König Wilhelm I. ließ das Wilhelmatheater 1840 als Kur- und Hoftheater bauen. Vom Abriss bedroht, wurde 1982 der Wert des nur wenige Jahrzehnte bespielten Baus erkannt, der heute von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst genutzt wird.

Ideen zur Erweiterung der Schlossgärten Richtung Kahlenstein (heute Rosensteinpark), die Planung eines Badhaus für die Mineralquellen sowie Pläne für einen Neubau des Hoftheaters bildeten die Grundlage für die Entstehung des Wilhelmatheaters.

Schon Herzog Karl Eugen hatte sich mit einer Verlängerung der Schlossgärten zum Kahlenstein hin beschäftigt. Die Könige Friedrich I. und Wilhelm I. ließen Grundstücke erwerben, unter anderem auch einige unterhalb des Neckarhangs. Mit dem Kauf der Fabrik „Zais“ war 1836 das Gelände der heutigen Wilhelma schließlich arrondiert. Bereits 1829 waren Mineralquellen entdeckt worden. König Wilhelm I. beschloss daher, ein Badehaus am Neckar errichten zu lassen. Außerdem drängten in Stuttgart bauliche Probleme. Die Situation des Königlichen Hoftheaters war ganz und gar unbefriedigend. Noch immer behalf man sich mit dem riesigen, altmodischen Theater, das Herzog Karl Eugen in das Beer‘sche Lusthaus hatte einbauen lassen. Umbauten und ständige Reparaturen konnten die missliche Situation nicht beheben. Man beauftragte die drei Architekten Nikolaus von Thouret, Giovanni Salucci und Ludwig Zanth, 1835/36 Entwürfe für einen Neubau zu fertigen. König Wilhelm I. bevorzugte den Entwurf des jungen Zanth, doch die Theaterbaukommission konnte sich nicht abschließend entscheiden. So blieb es noch weitere Jahrzehnte beim alten Zustand.

1837 beauftragte der König Zanth zudem mit der Planung des Badehauses. Doch die Realisierung verzögerte sich, denn im aufstrebenden Badeort Cannstatt bemühte sich der Brunnenverein um Amüsements für die Sommergäste. Da ein Theater für den Verein nicht finanzierbar schien, kam dieser auf ein sinnvolles, durchaus schwäbisches Geschäftsmodell: Eine Spielbank könnte die Gäste vergnügen und versprach gleichzeitig gute Einnahmen. Der König indes wollte einer derartigen Einrichtung nicht zustimmen, schlug stattdessen vor, ein Theater aus seiner Privatschatulle zu errichten, das im Sommer als bürgerliches Kurtheater dienen sollte. In der übrigen Zeit wollte er es als kleines Hoftheater nutzen.

Erneut beauftragte Wilhelm I. Zanth mit der Planung und so entstand 1838 bis 1840 das Theater am Rand des Parks, Ecke Neckarstraße/Ludwigsburger Chaussee, die Schauseite mit dem öffentlichen Eingang nach Cannstatt gewandt. Aus dem ursprünglich als Badehaus geplanten Areal entwickelte sich schließlich ab 1842 ein prächtiges, privates Refugium im maurischen Stil, die Wilhelma.

Karl Ludwig Wilhelm Zanth, 1796 in Breslau geboren und 1844 von König Wilhelm I. geadelt, war zunächst Schüler des Stuttgarter Hofbaumeisters Ferdinand von Fischer, besuchte dann die École des Beaux-Arts in Paris, wurde Mitarbeiter im Architekturatelier von Ignaz Jacob Hittorff. Von einer gemeinsamen Reise nach Süditalien und Sizilien brachten die beiden die Erkenntnis mit, dass die antike Architektur stark farbig gefasst war – eine Sensation und Anlass für den zwanzigjährigen „Polychromie-Streit“ unter den Kunsthistorikern. Beide Architekten versuchten, diese Erkenntnis in ihren Projekten umzusetzen, allerdings nur in der Innenausstattung. Im Äußeren blieben sie streng klassizistisch, so auch beim Wilhelmatheater. Es ist heute das einzig erhaltene Beispiel dieser kurzen Epoche zwischen Klassizismus und Historismus.

Das frei stehende Haus wurde durch Mauern in Viertelkreisen in die äußere Abgrenzung der Wilhelma eingebunden – öffentlich zum Theaterplatz, privat zum königlichen Garten. Der Entwurf entsprach der klassizistisch-antiken Vorstellung des 19. Jahrhunderts. Die fünfachsige, zweigeschossige Schaufassade folgte dem Stil der Pariser Theater. Thalia und Terpsichore in den Nischen signalisierten ein Haus der leichteren Muse. Die übrigen Fassaden waren schlicht ausgebildet. Die Firstlinie des einseitig abgewalmten Dachs erstreckte sich über Zuschauerhaus und Bühne in gleicher Höhe. Es gab also noch kein alles überragendes Bühnenhaus. Der Hauptzugang unter dem Balkon der Schauseite führte über das Vestibül und zwei gewendelte Treppen in die Umgänge des Parketts und des ersten Ranges. Den zweiten Rang erreichte man völlig separat von außen über eine eigene Treppe. Das Auditorium in Form eines Dreiviertelkreises entsprach der wieder in Mode gekommenen Form des antiken griechischen Theaters. Ungewöhnlich ist die Lage der Königsloge am Proszenium. Aber so war sie über die angegliederten Privaträume durch einen separaten Eingang direkt aus der Wilhelma heraus erreichbar.

In der Ausmalung des Inneren entfaltete Zanth programmatisch seine Vorstellung der farbkräftigen Antike vor dem Hintergrund der grünen Rückwand des Saales. Die Brüstungen der leicht abfallenden beiden Ränge waren im ersten mit Musen und ihren Attributen bemalt, im zweiten mit Theatermotiven und Greifen, alles eingebettet in aufwändiges Rankenwerk. Die Balkonbrüstungen der Proszeniumslogen, gerahmt von Säulen in Kolossalordnung, wechselten zu goldfarbiger Malerei auf karminrotem Grund. Die Königsloge war herausgehoben durch Krone und Wappentiere. Die flache Decke zierte ein prächtiges, sechzehnteiliges Velarium. Das tiefe Blau am Rand schien den Blick in den antiken Nachthimmel frei zu geben. Die Bilder in den Zwickeln zum Bühnenportal zeigten feine Darstellungen von Apollon und Dionysos. Das Bühnenportal wurde durch gekuppelte Kolossalsäulen und einem Architrav mit buntem Lotosfries gerahmt. Die reiche Ausmalung verlieh dem Foyer des ersten Ranges einen festlichen Charakter.

Der Bau des „kleinen Sommertheaters“ wurde 1838 begonnen, die Ausmalung im Inneren Anfang 1840. Auf fünf Schiffen lieferte der bekannte Theatermaschinist Joseph Mühldorfer aus Mannheim die Bühnenmaschinerie und den reich gestalteten, zentralen Kronleuchter, ganz modern mit Gas betrieben.

Am 29. Mai 1840, zum Namenstag des Königs, fand die Eröffnung statt mit der Ballettpantomime „Der Zauberschlaf“. Mit der Sommersaison nahmen die Cannstatter ihr Kurtheater in Besitz.
Doch schon 1847, die laufenden Kosten waren dem König zu hoch geworden, schloss das Theater für die Öffentlichkeit, wurde nur noch sehr selten benutzt bei Einladungen fürstlicher Gäste in die Wilhelma.

Fünf Jahrzehnte blieb das Theater geschlossen, bis die „Wilhelma-Theater-Gesellschaft“ die Erlaubnis für Umbau, Erweiterung und Renovierung erhielt. Der starke Besucherandrang im Sommer machte 1903 eine zweite Erweiterung erforderlich. Aus 350 Plätzen wurden schließlich 726. Der heitere antike Charme des Zuschauerraums ging dabei verloren, die schlanke Eleganz der Fassade war verschwunden. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte der Betrieb unter dem Dach des „Württembergischen Landestheaters“ noch bis 1928 aufrechterhalten werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen noch einmal für drei Jahre Schauspieler ein, dann wurde das Theater zum Kino für die amerikanischen Besatzer. Sämtliche verbliebenen Malereien verschwanden unter einer hellgrauen Tünche. Ab 1949 wieder unter deutscher Leitung, musste das Kino 1962 auf Anordnung der Feuerpolizei geschlossen werden, da die gesamte Konstruktion des Zuschauerraums aus Holz bestand. Es folgten Jahre der Diskussion um Abbruch, Straßenverbreiterung, Entwürfe für eine Gaststätte für die Zoobesucher, Aufbewahrung von Fossilien und vieles mehr. 1972 plädierte der Gemeinderat schließlich für den Abriss.

Von 1982 an kam jedoch eine Reihe glücklicher Umstände zusammen: Die Bausubstanz erwies sich als viel besser als bisher angenommen und es fand sich ein Stückchen der originalen Bemalung. Im Städtischen Museum in Ludwigsburg wurden zudem die originalen, meisterhaft gezeichneten Dekorationsentwürfe von Zanth entdeckt und damit die baugeschichtliche, künstlerische Einmaligkeit dieses Theaters offenkundig. Außerdem suchte die „Staatliche Hochschule für Musik und darstellende Kunst“ seit Jahren nach einem Ort für eigene Aufführungen. Aus dieser Konstellation heraus trafen die Verantwortlichen mutige Entscheidungen. Die intensive Zusammenarbeit mit der Feuerwehr erbrachte Lösungen, die Holzkonstruktion erhalten zu können. Die Denkmalpflege erkannte den Wert und unterstützte die Wiederherstellung, das Staats- und Finanzministerium sorgten für die Finanzierung.

Der Baukörper erhielt wieder seine ursprüngliche äußere Gestalt und Farbigkeit. Nach vorsichtigem Abtragen der grauen Farbe erschien die Bemalung des Foyers fast unversehrt, die des Zuschauerraums, insbesondere an der Decke, reduziert. Sie entsprach jedoch exakt den Entwürfen Zanths. Die Restaurierung war relativ problemlos. Nur an der Decke und den Säulen des Zuschauerraums wurden die Reste gesichert und dann neu übermalt. Die Brüstungen der Ränge konnten nach den Entwurfszeichnungen Zanths für das königliche Theater komplettiert werden. Die wieder eingebaute runde Rückwand vervollständigte den ungewöhnlich reizvollen Raum. Eine einfache Bühnentechnik machte das Theater wieder bespielbar.

Zwei Sicherheitstreppenhäuser und zusätzliche Fluchtwege machten es möglich, die originale Holzkonstruktion zu erhalten. Zusammen mit der Restaurierung des Theaters entstand auf der Rückseite eine Gaststätte für die Besucher der Wilhelma. Im gemeinsamen Untergeschoss wurden Garderoben und die notwendigen Technikräume für das Theater untergebracht.

So ist dieses einzigartige Theater aus dem Zauberschlaf erwacht und wird seit 1987 – viel intensiver als jemals gedacht – von der Hochschule und ihren Studenten zur Ausbildung und zur Freude des Publikums bespielt.

Text: Hans-Joachim Scholderer
Schlagwort: Stuttgart-Bad Cannstatt
Literaturhinweise:

Finanzministerium Baden-Württemberg (Hg.), Das Wilhelmatheater in Stuttgart-Bad Cannstatt: der Umbau und die Wiederherstellung des Wilhelmatheaters 1985-1987, Stuttgart 1987.

GND-Identifier: 5167035-5
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Joachim Scholderer, Wilhelmatheater, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/41ad00e1-f6b3-4a85-a6f0-0b8a4ff174cf/Wilhelmatheater.html