Der Künstler Oskar Schlemmer verbrachte seine Kindheit und seine Studienzeit in Stuttgart und kehrte auch später regelmäßig dorthin zurück. Als Lehrer am Bauhaus in Weimar beeinflusste er die Entwicklung der Klassischen Moderne entscheidend mit.

Das schlichte Haus, in dem Oskar Schlemmer als jüngster von sechs Geschwistern am 4. September 1888 geboren wurde, steht immer noch in der Stuttgarter Altstadt, Gerberstraße Nr. 5. Dort wohnte die Familie im Hinterhaus. Als er elf Jahre alt war, nahm ihn seine verheiratete Schwester Wilhelmine (Wilma) Morgenstern in die Obhut ihrer Familie nach Göppingen, wo er das Realgymnasium besuchte und sich als gelehriger, künstlerisch hoch talentierter Schüler erwies.

Als 1902 Oskars Vater im Alter von 69 Jahren starb, boten ihm die zum Teil sehr viel älteren Geschwister Schutz und Unterstützung. Obwohl er Primus war in seiner Klasse, musste er das Göppinger Realgymnasium vor dem Abschluss des „Einjährigen“ verlassen, um baldmöglichst einen Beruf zu erlernen. Beraten von seinem Schwager Morgenstern, der ihm ein „Baufach“ zu ergreifen empfahl, wurde für ihn eine gute Kombination von Möbelgestaltung und Zeichenkunst gefunden. Die florierende „G. Wölfel – Kunstanstalt für Intarsien“ in Stuttgart wollte den 16-Jährigen in die Lehre nehmen und zum Intarsienzeichner ausbilden. Schon bald durfte er an einem großen, von dem bekannten Jugendstilkünstler Hans Christiansen entworfenen Intarsienbild mitarbeiten, das in allegorischer Weise „Die Verbrüderung von Europa und Amerika“ darstellte und prompt auf der Weltausstellung in St. Louis/Illinois mit einer Goldmedaille prämiert wurde.

Am Ende seiner Lehre, 1905, fasste er in einer Beilage zu einem Brief in knappen Worten zusammen, was er gelernt hatte: „Einfacher Umriss. Gestalten aus dem Material heraus. Schönheit der Holztöne, natürliche, einheitliche, differenzierte Skala der Hölzer = ideeller Gewinn.!“ Für seine spätere Berufung als Meister am Bauhaus in Weimar war die Kenntnis der Arbeitsprozesse bei den Einlegearbeiten äußerst förderlich.
 
Vorläufig wollte er ein akademisches Kunststudium absolvieren, wozu ihm ein Stipendium die Möglichkeit verschaffte. So konnte sich der 18-Jährige im Todesjahr seiner Mutter 1906 mit der Freude über den ersehnten Akademiebesuch in der vormaligen „Kgl. Kunstschule“ trösten. Sie hieß seit 1901 offiziell „Akademie der bildenden Künste“ und war in der Urbanstraße 37-39 neben der Gemäldegalerie untergebracht.

In den ersten Semestern war der Unterricht reglementiert: Zwei Jahre Zeichenschule bei Robert Poetzelberger und Christian Speyer und zwei Jahre Malklasse bei Christian Landenberger, dann erst möglicher Aufstieg in die Meisterklasse (je nach Leistung) mit dem Anrecht auf eines der begehrten Studios im Atelierhaus Untere Anlagen. Schlemmer wurde frühestens ab Herbst 1912 Meisterschüler bei Adolf Hölzel und bekam eines der geräumigen Ateliers in dem um 1901 erbauten, von König Wilhelm II. gestifteten Atelierhaus, das heute nicht mehr erhalten ist.

Am 5. Mai 1913 eröffnete Schlemmer in den Räumen der Buchbinderei seines 19 Jahre älteren Bruders Willy Schlemmer in der Neckarstraße 72 den „Neuen Kunstsalon am Neckartor“ nach dem Beispiel des Pariser „Salon des Independants“: Wie beim französischen Vorbild war Protest hier das Motiv, nachdem die Jury der gleichzeitigen „Großen Kunstausstellung Stuttgart“ im Kunstgebäude Werke von Willi Baumeister, Eberhard Stenner und Oskar Schlemmer nicht berücksichtigt hatte.

Allerdings hatte er die Genugtuung, dass seine „Landschaft mit weißem Haus“ von 1911 im „Schwäbischen Merkur“ lobend erwähnt und von der Galerie der Stadt Stuttgart angekauft wurde. So war der „Neue Salon“ anfangs so etwas wie eine Selbsthilfegalerie, doch in der Folgezeit zeigte Schlemmer mit Leihgaben auswärtiger Galerien auch zahlreiche Künstler der europäischen Avantgarde wie Wassily Kandinsky, Oskar Kokoschka, Marc Chagall, Paul Klee, Franz Marc und Gabriele Münter und moderne Franzosen wie Georges Braque, Juan Gris, André Lhote oder Auguste Herbin.

Nach vier Jahren 1910/11 legte Schlemmer einen Aufenthalt in Berlin ein, wo er in Galerien wie der von Paul Cassirer oder Herwarth Waldens „Sturm“ die Avantgardeströmungen anderer Länder kennenlernte. Er malte nun kubistisch angehauchte Landschaften und Architekturmotive – eher kleine Formate, aber sehr gut durchkomponiert. Auch sein Berliner Selbstporträt von 1912 ist eine kubistisch vereinfachte Typisierung seines Kopfes.

Schlemmer war ein Multitalent, das sich ungern an vorgegebene Richtlinien hielt. Vielmehr interessierte er sich brennend nicht nur für sein bildnerisches Gestaltungsfeld, sondern ebenso für Theater, Tanz und Musik. Angeregt durch seine Freundschaft mit dem Tänzerpaar Elsa Hötzel und Albert Burger, Solisten des Württembergischen Landestheaters, war er von früh an ein begeisterter Ballettfan. So notierte er im Dezember 1912 das Libretto für ein erträumtes Ballett, das „Die Entwicklung vom Alten zum Neuen Tanz“ darstellen sollte. Also eine Art symbolistischer Bühnenkomposition, die an Wassiliy Kandinskys Entwurf „Der Gelbe Klang“ in dem 1912 von Kandinsky und Franz Marc herausgegebenen Almanach „Der Blaue Reiter“ erinnert. In beiden Fällen wird eine synchrone Farbe-Klang-Abfolge beschrieben, die man heute als audiovisuelle Performance bezeichnen würde.

1914 wurden alle Pläne durchkreuzt von der am 1. August verkündeten Mobilmachung. Schlemmer meldete sich zusammen mit seinem Studienfreund Hermann Stenner am 11. August als Freiwilliger. Beide gehörten dann zur Infanterie im württembergischen „Regiment der Königin Olga“. Während Schlemmer sich auf seiner Fahrt mit dem Regiment nach Belgien eine schwere Fußverletzung zuzog und ins Lazarett nach Aachen kam, fiel sein Studienfreund Stenner schon Ende 1914 mit 23 Jahren an der Ostfront.

1916 erhielt Schlemmer, der zu diesem Zeitpunkt bei einer Aufklärungsabteilung im Elsass stationiert war, von seinem Obersten den Auftrag, für ein Wohltätigkeitsfest im Stuttgarter Stadtgartensaal zugunsten Hinterbliebener seines Grenadierregiments Nr. 119 „Königin Olga“ eine Tanz-Einlage aus seinem noch unbenannten Ballett vorzuführen. Diese von dem Tänzerpaar Hötzel und Burger bravourös aufgeführte Einlage – drei Auftritte aus der 1. Reihe des späteren Triadischen Balletts mit Musik des Zeitgenossen Enrico Bossi – erhielt begeisterten Beifall. Sogar die Presse war entzückt. So schrieb der Schwäbischen Merkur: „Es wurde getanzt, doch diesmal nicht nach der Schablone. Einen kubistischen Scherz, zu dem der Futurist Schlemmer die Idee gegeben, führten Elsa Hötzel und Albert Burger auf lustigste Art durch. Zwei Puppenfiguren in grotesker Manier, dazu drei hübsche Klavierstücke von Bossi. Das ist schon Etwas, was einen ganzen Abend auf höhere Stufe zu heben vermag.“

1918 kam Schlemmer aus Berlin, wo er an einem Offizierskurs teilnahm und die Revolution hautnah erlebt hatte, wieder nach Stuttgart zurück und bezog zunächst wieder sein Atelier in den Unteren Anlagen (nicht erhalten). Dort begann er zu malen und Reliefplastiken aus farbig bearbeitetem Gips mit Holzteilen oder Glaselementen zu gestalten. Schon vor ihrer Rückkehr hatten Baumeister und Schlemmer im Juni 1918 eine Doppelausstellung im Kunsthaus Schaller, die allgemein Aufsehen erregte. Sie führte dazu, dass das schwäbische Duo nach Berlin, Dresden und Hagen weiterempfohlen wurde.

Doch im Mai 1920 gab Schlemmer in Stuttgart sein begehrtes Meisterschüler-Atelier auf, da er inzwischen in Cannstatt ein ziemlich großes Rückgebäude von der König-Karl-Straße 17 angemietet hatte, wo schon seit einem halben Jahr der Bruder Carl (Casca) mit Helena Tutein und Elsa Hötzel an der schwierigen Fertigung der 18 aus starren Materialien gebildeten „Raumplastischen Kostüme“ für das „Triadische Ballett“ nähten, hämmerten, nieteten oder mit Pappmaschee die Masken modellierten. All dies wurde erschwert durch die Materialknappheit nach dem Krieg, als auch noch keine Reißverschlüsse verfügbar waren, so dass stattdessen überall Knöpfe und Ösen angenäht werden mussten.

Im Juli 1920 folgte der 32-jährige Schlemmer der Einladung von Walter Gropius nach Weimar, um das im Vorjahr gegründete Bauhaus zu besichtigen, wo man ihn auch schon als einer der ihren begrüßte, obwohl er den 3-Jahres-Vertrag erst Ende Dezember unterzeichnete. Damit begann für ihn ein neuer arbeitsreicher, vielseitiger und ebenso erlebnisreicher wie erfolgreicher Lebensabschnitt von neun Jahren Bauhaus in Weimar und Dessau.

Im Oktober 1920 heiratete Schlemmer seine Mannheimer Verlobte Helena Tutein (genannt Tut), die als einzige Frau damals ein Studium der Nationalökonomie absolviert hatte. Sie stammte aus einer Hugenottenfamilie und ihr Bruder war Kapellmeister, der später oft herbeigerufen wurde, wenn es um Musikbegleitung oder andere musikalische Fragen ging. Das Paar hatte sich in der Stuttgarter Dependance der Waschmittelfirma Marke „Hix“ kennengelernt, die von Fräulein Tut verwaltet wurde, da sie ihrem Onkel gehörte. Durch ihr unternehmerisches Wesen florierte „das Hix“ nicht nur geschäftlich, sondern auch gesellschaftlich, denn in dieser Nachkriegszeit wurde „das Hix“ zum geflügelten Kennwort für den „hipsten“ Treffpunkt, wo man an Wochenenden mit Freunden zum Feiern zusammenkam und Kostümfeste mit Tanz veranstaltete.

Schlemmer hielt auch als Lehrer am Bauhaus von Weimar und später Dessau aus weiter Kontakt zu Stuttgart, wo er sich in den Ferien oft wieder einfand. 1929 wurde er an die Kunstakademie in Breslau berufen. Nach deren Schließung 1932 wurde er Dozent an den Berliner Vereinigten Staatsschulen für Kunst und Kunstgewerbe. Nachdem Schlemmer dort von nationalsozialistischen Studenten massiv diffamiert worden war, wurde er beurlaubt und im Mai 1933 schließlich fristlos entlassen. Seine Werke galten in der Zeit des Nationalsozialismus als „entartet“. In Stuttgart war Anfang März 1933 eine Ausstellung seiner Werke im Kunstgebäude wegen einer Hetzkampagne für das Publikum geschlossen worden. 1940 schuf Schlemmer das Wandbild „Familie“ für den Stuttgarter Verleger Dieter Keller in dessen Wohnhaus am Knappenweg 31. Es wurde später abgenommen und befindet sich heute in der Staatsgalerie Stuttgart. Anfang der 1940er Jahre erkrankte Schlemmer schwer und starb 1943 nach mehreren Klinikaufenthalten in einem Baden-Badener Sanatorium. Er wurde auf dem Stuttgarter Waldfriedhof beerdigt.

Text: Karin von Maur
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Schwäbischer Merkur 08.12.1916, zitiert nach Dirk Scheper, Oskar Schlemmer – Das Triadische Ballett (Akademie der Künste Dokumentation 5), Berlin 1977, S. 7.

Literaturhinweise:

Karin von Maur, Oskar Schlemmer. Monographie und Œuvrekatalog der Gemälde, Aquarelle, Pastelle und Plastiken, 2 Bde., München 1979. 1979.
Karin von Maur, Lebensbilder aus Franken und Schwaben, hg. von Robert Uhland im Auftrag der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, 16. Band, Stuttgart 1986, S. 391-412.
Oskar Schlemmer, Visionen einer neuen Welt, München 2014.

GND-Identifier: 118608088
Publiziert am: 19.04.2018
Empfohlene Zitierweise:
Karin von Maur, Oskar Schlemmer (1888-1943), publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/31ed6bf6-7f93-49f6-9dfc-03fb1541e084/Oskar_Schlemmer_%281888-1943%29_.html