Germania-Denkmal und Mahnmal auf dem Fangelsbachfriedhof
Das 1874 eingeweihte Germania-Denkmal auf dem Fangelsbachfriedhof diente dem Gefallenengedenken, war jedoch auch ein Symbol des deutschen Sieges im Krieg gegen Frankreich von 1870/71. Nach der Zerstörung des Denkmals 1944 trat an seine Stelle ein Mahnmal zum Gedenken an die Opfer des Krieges von 1870/71 sowie der beiden Weltkriege.

Während des Stuttgarter Friedensfests vom 7. März 1871 fasste ein kleiner Kreis einflussreicher, namentlich nicht bekannter Personen den Plan, für die im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gefallenen 124 Soldaten aus verschiedenen Staaten des Deutschen Reiches, die auf dem Fangelsbachfriedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, ein gemeinsames Grabdenkmal zu errichten. Das Denkmalprojekt fand die Zustimmung und die Unterstützung König Karls (1823-1891) und Königin Olgas (1822-1892). Zur Sicherstellung der Finanzierung, die durch Spenden erfolgen sollte, sowie zur Organisation der künstlerischen Ausführung wurde ein Komitee gebildet.

Dem Ausschuss gehörten zahlreiche hochgestellte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an, darunter enge Vertrauenspersonen des königlichen Hauses. Mitglieder waren unter anderem General Prinz Hermann von Sachsen-Weimar-Eisenach (1825-1901), ehemaliger Kommandeur der württembergischen Reiterdivision, Generaladjutant Wilhelm von Spitzemberg (1825-1888), der Intimus von König Karl, Oberststallmeister Graf Wilhelm von Taubenheim (1805-1894), Graf Adolf von Taube (1810-1889), der im Deutsch-Französischen Krieg zwei Söhne verloren hatte, sowie Generalmajor Theodor von Wundt (1825-1883), seit 1874 Kriegsminister des Königreichs Württemberg. Den Vorsitz im Ausschuss hatte der Stuttgarter Oberbürgermeister Heinrich von Sick (1822-1881) inne, der ab 1872 als Innenminister Württembergs amtierte.

Es gelang dem Komitee mit Unterstützung König Karls, Spenden in Höhe von 15.000 Gulden für das geplante Denkmal einzuwerben. Die größte Einzelsumme – 3.000 Gulden – stellte das Kriegsministerium auf Veranlassung des Königs zur Verfügung; zudem stiftete das Ministerium für die Denkmalerrichtung erforderliches Metall aus der Beute im Deutsch-Französischen Krieg. Über 1.700 Gulden erbrachte eine Sammlung bei den württembergischen Truppen im Felde. Auch das württembergische Königshaus und Kaiser Wilhelm I. zählten zu den Spendern für das Denkmal.

Für die Konzeption und Ausführung der Bauarbeiten konnten einheimische Kunstschaffende gewonnen werden. Der Gesamtentwurf des Germania-Denkmals stammt von dem Architekten und Professor am Stuttgarter Polytechnikum Adolf Gnauth (1840-1884), einem Vertreter der Neorenaissance. Gnauth übernahm auch die Leitung der Bauarbeiten. Der Bildhauer Ernst Rau (1839-1875) entwarf das Modell der Germania, der Bildhauer Friedrich Specht (1839-1909) modellierte den Schild und einen Löwenkopf. Die Ausführung der Gussarbeiten oblag dem Erzgießer Wilhelm Pelargus (1820-1901), die Steinmetzarbeiten besorgte Ernst Macholdt (1814-1879).

Das im Herbst 1874 fertiggestellte Denkmal wies eine Höhe von etwa 10 Metern auf. Es ruhte auf einem rechteckigen Unterbau. Dieser wurde von vier Postamenten flankiert, auf denen jeweils ein Bronzekandelaber aus Kanonenmetall aufgesetzt war. Zwischen den Postamenten waren auf den vier Seiten insgesamt zehn Erztafeln angebracht. Diese enthielten die Namen der 124 Soldaten, die auf dem Fangelsbachfriedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, darüber hinaus auch die Namen von 14 Soldaten, die auf dem Hoppenlaufriedhof beerdigt worden waren. Bei den Toten handelte es sich um 63 Württemberger, 75 Soldaten stammten aus anderen Bundesstaaten des Deutschen Reiches. Auf dem Unterbau erhob sich auf einem Sockel ein Sarkophag, der einen Löwenkopf sowie an Kopf- und Fußende die Jahreszahlen 1870 und 1871 zeigte. Gekrönt wurde das Denkmal von einer lorbeerbekränzten, in antikes Gewand gehüllten Germania-Figur, die zwei weitere Lorbeerkränze in Händen hielt. Die Germania war so aufgestellt, dass sie zur Stadtmitte Stuttgarts blickte.

Die Figur der Germania, die bereits seit dem Mittelalter zur Personifikation „Teutschlands“ gedient hatte, war im frühen 19. Jahrhundert zunehmend populär und spätestens seit der Revolution von 1848/49 in progressiven Kreisen zu einem Symbol für den angestrebten deutschen Nationalstaat geworden. In Lorenz Clasens (1812-1899) bekanntem Ölgemälde „Germania auf der Wacht am Rhein“ von 1860 personifizierte eine walkürenhaft porträtierte Germania erstmals das wehrhafte Deutschland. Die Traditionslinie, in der die Figur militärische Stärke verkörperte, gewann in den Jahren nach der Gründung des Deutschen Reiches an Bedeutung. Doch wurde die Germania auch als trauernde und als mütterliche Gestalt dargestellt. Charakteristisch für die Stuttgarter Germania-Figur war die bewusst antikisierende Gestaltung, die dem von Adolf Gnauth propagierten Neoklassizismus entsprach.

Die Errichtung des Stuttgarter Germania-Denkmals auf einem Friedhof sowie die spezifische Konzeption der Erinnerungsstätte mit einer lorbeerbekränzten mythischen Frauenfigur im Zentrum verknüpften programmatisch das Gefallenengedenken mit der Erinnerung an den militärischen Sieg im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Die Denkmalgestaltung bildet auf diese Weise den zeitgenössischen politischen Diskurs ab. Diesem zufolge waren es gerade die württembergischen Gefallenen und Versehrten, die mit ihrem persönlichen Opfer die Teilhabe Württembergs an der Gründung des Deutschen Reiches ermöglicht hatten.

Das Kriegerdenkmal auf dem Fangelsbachfriedhof wurde am 2. Dezember 1874 eingeweiht, dem vierten Jahrestag der von den württembergischen Truppen erfolgreich geschlagenen Schlacht von Champigny vor den Toren von Paris. Die Übergabe der Erinnerungsstätte an die Öffentlichkeit erfolgte im Rahmen eines Festaktes. Dieser war in ein ganztägiges Festprogramm eingebunden, das zur Feier des zurückliegenden Schlachtenerfolgs organisiert worden war. Nachdem vormittags vor dem Residenzschloss eine militärische Fahnenweihe stattgefunden hatte, versammelte sich um 14 Uhr auf dem Friedhof eine hochrangige Festgesellschaft. Anwesend waren neben König Karl unter anderem Innenminister Sick, die diplomatischen Vertreter Preußens, Bayerns und Hessens, der Kommandierende General des württembergischen Armeekorps Emil von Schwarzkoppen (1810-1878) sowie Oberbürgermeister Dr. Theophil Friedrich Hack (1843-1911). In seiner Ansprache hob Feldpropst und Prälat Ferdinand Gottlob Jakob Müller (1816-1897) sowohl die religiöse Dimension als auch die nationale Bedeutung des soldatischen Opfertods hervor. Das Kriegerdenkmal bezeichnete Müller als „ein Denkmal des Dankes für die Gefallenen und eine Stütze des Trostes für die Trauernden“. Gleichzeitig bilde es ein „Wahrzeichen für die Lebenden“, die im Falle einer Bedrohung der Einheit Deutschlands bereit sein sollten, das vor wenigen Jahren entstandene Reich zu verteidigen. Nach der Ansprache des Geistlichen verlas Innenminister Sick als Vorsitzender des Denkmalkomitees die Stiftungsurkunde. Den Abschluss der Feierstunde bildete die formelle Übergabe des Denkmals durch Sick an die durch Oberbürgermeister Dr. Hack vertretene Stadt Stuttgart „für alle Zeit“.

Nach seiner Aufstellung Ende 1874 bildete das Germania-Denkmal auf dem Fangelsbachfriedhof den Ausgangspunkt für die jährlich am 2. September begangenen Feierlichkeiten am Sedantag. Wie das Denkmal auf dem Friedhof selbst verknüpfte das in Stuttgart praktizierte Gedenken an die Kapitulation der kaiserlich-französischen Armee in der Festung Sedan Anfang September 1870 Totenmemoria und nationale Sinnstiftung. Das Festprogramm begann in Stuttgart jeweils am 1. September mit dem Gefallenengedenken beim Kriegerdenkmal auf dem Fangelsbachfriedhof. Der Abend des 1. September und der eigentliche Sedantag trugen dann den Charakter einer Siegesfeier. Der Sedantag erlangte in Württemberg zunächst durchaus Popularität, verlor jedoch bereits seit den ausgehenden 1870er Jahren an Bedeutung.

Das Germania-Denkmal auf dem Fangelsbachfriedhof wurde im Juli 1944 durch eine Fliegerbombe stark zerstört und später abgetragen. An seiner Stelle befindet sich seit 1963 ein von dem Kunstbildhauer Hubert Albert Zimmermann (1908-1977) gestaltetes Ehrenmal für die Gefallenen der Kriege von 1870/71, 1914-1918 und 1939-1945. Dieses Ehrenmal weist den Charakter eines Mahnmals auf. Der Block aus Schwarzwaldgranit enthält ein Relief, das menschliches Leid und Tod visualisiert. Sieben erhaltene und vor der Gedenkstätte auf Liegesteinen platzierte Bronzeplatten des früheren Kriegerdenkmals mit den Namen von Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges bilden einen Teil der neu gestalteten Denkmalanlage.

Das Ehren- bzw. Mahnmal wurde am 4. Dezember 1963 mit einem Festakt eingeweiht, der in bewusster Abgrenzung zu der Einweihungsfeier von 1874 gestaltet war. Neben einem Ehrenzug deutscher Luftlandetruppen nahm an der Übergabe des Denkmals auch eine Abordnung französischer Panzerjäger teil. In ihren Ansprachen betonten der Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Arnulf Klett (1905-1974) und der französische Generalkonsul Robert Faure die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft, für die wenige Monate zuvor durch den Abschluss des Élysée-Vertrags staatsrechtliche Grundlagen geschaffen worden waren.

Text: Wolfgang Mährle
Schlagwort: Stuttgart-Süd
Quellenhinweise:

Schwäbischer Merkur, 4. Dezember 1874. https://digital.wlb-stuttgart.de/index.php?id=6&tx_dlf%5Bid%5D=65341&tx_dlf%5Bpage%5D=1

Literaturhinweise:

Nation im Siegesrausch. Württemberg und die Gründung des Deutschen Reiches 1870/71, hg. und bearb. von Wolfgang Mährle, Stuttgart 2020, S. 363 f.
Friedemann Schmoll, Verewigte Nation. Studien zur Erinnerungskultur von Reich und Einzelstaat im württembergischen Denkmalkult des 19. Jahrhunderts (Stuttgarter Studien, Bd. 8), Tübingen u. a. 1995, S. 322-330 u. 386-387.
Hermann Ziegler, Friedhöfe in Stuttgart, Bd. 5: Fangelsbach-Friedhof, Stuttgart 1994, S. 30-49.

Publiziert am: 31.10.2024
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Mährle, Germania-Denkmal und Mahnmal auf dem Fangelsbachfriedhof, publiziert am 31.10.2024 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/357b7461-bfa4-434a-aaa8-f1238aaec804/Germania-Denkmal_und_Mahnmal.html