Eugen Bolz war der bedeutendste Politiker in Südwestdeutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der einzige Regierungschef der Weimarer Republik, der sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagierte und dafür hingerichtet wurde.

Eugen Bolz war kein Sohn der Stadt, verbrachte aber die politisch wichtigsten Jahre seines Lebens in Stuttgart. Zunächst lebte er ab 1919 im Gebäude des Justizministeriums in der Karlstraße 1. Auch nach seinem Wechsel ins Innenministerium blieb er zunächst in seiner alten Wohnung, ehe er dann im Adressbuch von 1928 in der Relenbergstraße 35 erschien. 1932 zog er mit seiner Familie in die Villa am Kriegsbergturm 44. Dort lebte er bis zu seiner Verhaftung 1944. Anfang 2017 musste die Villa vier Luxuseigentumswohnungen weichen, nachdem das Land und die Stadt Stuttgart kein Interesse am Erwerb des letzten Wohnsitzes von Eugen Bolz gezeigt hatten. Immerhin wurde der Neubau des Staatsministeriums neben der Villa Reitzenstein Ende 2015 nach Eugen Bolz benannt.

Eugen Bolz war ein gläubiger Katholik und überzeugter Parlamentarier. Bereits im Januar 1912 wurde er mit gerade einmal 31 Jahren in den Reichstag gewählt. Ende desselben Jahres schickten ihn die Zentrumswähler als ihren Vertreter auch in den württembergischen Landtag in Stuttgart. Allerdings konnte er zunächst keine große parlamentarische Aktivität entwickeln, da bereits am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach.

Das Ende des Krieges begrüßte er und die politischen Veränderungen im Gefolge der Niederlage schienen ihm eine logische Fortsetzung der bereits im Königreich eingeleiteten demokratischen Reformen.

Bolz machte in Württemberg sehr schnell Karriere. Bereits im Oktober 1919, noch nicht einmal 39 Jahre alt, wurde er Justizminister. Im Juni 1923 übernahm er das Innenressort, das er bis 1933 innehatte. Von 1928 bis 1933 war er noch zusätzlich Staatspräsident.

Die letzten Regierungsjahre von Eugen Bolz waren von der Weltwirtschaftskrise und ihren politischen Folgen überlagert. Deren tiefste Ursache sah er im Krieg mit seinen enormen Verlusten. Allerdings glaubte Bolz an die nüchterne Urteilskraft seiner Landsleute. Die Hoffnung in die Vernunft der Schwaben trog ihn nicht völlig. Bei den Reichstagswahlen vom September 1930 schnitt die NSDAP in Württemberg mit unter 10 % deutschlandweit am schlechtesten ab und auch in den folgenden Jahren verlief ihr Aufschwung sehr viel langsamer als in den meisten anderen Teilen des Reiches. Maßgeblichen Anteil daran hatte neben den stabilen politischen Verhältnissen auf Landes- und Gemeindeebene vor allem die weniger dramatisch verlaufende Wirtschaftskrise und die relativ geordneten Finanzen im Land.

Die Landtagswahlen vom April 1932 hatten jedoch auch in Württemberg deutliche Gewinne für die Nationalsozialisten gebracht, sodass die Regierung keine Mehrheit mehr hatte. Die Pläne, mit der NSDAP eine Regierung zu bilden, scheiterten. Das alte Kabinett blieb geschäftsführend im Amt und regierte weiter mit Notverordnungen.

Eugen Bolz war sich der Stabilität des württembergischen politischen Systems sicher, wie er am 25. Februar 1931 im Landtag ausführte: „Wir haben die Kraft, auch bei politischen Verwicklungen Herr zu bleiben, und wir haben den Willen dazu, die ganze staatliche Macht einzusetzen, wenn es nötig ist. [...] Ich habe die Überzeugung, daß weder die kommunistische Bewegung uns über den Haufen rennen wird, noch die nationalsozialistische. Auch letztere Bewegung wird von selbst wieder abflauen, wenn die Leute lang genug ihre Sprüche dem Volk vordoziert haben.“

Die Hoffnung von Eugen Bolz vom Februar 1931 bewahrheitete sich allerdings nicht völlig. Die nationalsozialistische Bewegung flaute nicht ab, sondern wuchs immer stärker an und die Kommunisten fanden ebenso neue Anhänger. Obwohl Württemberg von besonders heftigen Auseinandersetzungen und bewaffneten Kämpfen auf der Straße weitgehend verschont blieb, plädierte Bolz immer wieder vehement für einen starken Staat und ein Verbot aller parteipolitischen Kampfverbände von rechts und links.

Mit dem Sturz von Heinrich Brüning in Berlin und der Ernennung von Franz von Papen zum Reichskanzler im Juni 1932 begann das Ende der Weimarer Republik. Obwohl Eugen Bolz im August 1932 bei kurzen Koalitionssondierungen zwischen der NSDAP und dem Zentrum einen besseren Eindruck von Hitler hatte als bislang vermutet, behielt er in den letzten noch verbleibenden Monaten bis zur Kanzlerschaft Hitlers seinen Kurs bei und bekämpfte in den Reichstagswahlen vom 6. November 1932, aber auch noch am 5. März 1933 die Nationalsozialisten mit Nachdruck.

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933, zu der keinerlei Notwendigkeit bestanden hatte, nutzten die Nationalsozialisten ihre Chance und übernahmen innerhalb weniger Monate die komplette Macht in Deutschland. Der neue nationalsozialistische Ministerpräsident Wilhelm Murr wurde am 15. März vom Landtag in Stuttgart in sein Amt gewählt und die Regierung Bolz trat zurück.

Auf einem Parteitag der Christlich-Sozialen Schwesterpartei in Österreich am 5. Mai 1933 in Salzburg drängte Eugen Bolz seine Parteifreunde, aus den Erfahrungen in Deutschland zu lernen, „dann wird die Christlichsoziale Partei in Österreich auch in Zukunft herrschen“, wie der Schwäbische Merkur am 7. Mai 1933 berichtete.

Einige Wochen danach nahmen die Nationalsozialisten diese Aussage zum Anlass, um Eugen Bolz zu einer Vernehmung in das Hotel Silber, dem Sitz der Politischen Polizei in Stuttgart, einzubestellen. Gleichzeitig organisierten sie einen Massenprotest von „empörten Volksgenossinnen und Volksgenossen“ mit massiven Bedrohungen und Beschimpfungen vor dem Hotel Silber, sodass Eugen Bolz in „Schutzhaft“ genommen werden musste – so der NS-Kurier vom 19. Juni 1933. Anschließend wurde er für einige Wochen auf dem Hohenasperg eingesperrt.

Auch wenn Eugen Bolz nach relativ kurzer Zeit wieder aus der Haft freikam, hörten die Schikanen nicht auf. Obwohl er 14 Jahre württembergischer Minister und über 20 Jahre Reichs- und Landtagsabgeordneter gewesen war, wurde er mit der Pension eines Amtsrichters abgespeist – der Position, die er vor seinem Eintritt in die Politik innegehabt hatte.

Besonders betroffen machte ihn aber die Reaktion vieler Menschen in Stuttgart, die ihn bis 1933 sehr hofiert hatten, nun aber die Straßenseite wechselten, wenn sie seiner gewahr wurden, um ihn nicht in aller Öffentlichkeit grüßen zu müssen. Nur wenige politische Freunde, aber auch ehemalige politische Gegner wie Theodor Heuss oder Reinhold Maier trafen sich weiterhin mit ihm.

Nach 1933 hat sich Eugen Bolz wohlweislich kaum noch schriftlich geäußert, abgesehen von einer programmatischen Schrift von 1934 „Katholische Aktion und Politik“, die 2017 neu ediert wurde. So wissen wir wenig über seine konkreten Vorstellungen. 1936 schrieb er einmal: „Ich denke viel ans Leben und ans Sterben“, und zum Jahreswechsel 1937/38 berichtete er seiner Frau, dass ihm ausgelassene Freude zur Begrüßung eines neuen Jahres schon immer fremd gewesen sei, „um wie viel mehr heute, wo alles unsicher ist und dunkle Schicksale drohen“. Auch die großen Erfolge der deutschen Wehrmacht in den ersten beiden Kriegsjahren blendeten ihn nicht, wie in Max Millers Biografie nachzulesen ist.

Im März 1942 kam es zu ersten eingehenden Gesprächen zwischen Carl Friedrich Goerdeler, dem Kopf des zivilen Widerstandes gegen Hitler, der von Robert Bosch finanziert wurde, und Eugen Bolz in Stuttgart. 1944 erklärte sich Bolz bereit, in einem Kabinett Goerdeler, nach einem geglückten Attentat gegen Hitler, das Kultusministerium zu übernehmen, nachdem er ursprünglich für das Innenministerium vorgesehen gewesen war.

Nach dem Scheitern des Aufstandes gegen Hitler am 20. Juli 1944 geriet auch Eugen Bolz, zunächst eher zufällig, ins Visier der Gestapo und wurde am 12. August 1944 aufgrund einer Denunziation verhaftet. Nach schweren Folterungen fand seine Verhandlung vor dem Volksgerichtshof unter Leitung von Roland Freisler am 21. Dezember 1944 statt. Noch vor dem Volksgerichtshof bekannte sich Eugen Bolz in seiner nur siebenstündigen Verhandlung dazu, „kein Nationalsozialist“ zu sein. „Er vermisse“, wie es im Urteil hieß, „bei uns“, also den Nationalsozialisten, „die individuelle Freiheit!“. Nach einem Bericht über den Prozess, der Hitler vorgelegt wurde, hieß es sogar: „Er gab offen zu, daß er Gegner des Nationalsozialismus ist“, wie selbst das Reichssicherheitshauptamt in seinen geheimen Berichten einräumen musste.

Eugen Bolz wurde zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 um 15:43 Uhr in Plötzensee enthauptet. Die Leiche wurde verbrannt und seine Asche wohl in alle Winde zerstreut. So versuchten die Nationalsozialisten, die Erinnerung an ihn zu tilgen.

Eugen Bolz hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass Württemberg in der Weimarer Republik das stabilste Land im Deutschen Reich war, sowohl in den ersten als auch in den letzten Jahren. Warum war Württemberg diese „Insel im Krisenmeer“? Zum einen war die wirtschaftliche und finanzielle Lage immer besser als im übrigen Reich und die politische Situation stabil. Zum anderen war aber das staatliche Gewaltmonopol im Lande nie ernsthaft infrage gestellt. Norbert Elias sieht in der strukturellen Schwäche dieses Gewaltmonopols den wesentlichen Grund für das Scheitern der Weimarer Republik.

Als Justiz- und vor allem als Innenminister hat Eugen Bolz dieses Gewaltmonopol mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt – nach rechts und nach links. Bereits in der Nationalversammlung formulierte Eugen Bolz wenige Tage nach dem gescheiterten Kapp-Putsch sein Grundanliegen, das seine Politik bis 1933 bestimmte. Am 29. März 1920 wird er mit dem Satz protokolliert, „Schutz der Verfassung nach rechts und links muß die Parole der neuen Regierung sein, muß aber auch die Parole des Volksteils sein, der Ruhe, Ordnung und Recht will.“

Eugen Bolz war der bedeutendste Politiker in Südwestdeutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der einzige Regierungschef der Weimarer Republik, der sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagierte und dafür hingerichtet wurde. Eugen Bolz lebte fast die Hälfte seines Lebens in Stuttgart. Von der Stadt wird sein Leben und Wirken bis heute aber weitgehend ignoriert.

Text: Thomas Schnabel
Schlagwort: Stuttgart-Nord
Literaturhinweise:

Waldemar Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise 1928-1933. Eine Studie zur Auflösung der Weimarer Republik, Stuttgart 1959.
Eduard Heilfron (Hg.), Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1920 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, Bd. 9, Berlin 1920, S. 263.
Joachim Köhler (Hg.), Christentum und Politik. Dokumente des Widerstands zum 40. Jahrestag der Hinrichtung des Zentrumspolitikers und Staatspräsidenten Eugen Bolz am 23. Januar 1945, Sigmaringen 1985.
„Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Eugen Bolz 1881 bis 1945, hg. vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Ubstadt-Weiher 2017.
Max Miller, Eugen Bolz. Staatsmann und Bekenner, Stuttgart 1951.
Frank Raberg, Eugen Bolz zwischen Pflicht und Widerstand, Leinfelden-Echterdingen 2009.
Joachim Sailer, Eugen Bolz und die Krise des politischen Katholizismus in der Weimarer Republik, Tübingen 1994.

GND-Identifier: 118665944
Publiziert am: 27.05.2021
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Schnabel, Eugen Bolz (1881-1945), publiziert am 27.05.2021 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/24e3967f-4cdc-441a-80d4-c54abd775d1a/Eugen_Bolz_%281881-1945%29.html