Die Alte Kanzlei wurde im 16. Jahrhundert in zwei Bauphasen 1542 bis 1544 und 1566 errichtet und blieb bis 1776 der Sitz der herzoglichen Verwaltung. Nach dem Wiederaufbau 1951/52 erhielt das Gebäude seine heutige Gestalt und wird heute in den oberen Stockwerken als Behördensitz genutzt.

Im Ensemble der Bauten um den heutigen Schillerplatz hat die Alte Kanzlei heute ihren festen Platz als kulinarischer Ort, der Gebäudename verweist jedoch auf die ursprüngliche Zweckbestimmung: Das Kanzleigebäude diente jahrhundertelang der herzoglichen Verwaltung. Dort ging Regierungshandeln in schriftliche Formen über, in den Amtsstuben wurden Privilegien, Vorschriften und Abrechnungen erstellt, in den Gewölben lagerten Urkunden, Lehenbücher und Akten. Bis 1776 waren dort die zentralen herzoglichen Regierungs- und Verwaltungsbehörden untergebracht. Der Name „Alte Kanzlei“ verfestigte sich erst nach dem Bau der Neuen Kanzlei, die 1838 in klassizistischer Form in der heutigen Königstraße errichtet wurde.

Das heutige Gebäude besteht aus mehreren Bauteilen. Der älteste Teil wurde unter Herzog Ulrich (1498-1550) zwischen 1542 und 1544 errichtet. Als ausführende Baumeister werden in den Quellen der fürstliche Baumeister Martin Vogler von Lienzingen (1536-1549) sowie Simon Werkmeister und Jörg Grawer genannt. Eine zentrale Rolle spielte der Kammerrat, Landschreiber und Hofregistrator Martin Nüttel. Ihm wurde im Frühjahr 1544 der Prozess gemacht, weil er beim Kanzleibau Geld unterschlagen haben soll. Aus diesen Prozessakten ergibt sich ein detaillierter Blick auf Bauplanung, Finanzierung und Ausführung des ersten Baus. Schon 1537 gab es erste Überlegungen, der Bau selbst wurde 1542 begonnen. Im Juni 1543 sprach Nüttel davon, dass der Bau „heuer unter das Dach“ gebracht werde und dann im kommenden Jahr, also 1544, nach einer Bauzeit von insgesamt drei Jahren fertiggestellt werden könnte.

Der Kammerrat gab auch einen ersten Raumplan vor: Im Erdgeschoß sollten Rentkammer und Landschreiberei untergebracht, im feuersicheren Gewölbe der Rentkammer die Lagerbücher und Schuldbriefe aufbewahrt werden; daran sollte sich eine Stube und ein weiteres Gewölbe für die Landschreiberei sowie die Rechenbank anschließen. Im ersten Stock sollte eine Bibliothek (liberei) Platz finden, die mit Kästen (Fächern) ausgestaltet werden sollte. Auf dem zweiten Boden, so Nüttel weiter, sei ein Leinwandhaus und ein Vorratslager vorgesehen. Ob diese Raumplanung tatsächlich auch umgesetzt wurde, ist unklar. Zumindest bei den Räumen im Erdgeschoss und im ersten Stock scheint das der Fall gewesen zu sein, denn sie wurden auch nach der Erweiterung und Aufstockung 1566 in dieser Funktion genutzt. Ob mit dem Leinwandhaus und dem Vorratslager im Obergeschoss an eine Art Markthalle zu denken ist, wie das aus anderen Städten bekannt ist, ist fraglich. Eher sollten darin nicht benötigte Sachen aus dem Schloss wie Kleider etc. ausgelagert werden. Kompetenzgerangel und Kostensteigerungen begleiteten das Vorhaben von Anfang an, ein erster Überschlag ging von 1000 Gulden aus, 1543 waren bereits über 3000 Gulden verbaut, zusätzliche Schätzungen gingen von Kosten von bis zu 6000 Gulden aus.

Schon 1566 reichte der ursprüngliche Bau nicht mehr aus, Herzog Christoph ließ ihn daher nach den Plänen von Aberlin Tretsch, seinem maßgebenden Baumeister, aufstocken und bis zum sogenannten Tunzhofer Tor in Richtung Prinzenbau verlängern. Der Ausbau wurde Silvester Berwart dem Jüngeren verdingt. Die Dachgliederung nahm die Struktur des Alten Schlosses auf, zum Schloss hin war das Gebäude mit einem bedeckten Gang verbunden. Der Baukörper erhielt dadurch die heutigen Ausmaße.

Herzog Friedrich ließ 1598 an der südöstlichen Ecke des Gebäudes einen Wasserturm errichten, der als dorische Säule gestaltet war und zur Wasserversorgung der Brunnen von Schloss und Garten dienen sollte. Eine Federzeichnung von 1663 von Wenzel Hollar lässt den ursprünglichen Zustand der Säule erkennen, die Merkurfigur auf der Spitze der Säule wurde erst im 19. Jahrhundert angebracht.

Ein verheerender Brand Ende Dezember 1683 beschädigte das Gebäude schwer. Er war in der Registratur der oberen Rentkammer ausgebrochen, Tausende von Akten wurde ein Raub der Flammen. Der herzogliche Administrator Karl Friedrich ließ durch Matthias Weiß das Gebäude in klassizistischer Form wieder aufbauen. Dies zog sich jedoch in die Länge, Plan und Kostenvoranschlag des Architekten datieren vom Dezember 1693. Ein Anbau aus dem Jahr 1715 verband schließlich die Alte Kanzlei und den Prinzenbau, ein Torbogen ermöglichte den Durchgang vom Schillerplatz zur heutigen Königstraße. Damit erhielt das Ensemble seine heutige Ausprägung.

Die Eingangsseite vom Schillerplatz her wird dominiert durch zwei Portale. Das rechte Portal stammt nach Ausweis des darin angebrachten Wappens noch aus der Zeit Herzog Ulrichs, über der Eingangstür ist das württembergische Wappen mit dem persönlichen Wahlspruch Herzog Ulrichs angebracht: V.D.M.I.E. (Verbum Domini Manet In Eternum). Das linke Portal wurde nach dem Brand 1683 maßgeblich umgestaltet. Nicht nur die Portale, sondern auch die gesamte Front wurden in ihrer baulichen Gestalt mehrmals verändert. 1708 ließ Johann Friedrich Nette, Architekt und Bauleiter am Ludwigsburger Schloss, die Fassade der Alten Kanzlei mit Pilastern verblenden und barocke Umgestaltungen vornehmen. Ihre heutige Gestalt fanden die beiden Portale erst 1879 im Zuge von umfangreichen Restaurierungsarbeiten unter König Karl (1823-1891). Der Baumeister Alexander Tritschler glich beide Portale stilmäßig an, dabei wurden unterhalb des Aufsatzes jeweils lateinische Inschriften angebracht, die über Baugeschichte und Renovierung informieren.

Mehrere erhaltene Risse und Pläne illustrieren die sich wandelnde Nutzung des Gebäudes: Von Heinrich Schickhardt stammen Pläne zum Umbau der Registratur sowie zum Einbau eines Ofens in den Jahren 1629/30. 1741 fertigte Johann Georg Zith mehrere Risse, die zeigen, wie die Alte Kanzlei kurz nach der Rückkehr des Hofes von Ludwigsburg nach Stuttgart genutzt wurde. Aus dem Dezember 1808 wiederum stammt der bekannte „Grundriß des ehemaligen Canzley-Gebäudes“ vom damaligen Hofbaumeister Nikolaus von Thouret. Der Plan ist bemerkenswert, weil er nach dem Auszug der Verwaltung die Nachnutzung des Gebäudes erhellt: Der Bildhauer Johann Heinrich von Dannecker hatte sein Atelier im Erdgeschoss, Thouret selbst belegte eine Zeichenstube im ersten Stock, weitere Künstler aus dem akademischen Zirkel, der nach der Schließung der Hohen Karlsschule 1794 weiter lose Verbindung hielt, nutzten die ehemaligen Verwaltungsräume. Nur im dritten Stock befanden sich noch Registraturen, da die Zimmer nicht heizbar waren. Die umfassende Dokumentation erstaunt auch deswegen, weil die Alte Kanzlei in der städtebaulichen Konzeption von Thouret eigentlich zum Abbruch vorgesehen war. Diese Konzeption wurde nicht umgesetzt, der Abbruch unterblieb – anders als beim Renaissancebau des Neuen Lusthauses, das 1844/45 nach der umfangreichen Bauaufnahme durch Carl Friedrich Beisbarth abgebrochen wurde.

Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Alte Kanzlei wie viele andere Gebäude schwere Kriegsschäden. In den Jahren 1951/52 erfolgte der Wiederaufbau und rasch die Nutzung durch verschiedene Behörden, die oberen Stockwerke werden heute durch das Justizministerium belegt. Im Erdgeschoss befinden sich seit 1865 die Hofapotheke und der eingangs angesprochene Gastronomiebetrieb, mit dem die Alte Kanzlei heute gemeinhin verbunden wird.

Text: Erwin Frauenknecht
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Hauptstaatsarchiv A 17 Bü 33.
Hauptstaatsarchiv A 17 Bü 51.
Hauptstaatsarchiv A 202 Bü 25.
Hauptstaatsarchiv A 248 Bü 1042.
Hauptstaatsarchiv N 205 Nr. 2.

Literaturhinweise:

Werner Fleischhauer, Renaissance im Herzogtum Württemberg, Stuttgart 1971.
Werner Fleischhauer, Barock im Herzogtum Württemberg, Stuttgart 21981.
Gustav Wais, Alt-Stuttgart. Die ältesten Bauten, Ansichten und Stadtpläne bis 1800, Stuttgart 1941.

Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Erwin Frauenknecht, Alte Kanzlei, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/3eeb86e3-7ea6-4c83-bc2b-2d343a996f77/Alte_Kanzlei.html