Gliederungselemente eingesetzt. Das mächtige Betongewölbe der Vorhalle, die wuchtig-geböschten Pfeiler und die steinernen Sitzbänke an der Hauswand lassen an einen mittelalterlichen Kloster-Kreuzgang denken.

In seiner Eröffnungsrede ging der neue Rektor Karl Pfeifle der Bürgerschule auf diese Bauweise ein: „Das Publikum, das stets nur dem äußeren Scheine nach urteilt, hat sich mit diesem Bau anfangs nicht auf den besten Fuß gestellt, man hat ihn bald ein düsteres, unfreundliches ‚Kloster‘, bald ein ‚Zuchthaus‘ ‚genannt. Nun da der Bau fertig vor uns steht und sich trotz seiner Masse gut in seine Umgebung einfügt, lautet das allgemeine Urteil schon anders. Lassen wir aber noch ein paar Jahre ins Land gehen, bis die beiden Tortürmchen von den kräftiger gewordenen Linden überschattet werden, bis das zarte Grün der Akazien den Schulhof säumt, bis von den Mauern des viel geschmähten Vorgärtchens die Schlingrosen ihre Ranken herabsenden, bis auf der Nordseite der Bau mit wilden Reben überwachsen sein wird, dann müssen wir alle gestehen, dass es im Bereiche von Groß-Stuttgart kein eigenartigeres und schöneres Schulhaus geben wird.“ (Stuttgarter Neues Tagblatt, Nr. 111, 25. April 1914, S. 3)

Das neue Schulhaus beherbergte mit einer Mittleren Schule, den Fortbildungsklassen und der Volksschule drei Schultypen.

Die Volksschule bestand von 1914 bis 1974 (als Evangelische Wagenburgschule mit Klassen in der Gablenberger Hauptstraße und Katholische Wagenburgschule mit Klassen aus Gaisburg 1914 bis 1936, als Deutsche Volksschule Wagenburgschule 1936 bis 1953, als Volksschule Wagenburgschule I und Wagenburgschule II 1954 bis 1974).

Die Fortbildungsklassen bestanden von 1914 bis 1942 (als Wagenburgschule für evangelische Jugendliche 1914 bis 1927, für evangelische und katholische Jugendliche 1928 bis 1936, als Hauswirtschaftsschule und Küche für weibliche Jugendliche 1937 bis 1942).

Die Mittlere und höhere Schule besteht von 1914 bis heute (als Wagenburgbürgerschule IV für männliche Jugendliche, 6. bis 14. Lebensjahr, von 1914 bis 1927, dann umbenannt in Wagenburg-Realschule, 1937 umbenannt in Wagenburg-Oberschule für Jungen und auf neun Klassen ausgebaut, 1954 umbenannt in Wagenburg-Gymnasium für Jungen).

Der Nordwestflügel des Schulhauses und der Südostflügel mit Turnhalle samt dem danebenliegenden Eingangstor zum Schulhof wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Am 1. Oktober 1945 konnte aber in dem notdürftig hergerichteten Schulhaus der Unterricht wieder aufgenommen werden. Nach und nach wurden die Schäden in den folgenden Jahren beseitigt, die Turnhalle konnte aber erst 1952 wieder aufgebaut werden. 2009 wurde diese schließlich abgebrochen und durch eine moderne, den Ansprüchen der Zeit gemäße Turnhalle ersetzt.

Im Schuljahr 1974/75, nach dem Auszug der Volksschule, führte das Wagenburg-Gymnasium als letzte Schule in Stuttgart ab Klasse 5 die Koedukation ein.

Eine Besonderheit am Wagenburg-Gymnasium ist heute die bilinguale deutsch-französische Abteilung. Sie wurde zu Beginn des Schuljahres 1988/89 eingerichtet, um den Schülern einen doppelten Abschluss in einem Prüfungsgang zu ermöglichen, nämlich die deutsche Allgemeine Hochschulreife und gleichzeitig das französische Baccalauréat, das AbiBac. Die Schule ist damit bis heute das einzige Gymnasium in Stuttgart mit diesem Bildungsangebot. Im Schuljahr 2013/14 besuchten 603 Schülerinnen und Schüler in 25 Klassen das Wagenburg-Gymnasium, davon 301 Schülerinnen und Schüler mit Englisch als erster Fremdsprache und 302 in der deutsch-französischen Abteilung.

ln den nächsten Jahren stehen umfangreiche Bauarbeiten an. Das Schulgebäude ist in die Jahre gekommen und muss im lnneren dringend saniert und renoviert werden, weshalb Schulklassen in Containern ausgelagert werden müssen.

Text: Elmar Blessing
Schlagwort: Stuttgart-Ost
Literaturhinweise:

Heike Talkenberger, Das Wagenburg: Eine Schule wird 100 (1914-2014), Stuttgart 2014.

GND-Identifier: 1048650324
Publiziert am: 13.08.2019
Empfohlene Zitierweise:
Elmar Blessing, Wagenburg-Gymnasium, publiziert am 13.08.2019 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/4579cdee-f16e-49d9-883f-dfa1256beb43/Wagenburg-Gymnasium.html