Roman Norbert Ketterer gründete 1946 das „Stuttgarter Kunstkabinett“. Von 1947 bis 1962 hielt er dort 37 Auktionen ab und machte Stuttgart zum Zentrum des Handels mit expressionistischer Kunst.

Der Stuttgarter Kunsthändler Roman Norbert Ketterer wurde 1911 in Bräunlingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) geboren. Er besuchte die Schule bis zur mittleren Reife und machte eine Ausbildung zum Chemotechniker. 1937 trat er in die Firma „Südöl“ in Eislingen bei Göppingen ein und wurde dort mit 32 Jahren Geschäftsführer. Nebenbei sammelte er Kunstwerke, handelte mit Gemälden des Karlsruher Aktmalers Wilhelm Hempfing (1886-1948) und malte selbst.

Seine Tätigkeit als Auktionator begann erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. 1946 gründete er in zwei Räumen des Teppichgeschäftes Emil Mayer in der Eberhardstraße 65 das „Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer“.

1947 übergab ihm Wolfgang Freiherr von Richthofen eine Sammlung zum Verkauf, die über 300 Grafiken von Max Slevogt und Max Liebermann umfasste. Diese wurde auf der ersten Auktion des Stuttgarter Kunstkabinetts im September 1947 versteigert.

Von 1948 bis 1956 unterstützte ihn der Kunsthistoriker, Jurist und Journalist Wilhelm F. Arntz (1903-1985), ein ausgewiesener Experte mit einem legendären Archiv zur sogenannten „Entarteten Kunst“. Der Neuling Ketterer benötigte einen solchen Kunstkenner: Werke des Expressionismus, die während der NS-Zeit als „entartet“ galten, hatte man in Deutschland seit 1933 nicht mehr in öffentlichen Sammlungen gesehen, Fachliteratur fehlte völlig oder war schwer zugänglich.

Bis 1954 arbeitete auch sein Bruder Wolfgang Ketterer in der Firma. Er machte sich 1954 selbständig und gründete die „Galerie Wolfgang Ketterer“ in Stuttgart. Die Galerie war bis 1966 in Stuttgart ansässig und zog dann nach München um.

1952 übernahm Roman Norbert Ketterer den Verkauf der Sammlung von Frédéric Bauer (1883-1957), dem Arzt Ernst Ludwig Kirchners (1880-1938) in der Schweiz. Bauer hatte über 400 Werke vom Künstler direkt erworben oder von ihm als Geschenk bzw. Honorarzahlung erhalten. Über den Sammler Bauer erhielt Ketterer Kenntnis von der Tatsache, dass das umfangreiche Werk Kirchners in der Schweiz als „deutsches Feindvermögen“ beschlagnahmt und im Basler Kunstmuseum eingelagert worden war. 1954 löste er den Nachlass für die Erben aus und wurde im selben Jahr der Nachlass-Verwalter Kirchners – eine Aufgabe, die er bis zu seinem Tod 1962 weiterführte. Diesen Nachlass lagerte er im Felsenkeller des Alten Schlosses ein, nur wenige Schritte von seinem Büro entfernt. Mit einer gezielten Verkaufspolitik gelang es ihm, die „Ware“ knapp zu halten und die Preisentwicklung für Werke Kirchners zu steuern.

Ketterers Auktionskataloge zeichneten sich durch eine immer sorgfältigere und umfangreichere Ausstattung aus. Während der erste Auktionskatalog noch bescheiden auf 24 Druckseiten 183 Nummern anbot, beinhaltete der dritte Katalog bereits 792 Werke. Im Laufe der 1950er Jahre verlagerte Ketterer seinen Schwerpunkt zunehmend auf Werke des 20. Jahrhunderts. Dies zeigt sich in seinem Katalog zur 18. Auktion im November 1953, der erstmals ein expressionistisches Gemälde auf dem Titelblatt zeigt, „Spaziergänger im Park“ von August Macke. Dieser Katalog hatte Buchstärke: Er beschrieb über 2.500 Nummern auf 254 Seiten.

Mit der 20. Auktion im November 1954 erreichte Ketterer 1954 erstmals einen Umsatz von über einer Million D-Mark. Versteigert wurde die Sammlung von Nell Walden (1887-1975), der geschiedenen Ehefrau des Berliner Galeristen Herwarth Walden (1878-1941). Von November 1957 bis 1962 versteigerte Ketterer überwiegend moderne Kunst, vor allem Werke des Expressionismus.

Vielen ist bis heute ein Rätsel, woher Ketterer in so kurzer Zeit seine Ware erhielt. Tatsächlich handelte es sich bei den größeren Konvoluten oft um Nachlässe. Die Erben der Sammler hatten häufig nur die Kunstwerke über den Krieg und die Währungsreform retten können und mussten nun verkaufen. So versteigerte Ketterer die Sammlung des Munch-Sammlers Gustav Schiefler (1857-1935) aus Hamburg, die Grafiksammlung des Bankiers Carl Heumann (1908-1945) aus Chemnitz, eine Sammlung mit Handzeichnungen der Nazarener aus dem Nachlass des Prinzen Johann Georg von Sachsen (1869-1938) oder Kunstwerke des Expressionismus des Kunsthistorikers Walter Kaesbach (1879-1961). Es gelang ihm auch, aus der Schweiz wichtige Sammlungen zu übernehmen: Neben dem Nachlass von Ernst Ludwig Kirchner und der Kirchner-Sammlung Frédéric Bauers die Sammlung von Richard Doetsch-Benziger (1877-1958) aus Basel, die aufgrund von Erbstreitigkeiten aufgeteilt werden musste.

Eine besondere Leistung war es sicherlich, dass es ihm gelang, ab 1954 ganze Konvolute aus den USA zu erhalten – angesichts der Währungsprobleme in dieser Zeit eine Meisterleistung. Bei seiner ersten Reise in die USA 1954 erwarb er in New York Teile des Warenlagers aus dem Nachlass des deutsch-jüdischen Kunsthändlers Curt Valentin (1902-1954) und verbrachte sie nach Deutschland. Da er in den USA nicht auf Kredit kaufen oder mit D-Mark bezahlen konnte, gründete er laut dem „Spiegel“ zusammen mit dem Frankfurter Kunsthändler Wilhelm Henrich und Margret Köser, einer Tochter des Kölner Zigarettenfabrikanten und Kunstsammlers August Neuerburg, die Stuttgarter Kunsthandel-GmbH zur Finanzierung von Kunstankäufen in den USA.

Eine weitere Bezugsquelle für moderne Kunstwerke stellte die „Aktion Entartete Kunst“ dar. 1937 waren etwa 20.000 Kunstwerke aus ideologischen Gründen als „entartet“ aus den Museen entfernt und mehreren Kunsthändlern übergeben worden. Einer dieser Kunsthändler war Bernhard A. Böhmer in Güstrow. Böhmer beging zusammen mit seiner Ehefrau bei Kriegsende in Güstrow Selbstmord und hinterließ nur seinen Sohn Peter (1932-2007), der von Böhmers Schwägerin in Rostock, Wilma Zelck (1910-1962), adoptiert wurde. Sie übernahm auch das umfangreiche Warenlager mit „entarteter Kunst“ und nahm es bei ihrer Übersiedlung 1947 nach Westberlin mit. Dort übergab sie es teils direkt, teils über ihren Lebensgefährten Albert Daberkow (1912-1969) an Ketterer; auch der Sohn Böhmers lieferte dort ein. So kam es, dass zwischen 1949 und 1962 zahlreiche Werke aus deutschen Museen bei Ketterer versteigert wurden; die „Herkunftsmuseen“ wurden in den Katalogen oft angegeben. Weitere Werke stammten von Hildebrand Gurlitt, der im November 1948 72 Werke bei Ketterer einlieferte.

Berühmt wurde Ketterer nicht nur durch seine rastlose Energie und Beharrlichkeit. So besaß er ein besonderes Talent, seine Auktionen zu inszenieren und damit zu einem gesellschaftlichen Event zu machen. Er hatte ein Gespür für sein Publikum und ein ausgeprägtes Showtalent. Als Markenzeichen trug er stets eine weiße Nelke im Knopfloch. Nach aufregenden Bietgefechten überreichte er dem Sieger feierlich eine der weißen Nelken, die er in einer Vase bereithielt – ein Zeremoniell, das seinen Ruf als „Showmaster“ mitbegründete.

Von 1950 bis 1962 befanden sich die Geschäftsräume Ketterers im Parterre des Prinzenbaus; dort fanden auch die Auktionen statt. Bald wurden die Räumlichkeiten für das anwachsende Publikum zu klein. Mit zunehmendem Erfolg musste er auf größere Räumlichkeiten ausweichen. Eine viertägige Auktion im Mai 1961 fand teils im Sendesaal des Süddeutschen Rundfunks in der Villa Berg, teils im Kunstgebäude statt und wurde im Rundfunk übertragen; sie erzielte einen Umsatz von sechs Millionen D-Mark. Internationales Publikum kam zu seinen Auktionen, die Millionäre Stavros Niarchos (1909-1996) und David Rockefeller (1915-2017), der norwegische Reeder Ragnar Moltzau (1901-?), der Schokoladenfabrikant Bernhard Sprengel (1899-1985) aus Hannover, Rudolf August Oetker (1916-2007) aus Bielefeld und Heinrich von Thyssen-Bornemisza (1921-2002). Ketterer führte auch erstmals das Bieten per Telefon ein, stellte dies aber wieder ein, da es Unmut im Publikum hervorrief.

Die Auktionen wurden in den 1950er Jahren zu einem gesellschaftlichen Ereignis; dies spiegelt sich auch in der Presseberichterstattung wider. Sowohl die Boulevardpresse als auch seriöse Tageszeitungen und politische Magazine berichteten über das illustre Publikum und über die sprunghaft steigenden Preise für Werke des Expressionismus. Im August 1960 veröffentlichte der „Spiegel“ die Titelgeschichte „Der Mann mit dem Flair“. Der Bericht widmete sich der Lebensgeschichte und Persönlichkeit Ketterers, analysierte aber auch die Preisentwicklung anhand zahlreicher Beispiele. Ketterer setzte mit seinen Auktionsrekorden Maßstäbe für die weitere Preisentwicklung und beeinflusste dadurch den Markt. Damit war er so erfolgreich, dass er Werke des Expressionismus mit großen Gewinnen wieder an Sammler in den USA verkaufen konnte – teilweise Arbeiten, die er dort wenige Jahre zuvor erworben hatte.

Nach 37 Auktionen beschloss Ketterer 1962, das Auktionshaus in Stuttgart aufzugeben. Die geplante Verlagerung seines Standorts hatte er von langer Hand vorbereitet, jedoch vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Da er quasi über Nacht verschwand, wurde in der Öffentlichkeit wild über die Gründe spekuliert. Ketterer baute in Campione d’Italia erneut eine Kunsthandlung auf, war aber nicht mehr als Auktionator tätig. Bis zu seinem Tod widmete er sich dem Erbe Kirchners und stiftete 1992 einen Neubau für das Kirchner-Museum in Davos. Ketterer wurde in Davos neben Ernst Ludwig Kirchner beerdigt.

Text: Anja Heuß
Schlagwort: Stuttgart-Mitte
Literaturhinweise:

Der Mann mit dem Flair, in: Der Spiegel, Heft 35 (1960), http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43066584.html.
Meike HOFFMANN, Ein Händler „entarteter“ Kunst. Bernhard A. Böhmer und sein Nachlass (Schriften der Forschungsstelle „Entartete Kunst“, Band III), Berlin 2010.
Diedrich KENNEWEG, Größte deutsche Kunstauktion der Nachkriegszeit: Kunstkenner kämpfen um erlesene Werke aus sechs Jahrhunderten, in: Quick, 20. November 1949.
Roman Norbert KETTERER, Dialoge, Stuttgart/Zürich 1988.

GND-Identifier: 121198987
Publiziert am: 13.08.2019
Empfohlene Zitierweise:
Anja Heuß, Roman Norbert Ketterer (1911-2002), publiziert am 13.08.2019 in: Stadtarchiv Stuttgart,
URL: https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/article/1163b191-bb1b-43d3-be92-53749bff74b7/Roman_Norbert_Ketterer.html