Die Familie Klinckerfuß spielte im gesellschaftlichen Leben des 19. und 20. Jahrhunderts in Stuttgart eine bedeutende Rolle. Apollo und Johanna Klinckerfuß führten hier einen musikalischen Salon.

Die Familie Klinckerfuß (auch: Klinckerfuss) war seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Stuttgart ansässig. Der aus Bad Nauheim stammende Ebenist (Kunstschreiner) Johannes Klinckerfuß (1770-1831) hatte 1789 bei dem bedeutendsten Kunstschreiner seiner Zeit, dem Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeinde David Roentgen (1743-1807) in Neuwied, sein Handwerk erlernt. 1797 holte ihn Herzog Friedrich Eugen nach Stuttgart und stellte ihn als Hofebenisten ein; die königliche Kabinettschreinerei war in der Alten Kanzlei untergebracht. In den folgenden Jahren stattete er die königlichen Schlösser in Stuttgart und Ludwigsburg aus. Unter König Friedrich I. nahm jedoch die Reglementierung seines Betriebes derart zu, dass er um Entlassung bat.

1812 eröffnete er einen eigenen Betrieb in der Kanzleistraße 18. Das Anwesen, das er von seinem Schwiegervater geerbt hatte, verfügte über ein dreistöckiges Reihenhaus mit Wohnräumen, Verkaufsräumen und der Werkstatt. Überdies lag es nur drei Häuserblocks von der alten Wirkungsstätte entfernt. Nun konnte er sowohl für das württembergische Königshaus als auch für private Kunden Möbel entwerfen und herstellen; diese Phase von 1812 bis zu seinem Tod war geschäftlich die erfolgreichste Zeit für Johannes Klinckerfuß.

Da er kinderlos blieb, übernahm sein Neffe Bernhard Klinckerfuß (1801-1859) 1831 den Betrieb und setzte seinen Schwerpunkt im Klavierbau. Bernhards Sohn Apollo Klinckerfuß (1840-1923) führte den Betrieb in dieser Richtung weiter; er vertrat die Firmen Bechstein, Blüthner und Steinway. Zugleich richtete er eine Restaurierungswerkstatt für historische Tasteninstrumente ein und sammelte Bücher und Autographen aus dem Bereich älterer Musik sowie historische Musikinstrumente. 1874 heiratete er die aus Hamburg stammende Pianistin Johanna Schultz (1855-1924).

Gemeinsam führten sie einen Salon, in dem bedeutende Musiker wie z.B. Hugo Wolf, Hans von Bülow, Wilhelm Furtwängler, Edvard Grieg und Johannes Brahms zu Gast waren. Johanna Klinckerfuß gab zahlreiche öffentliche Konzerte als Solistin oder als Kammermusikerin. Dabei spielte sie sowohl ältere Stücke auf den historischen Instrumenten ihres Schwiegervaters als auch zeitgenössische Werke. 1882 gab sie gemeinsam mit Clara Schumann ein Konzert in Stuttgart; sie spielten ein Werk von Robert Schumann für zwei Klaviere. 1885 wurde sie von König Karl zur königlich-württembergischen Hofpianistin ernannt. Zeitlebens war sie Franz Liszt, dessen Meisterklasse in Weimar sie kurz vor ihrer Heirat 1872/1873 besucht hatte, und dessen Schülern eng verbunden. Es ist ihrem persönlichen Einsatz zu verdanken, dass 1903 ein Denkmal für Franz Liszt im Schlossgarten errichtet wurde.

In der Villa Klinckerfuß verkehrte auch der italienische Poet und Musiker Marchese Silvio della Valle di Casanova (1861-1929), der mit der Pianistin Margarethe Klinckerfuß, der gemeinsamen Tochter von Apollo und Johanna Klinckerfuß, befreundet war. Bei seinen Aufenthalten in Stuttgart erwarb er zahlreiche Gemälde schwäbischer Impressionisten. Diese Sammlung schenkte er 1924 der Stadt Stuttgart und legte damit den Grundstein für die Galerie der Stadt Stuttgart (heute: Kunstmuseum Stuttgart).

Margarete Klinckerfuß (1877-1959) studierte Klavier am Stuttgarter Konservatorium und trat 1912 dem Johanniterorden bei. Während des Ersten Weltkrieges war sie als Johanniterschwester an der Front tätig. Sie war eine begabte Pianistin und Musikpädagogin, gab aber weniger öffentliche Konzerte als ihre Mutter. Ihr Bruder Walter (1876-1954) führte den Betrieb weiter; von 1933 bis 1945 gehörte er der NSDAP an und galt als überzeugter Nationalsozialist. Ihr Bruder Bernhard (1881-1940) wurde Maler.

Zwischen 1933 und 1935 lebte Margarete Klinckerfuß in Berlin, kehrte aber etwa 1935 nach Stuttgart zurück. 1935 wurde sie dort wegen einer psychischen Erkrankung in das Bürgerhospital eingewiesen und von ihren Verwandten entmündigt. Die Entmündigung wurde kurz darauf durch das Eingreifen ihrer Cousine wieder aufgehoben. Im selben Jahr schenkte sie der Staatsgalerie Stuttgart ein Porträt des Bildhauers Johann Heinrich Dannecker von einem anonymen Maler des 19. Jahrhunderts; ein Jahr später eine von Dannecker geschaffene Gipsbüste der württembergischen Königin Katharina.

1937 nahm Margarete Klinckerfuß an der V. Reichstagung der Auslandsdeutschen in der Schwabenhalle teil. Dort hörte sie am 1. September 1937 eine Rede von Reichsjugendführer Baldur von Schirach und störte sie mit ihrem Zwischenruf „positives Christentum!“. Daraufhin wurde sie nach eigener Aussage von SA-Leuten misshandelt und verhaftet. Zunächst wurde sie in die geschlossene psychiatrische Abteilung des Bürgerhospitals gebracht; bis 1943 verbrachte sie viele Jahre im Gewahrsam verschiedener psychiatrischer Anstalten, zuletzt in der Heilanstalt Christophsbad in Göppingen. Nach 1945 war sie dort als Musiktherapeutin tätig.

1937 sollte das Gebäude in der Kanzleistraße 18 auf Wunsch des Oberbürgermeisters Karl Strölin zwangsenteignet werden. Zu dem Wohnhaus mit Anbau gehörten auch ein Geflügelstall, ein Schuppen und Lagerraum sowie ein Hof und ein Gemüsegarten mit Gartenhaus. Die Enteignung wurde auf der Grundlage des Zwangsenteignungsgesetzes aus dem Jahr 1888 angeordnet, jedoch kurzfristig wieder aufgehoben, da es am 24. Dezember 1937 zu einem regulären Ankauf durch die Stadt Stuttgart kam. Der Verkauf des attraktiven Grundstückes fand infolge eines städtebaulichen Umbauplanes aus dem Jahr 1915 statt; das Haus wurde abgerissen, um die Rote Straße und die Kanzleistraße verbreitern zu können.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges endete auch die gesellschaftliche Bedeutung der Familie Klinckerfuß in Stuttgart.

Text: Anja Heuß
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Quellenhinweise:

Hauptstaatsarchiv Stuttgart Steuerbuch Bd. 24, S. 138 f.
Staatsarchiv Ludwigsburg FL 300/31 I Bü 3894.
Staatsarchiv Ludwigsburg F 215 Bü 479.
Staatsarchiv Ludwigsburg E 151/08 Bü 549.
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 I Bü 25251.
Staatsarchiv Ludwigsburg E 191 Bü 6980.

Margarete Klinckerfuss, Aufklänge aus versunkenen Tagen, Urach 1947.

Literaturhinweise:

Kadja Grönke, Klinckerfuß, Johanna und Margarete, in: Sophie Drinker Institut (Internetseite), http://www.sophie-drinker-institut.de/klinckerfuss-johanna-und-margarete [zuletzt aufgerufen am 15.04.2019].
Wolfgang Wiese, Johannes Klinckerfuß. Ein württembergischer Ebenist (1770-1831), Sigmaringen 1988.
Silke Wenzel, Johanna Klinckerfuß, in: Musik und Gender im Internet (Internetseite), http://mugi.hfmt-hamburg.de/old/A_lexartikel/lexartikel.php?id=klin1855 [zuletzt aufgerufen am 15.04.2019].

GND-Identifier: 116228547, 1012279197, 1012722791, 1012279189, 118842331
Publiziert am: 13.08.2019
Empfohlene Zitierweise:
Anja Heuß, Familie Klinckerfuß, publiziert am 13.08.2019 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/1d747f5f-7084-4fb9-bdbd-6bb9d9029349/Familie_Klinckerfuss.html