Die Kreuzkirche zählt zu den bedeutendsten Sakralbauten des Neuen Bauens in Süddeutschland. Durch die Verwendung der neuartigen Stahlkonstruktion schuf der Architekt Paul Trüdinger wahrscheinlich das erste Fensterband in der Kirchenbaukunst.

Es war ein langer Weg, ehe am 26. Oktober 1930 die Kreuzkirche (bis 1980 „Neue Kirche“) in Hedelfingen eingeweiht werden konnte. Von 1763 an hatte man immer wieder Versuche unternommen, die „Alte Kirche“ zu vergrößern, um der angewachsenen Gemeinde mehr Raum zu bieten. Keines der Vorhaben wurde in Angriff genommen. Endlich waren 1913 Pläne für einen Neubau spruchreif geworden, der die Alte Kirche ersetzen sollte. Dieses Projekt vereitelte der Erste Weltkrieg. Schließlich diskutierte man 1925 bis 1928 folgende Varianten: Umbau der Alten Kirche, Abriss der Alten Kirche und Neubau am gleichen Standort oder Erhalt der Alten Kirche und Neubau an anderer Stelle. Zu guter Letzt gelang es, im Juli 1928 ein geeignetes Areal für eine neue Kirche anzukaufen: das „Bopp'sche Anwesen“, unweit der Alten Kirche an der Esslinger Straße (heute Amstetter Straße) gelegen.

Der in Bregenz geborene Architekt Paul Trüdinger (1895-1961) hatte von 1924 bis zu seiner Ausreise in die Schweiz 1933 eine Bürogemeinschaft mit Hans Volkart (1895-1965) in Stuttgart. Sie waren seit 1926 am Planungsgeschehen in Hedelfingen beteiligt und lieferten einige Entwürfe zum Umbau der Alten Kirche. Nun beauftragte die Kirchengemeinde sie damit, einen Neubau auf dem Bopp`schen Areal zu konzipieren. Erste Skizzen legte das Büro Ende 1928 vor. Sie weisen zwar zeittypisch sachliche Züge auf, bleiben aber doch eher konventionell. Der kompakte Grundriss und die Anordnung der Räume überzeugten den Kirchengemeinderat. Aber Hans Seytter (1898-1964), Vertreter des einflussreichen „Vereins für christliche Kunst“, hatte formale und der für die Finanzierung des Vorhabens maßgebliche Oberkirchenrat finanzielle Bedenken. Letzterer legte schließlich ein Budget von 220.000 Reichsmark fest. Angesichts dieser verhältnismäßig bescheidenen Summe fürchtete der Kirchengemeinderat, man müsse das Projekt derartig reduzieren, dass der „Bau in seiner äußeren Erscheinung den kirchlichen Charakter nicht deutlich genug hervortreten“ ließe. Daraufhin folgten weitere Planvariationen.

1929 erschwerte die Weltwirtschaftskrise Bauvorhaben aller Art in ganz Deutschland. Im Hinblick auf knappe Finanzmittel beharrte der Oberkirchenrat auch für Hedelfingen auf der strikten Einhaltung des Budgets. Für die endgültige Planfassung zeichnete Paul Trüdinger nun alleine verantwortlich. Übereinstimmend mit dem Kirchengemeinderat wollte er am ursprünglichen Raumprogramm vollumfänglich festhalten und auch den Turm – trotz der finanziellen Widrigkeiten – nicht aufgeben. Daher musste er notwendige Einsparungen auf anderem Wege erzielen.

Unter diesem Druck wandte Trüdinger sich von der konventionellen Bauweise ab und entschied, eine Stahlskelettkonstruktion umzusetzen und sie mit Bimsbetonsteinen auszufachen; die Fertigung oblag dem Eisenwerk Gebrüder Wöhr, Unterkochen, und der Deutsche Heraklith AG, Simbach. Dies ermöglichte ihm, beim Material und durch die erhebliche Verkürzung der Bauzeit, Kosten einzusparen. Erst mit der neuen Konstruktionsmethode konnte Trüdinger das neuartige Raumbild und die damit einhergehende Außenarchitektur verwirklichen. Die „Neue Kirche“ erhielt damit eine herausragende Position unter den süddeutschen Kirchenbauten der Neuen Sachlichkeit.

Ende Juli 1929 stimmten alle Parteien den neuen Plänen Trüdingers zu. Das Unternehmen entwickelte sich rasant: Grundsteinlegung am 29. September, Fertigstellung der Stahlkonstruktion im November, Abschluss der Rohbauarbeiten im Januar 1930, Mitte September weitgehende Vollendung der Ausstattung. Nach knapp 14 Monaten konnte man am 26. Oktober 1930 die Einweihung der „Neuen Kirche“ begehen.

Das strenge und zugleich monumentale Erscheinungsbild der Kreuzkirche ist im Wesentlichen auf die Klarheit des Gesamtkonzepts und die deutliche Absetzung der einzelnen Bauvolumen voneinander zurückzuführen. Hierzu trägt der Kontrast zwischen aufrechten und lagernden Baukörpern wesentlich bei: die betont horizontale Ausrichtung des Kirchenschiffs mit Gemeindesaal im Gegensatz zur weithin sichtbaren Vertikalen des Turms, der noch heute einen deutlichen Akzent im Ortsbild setzt.

Das Gesamtkonzept geht vom Raumprogramm aus. Trüdinger gelang eine klare Trennung von „Sakralbereich“ und „Profanbereich“. Eine offene Vorhalle führt in einen Windfang, der sich in breiten Türen in den Gottesdienstraum öffnet. Dieser ist – trotz klarer Längsausrichtung – in den Seitenverhältnissen dem Quadrat, also dem Zentralbau, angenähert. Ein mächtiger, erhöhter, apsisförmiger Altarbereich bildet das Ziel des Kirchensaals. Ihn umfängt ein abgeschlossener „Umgang“, eine Art „Raumschale“. In diesen integrierte der Architekt u.a. mittig die Orgel, die nur durch eine Gitterwand von der Apsis abgetrennt war. Über dem Windfang und dem Eingangsbereich ist die weit vorkragende Empore angeordnet.

Der axialsymmetrische Grundriss des „Sakralbereichs“ spiegelt sich auch im Raumbild wider: großzügig, klar, monumental. Der Kirchenraum besitzt einen basilikalen Querschnitt, bei dem jedoch die trennenden Stützen zu den „Seitenschiffen“ entfallen. Dies konnte nur mithilfe der Stahlkonstruktion gelingen. So konnte der Architekt den damals modernen evangelischen Einheitsraum verwirklichen. „Eine billige [kostengünstige] Ueberspannung des weitgespannten, stützenlosen Raumes“ gab Trüdinger selbst folgerichtig auch als Hauptargument für die Anwendung dieser Konstruktionsweise an.

Die knapp einen Meter messende Erhöhung des „Kirchenmittelteils“, so Trüdinger, nutzte er, um ein durchlaufendes Fensterband einzusetzen. Nach Innen schuf Walter Kohler (1903-1945) eine farbige Kunstverglasung mit einem Spruch aus Epheser 4, 4-6: „Ein Leib und ein Geist, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über euch allen.“ In bester evangelischer Tradition wird hier das Wort zum Verkündigungsmedium. Nach außen schützt das Kunstwerk eine Einfachverglasung vor der Witterung. Im so entstandenen Zwischenraum stützen filigrane, kaum wahrnehmbare Stahlträger den erhöhten Mittelteil der Decke. Dadurch scheint sie über dem Raum zu schweben. Sehr wahrscheinlich ist das Hedelfinger Fensterband in der Zeit um 1930 im Bereich des Sakralbaus einzigartig.

Die eigentliche Belichtung erfolgt jedoch über ein großzügig bemessenes Fenster auf der Südostseite. Ein weiteres großes Fenster erhellt den Raum von der Empore aus. Bei beiden stammte die Kunstverglasung ursprünglich von Rudolf Yelin (1900-1991). Sie wurde im Krieg zerstört. Auch die Verglasung des Fensterbandes war schwer beschädigt. Nach dem Krieg beauftragte man Wolf-Dieter Kohler (1928-1985), die drei Fenster zu renovieren. Das Fensterband seines Vaters rekonstruierte er, während er für die beiden anderen Fenster eigene Entwürfe umsetzte.

Die übrige Ausstattung des Gottesdienstraums ist erhalten. Alle Holzeinbauten unterliegen einem strengen, geometrischen Muster im Hell-Dunkel-Kontrast. Ziel des Altarraums mit Ambo, Altar und Tauftisch ist ein mächtiges dunkles Holzkreuz, das in die Wand eingelassen ist. Es ist von einem hellen Holzgitter eingefasst, hinter dem sich noch die Pfeifen der ursprünglichen Orgel befinden. In den 1960er Jahren wurde das Instrument selbst durch eine Orgel auf der Empore ersetzt.

Nordwestlich schloss Trüdinger an den „Sakralbereich“ den „Profanbereich“ an. Wichtigster Raum ist hier der Gemeindesaal, den man sowohl separat nutzen als auch bei Besucherandrang zum Kirchenraum öffnen wollte. Daher fügte Trüdinger eine „stützenlose“ Faltwand ein, deren enorme Breite allein durch die Stahlkonstruktion möglich wurde.

Trüdinger rechtfertigte den lange umstrittenen Turm auch damit, dass er hier neben dem Glockenraum eines der Konfirmandenzimmer und ein Sitzungszimmer für den Kirchengemeinderat unterbrachte. Wie im evangelischen Kirchenbau nach 1900 üblich, sollten die Kirchengebäude außer dem Gottesdienstraum auch diese Räumlichkeiten für das Gemeindeleben umfassen; in Hedelfingen auch ein Lesezimmer, eine Teeküche oder etwa Toiletten.

Das Äußere der Kreuzkirche charakterisierte Trüdinger treffend als getreues Abbild des Inneren, „ohne Zutaten und ohne falschen Schein“. Das Erscheinungsbild der Kirche spiegelt Grundriss und Raumbild wider. Trüdinger „ummantelte“ gleichsam jeden Raum, sodass er sich plastisch als einfacher stereometrischer Körper abzeichnete. Damit folgte er Konzepten des Neuen Bauens, die in den 1920er Jahren von Architekten perfektioniert wurden, die dem Bauhaus nahestanden: Aus Raumprogramm und Grundriss folgerten die Fassaden.

Bei der Betrachtung des Außenbaus wird zudem deutlich, dass Trüdinger die Architektur der Kreuzkirche sehr weit dem „weltlichen Bauen“ angenähert hat; ein Phänomen, das den Sakralbau des sachlichen Neuen Bauens ganz allgemein auszeichnet. Die wuchtige Apsis und der Turm mit dem markanten Kreuz sind jedoch tradierte Zeichen von Kirchenarchitektur und charakterisieren die Kreuzkirche als Sakralbau.

Was inspirierte Trüdinger, um mit der herkömmlichen Bauweise und dem konservativen Erscheinungsbild der ersten Entwürfe des Büros Volkart und Trüdinger derart radikal brechen zu können? 1927 hatte die Werkbundausstellung in Stuttgart mit der Weißenhofsiedlung Aufsehen erregt. Experimentelles Bauen konnte Trüdinger also vor Ort studieren. In der Sakralbaukunst ging Otto Bartnings (1883-1959) Stahlskelettkirche auf der Kölner Pressa-Ausstellung 1928 der Kreuzkirche voraus und war sicher ein Vorbild. Der Theologe Paul Barthe wandte sich 1928/29 in seiner Publikation „Kirche und Kunst“ gegen den reinen Funktionalismus und forderte, dass bei einem evangelischen Kirchenraum nicht nur praktische Bedürfnisse zu berücksichtigen seien. Auch im Einheitsraum müsse man den als „Gnadenmittelstätte“ bezeichneten Altarraum als inhaltlich zentralen Bezugspunkt herausheben. Paul Trüdinger war mit seiner „Neuen Kirche“ also sowohl in technischer als auch in ästhetischer und theologisch-liturgischer Hinsicht auf der Höhe der Zeit.

Text: Michael Wenger
Schlagwort: Stuttgart-Hedelfingen
Literaturhinweise:

Kreuzkirche Hedelfingen 1930-1981, Stuttgart 1981.
Michael Wenger, Evangelische Kirchen in Stuttgart-Hedelfingen, München/Berlin 2005.

GND-Identifier: 7517620-8
Publiziert am: 08.09.2022
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wenger, Kreuzkirche Hedelfingen, publiziert am 08.09.2022 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/24f8e862-2109-49c5-88de-544c9477fae3/Kreuzkirche_Hedelfingen.html